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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

und er schritt wieder in Gedanken neben ihr. So kam er an derselben Stelle
wie damals aus dem Walde hervor und blieb an dem dunkeln, tiefen Gewässer
stehen, wo er einstmals neben ihr gestanden, und wo einstmals ihr Bild auf
dem weißen Pferde sich unvergeßlich für ihn abgespiegelt hatte. sehnsuchtsvoll
richteten sich seine Augen nach dem Schlosse hinüber, wo sie weilte, nach dem
Altan vor ihrem Zimmer, wo er, wenn sie etwa dort erschien, den Schimmer
ihres Gewandes zu erblicken hoffen durfte. Aber es war nichts von ihr zu
sehen. Er beschloß umzukehren.

Er war ungeduldig auf eine Botschaft, die er erhalten könnte, und er hatte
dem getreuen Andrew Auftrag gegeben, das Haus nicht zu verlassen. Jetzt war
der Morgen vorgeschritten, und er hielt es für möglich, daß schon ein Brief
für ihn zu Hause liege.

Aber indem er sich umwandte, um zurückzukehren und dann wieder nach
dem Schlosse blickte, ob nicht doch etwa auf dem Altan ein tröstliches Bild er¬
scheinen werde, dergestalt zögernd zur Heimkehr sich anschickend, sah er einen
Mann aus dem Schloßthor hervorkommen, welcher die Richtung des Weges
nach Scholldorf nahm. Die Haltung und der rüstige Schritt des Mannes
ließen ihn bald mit Gewißheit erkennen, daß es der regelmäßige Bote zwischen
ihm und Dorothea sei, er schlug eilig einen Querpfad ein, der ihn mit jenem
zusammenführen mußte, und es währte nur wenige Minuten, so stand der Jüng¬
ling, dem die blonde Millicent ihre Liebe geweiht hatte, mit seinem gebräunten,
gutmütigen und schlauen Gesichte vor ihm.

Der junge Degenhard lüftete sein grünes Hütchen, zog zwei Briefe aus
seiner Jagdtasche hervor, überreichte sie Eberhardt und setzte sich dann schwei¬
gend auf einen Stein am Wege, eifrig beschäftigt, wie es schien, mit der Unter¬
suchung seines Gewehrs.

Den einen Brief erkannte Eberhardt mit Herzklopfen als von Dorotheens
Hand adressirt, der andre war von dem General an ihn gerichtet. Dieser
schrieb ihm in kurzen Worten, daß er sich freuen werde, ihn sobald als
möglich bei sich zu sehen; Dorotheens Brief war etwas länger, obwohl gleich¬
falls kurz, und setzte ihn in solche Erregung, daß er sich beim Lesen eine
Strecke in den Wald hinein von dem Boten entfernte, um diesen nicht zum
Zeugen seiner eifrigen Spannung, seiner geröteten Wangen und glänzende"
Augen zu machen.

Mein geliebter Freund, fing dieser Brief an, noch heute muß ich dich sehen
und sprechen.

Es war schon dieser Anfang, was Eberhardt in tiefster Seele traf. Dieses
mal zuerst nannte sie ihn du. und er fühlte sich von diesem Wörtchen, nachdem
so lange zwischen ihnen eine kühlere Ausdrucksweise gegolten hatte, wie von
einem glühenden Liebeshauche berührt. Dieses Wörtchen allein verriet ihm schon,
daß das entscheidende Gespräch zwischen ihrem Vater und dem Grafen statt-


Die Grafen von Altenschwerdt.

und er schritt wieder in Gedanken neben ihr. So kam er an derselben Stelle
wie damals aus dem Walde hervor und blieb an dem dunkeln, tiefen Gewässer
stehen, wo er einstmals neben ihr gestanden, und wo einstmals ihr Bild auf
dem weißen Pferde sich unvergeßlich für ihn abgespiegelt hatte. sehnsuchtsvoll
richteten sich seine Augen nach dem Schlosse hinüber, wo sie weilte, nach dem
Altan vor ihrem Zimmer, wo er, wenn sie etwa dort erschien, den Schimmer
ihres Gewandes zu erblicken hoffen durfte. Aber es war nichts von ihr zu
sehen. Er beschloß umzukehren.

Er war ungeduldig auf eine Botschaft, die er erhalten könnte, und er hatte
dem getreuen Andrew Auftrag gegeben, das Haus nicht zu verlassen. Jetzt war
der Morgen vorgeschritten, und er hielt es für möglich, daß schon ein Brief
für ihn zu Hause liege.

Aber indem er sich umwandte, um zurückzukehren und dann wieder nach
dem Schlosse blickte, ob nicht doch etwa auf dem Altan ein tröstliches Bild er¬
scheinen werde, dergestalt zögernd zur Heimkehr sich anschickend, sah er einen
Mann aus dem Schloßthor hervorkommen, welcher die Richtung des Weges
nach Scholldorf nahm. Die Haltung und der rüstige Schritt des Mannes
ließen ihn bald mit Gewißheit erkennen, daß es der regelmäßige Bote zwischen
ihm und Dorothea sei, er schlug eilig einen Querpfad ein, der ihn mit jenem
zusammenführen mußte, und es währte nur wenige Minuten, so stand der Jüng¬
ling, dem die blonde Millicent ihre Liebe geweiht hatte, mit seinem gebräunten,
gutmütigen und schlauen Gesichte vor ihm.

Der junge Degenhard lüftete sein grünes Hütchen, zog zwei Briefe aus
seiner Jagdtasche hervor, überreichte sie Eberhardt und setzte sich dann schwei¬
gend auf einen Stein am Wege, eifrig beschäftigt, wie es schien, mit der Unter¬
suchung seines Gewehrs.

Den einen Brief erkannte Eberhardt mit Herzklopfen als von Dorotheens
Hand adressirt, der andre war von dem General an ihn gerichtet. Dieser
schrieb ihm in kurzen Worten, daß er sich freuen werde, ihn sobald als
möglich bei sich zu sehen; Dorotheens Brief war etwas länger, obwohl gleich¬
falls kurz, und setzte ihn in solche Erregung, daß er sich beim Lesen eine
Strecke in den Wald hinein von dem Boten entfernte, um diesen nicht zum
Zeugen seiner eifrigen Spannung, seiner geröteten Wangen und glänzende»
Augen zu machen.

Mein geliebter Freund, fing dieser Brief an, noch heute muß ich dich sehen
und sprechen.

Es war schon dieser Anfang, was Eberhardt in tiefster Seele traf. Dieses
mal zuerst nannte sie ihn du. und er fühlte sich von diesem Wörtchen, nachdem
so lange zwischen ihnen eine kühlere Ausdrucksweise gegolten hatte, wie von
einem glühenden Liebeshauche berührt. Dieses Wörtchen allein verriet ihm schon,
daß das entscheidende Gespräch zwischen ihrem Vater und dem Grafen statt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/477>, abgerufen am 22.07.2024.