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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Katharina die Zweite als Journalistin.

Groß war Katharina als Schriftstellerin nicht; sie schrieb nur zu ihrer
Unterhaltung und Erholung, dabei aber wie eine Gouvernante Kindern gegen¬
über. Stellt man "Wahrheit und Dichtung" in Parallele mit ihren übrigen
literarischen Erzeugnissen, so findet man leicht die gemeinsame Tendenz aller
heraus; sie geben aber mehr als ihre andern Arbeiten interessante Aufschlüsse
über Katharinas Denkweise. Freilich muß man zum volleren Verständnisse die
gleichzeitigen Privatbeziehungen der Kaiserin kennen; kennt man diese nicht, so
scheint "Wahrheit und Dichtung" ein geistiges Trümmerfeld.

Wir schließen diese Mitteilungen am passendsten mit einer Übertragung des
erwähnten "Testaments" ab (nach der dreibändigen Smirdinschen Ausgabe von
Katharinas Werken); dasselbe ist für den damaligen Standpunkt der russischen
Literatur und für die Kaiserin sehr charakteristisch. ">

Testament.

Diesen Morgen entwarf ich im Konzepte folgendes Testament.

Mein persönliches Eigentum, "Wahrheit und Dichtung," vermache ich dem
mit Nachstehendem:

1. Daß er selbst oder der, dem er sie behufs Fortsetzung derselben cedirt,
anvertraut, verkauft, verpfändet, nicht rauh oder so schwerfällig schreibe, als gelte
es eine Last blockweise zu heben.

2. Er soll beim Schreiben nicht lange und viel denken oder gar über Worten
schwitzen.

3. Kurze und klare Ausdrücke sind den langen und gewundenen vorzuziehen.

4. Wer schreibt, hat russisch zu denken. Jede Sache hat ihren Namen.

5. Fremdwörter sind durch russische zu ersetzen, und aus fremden Sprachen
sind keine Wörter zu entlehnen, denn unsre Sprache ist auch ohne das reich genug.

6. Beredtsamkeit ist nirgends anzuwenden, es sei denn, daß sie von selbst aus
der Feder fließe.

7. Die Worte sind klar und nach Möglichkeit fließend zu ordnen.

8. Langweiliges ist nirgends einzuflechten, noch weniger unzeitige Vernünftelei.

9. Das Heitere ist von allem das beste; das Lächelnde ist weinerlichen An¬
regungen vorzuziehen.

10. Dem Lachen, dem Geistreichen, den Schönheiten soll man nicht nachjagen.
Es ist jedoch nicht verboten, sie überall da anzuwenden, wo sie sich von selbst
bieten.

11. Stelzen soll man nicht gebrauchen, wo die Füße ihre Dienste thun, d.h.
aufgeblasene und hochtrabende Worte nicht da verwenden, wo die gewöhnlichen
passender, hübscher, angenehmer und wohlklingender sind.

12. Arzt, Doktor und Apotheker sind zum Schreiben von "Wahrheit und Dich¬
tung" nicht zu benutzen, damit diese keinen medizinischen Geruch bekommen.

13. Predigten sind nicht zu übertragen und nicht vorsätzlich zu verfassen.

14. Wo es sich irgendwie um Ethisches handelt, mischt man dasselbe sehr
vorteilhaft mit angenehmen Wendungen, welche die Langeweile abwehren, damit
es den Stutzerinnen mit den spitzen Absätzen keine unzeitigen Anfälle von Hysterie
verursache.

15. Tiefsinn ist mit Klarheit zu umhüllen und Gedankenfülle mit Leichtigkeit
des Stils, damit sie allen erträglich werden.


Katharina die Zweite als Journalistin.

Groß war Katharina als Schriftstellerin nicht; sie schrieb nur zu ihrer
Unterhaltung und Erholung, dabei aber wie eine Gouvernante Kindern gegen¬
über. Stellt man „Wahrheit und Dichtung" in Parallele mit ihren übrigen
literarischen Erzeugnissen, so findet man leicht die gemeinsame Tendenz aller
heraus; sie geben aber mehr als ihre andern Arbeiten interessante Aufschlüsse
über Katharinas Denkweise. Freilich muß man zum volleren Verständnisse die
gleichzeitigen Privatbeziehungen der Kaiserin kennen; kennt man diese nicht, so
scheint „Wahrheit und Dichtung" ein geistiges Trümmerfeld.

Wir schließen diese Mitteilungen am passendsten mit einer Übertragung des
erwähnten „Testaments" ab (nach der dreibändigen Smirdinschen Ausgabe von
Katharinas Werken); dasselbe ist für den damaligen Standpunkt der russischen
Literatur und für die Kaiserin sehr charakteristisch. «>

Testament.

Diesen Morgen entwarf ich im Konzepte folgendes Testament.

Mein persönliches Eigentum, „Wahrheit und Dichtung," vermache ich dem
mit Nachstehendem:

1. Daß er selbst oder der, dem er sie behufs Fortsetzung derselben cedirt,
anvertraut, verkauft, verpfändet, nicht rauh oder so schwerfällig schreibe, als gelte
es eine Last blockweise zu heben.

2. Er soll beim Schreiben nicht lange und viel denken oder gar über Worten
schwitzen.

3. Kurze und klare Ausdrücke sind den langen und gewundenen vorzuziehen.

4. Wer schreibt, hat russisch zu denken. Jede Sache hat ihren Namen.

5. Fremdwörter sind durch russische zu ersetzen, und aus fremden Sprachen
sind keine Wörter zu entlehnen, denn unsre Sprache ist auch ohne das reich genug.

6. Beredtsamkeit ist nirgends anzuwenden, es sei denn, daß sie von selbst aus
der Feder fließe.

7. Die Worte sind klar und nach Möglichkeit fließend zu ordnen.

8. Langweiliges ist nirgends einzuflechten, noch weniger unzeitige Vernünftelei.

9. Das Heitere ist von allem das beste; das Lächelnde ist weinerlichen An¬
regungen vorzuziehen.

10. Dem Lachen, dem Geistreichen, den Schönheiten soll man nicht nachjagen.
Es ist jedoch nicht verboten, sie überall da anzuwenden, wo sie sich von selbst
bieten.

11. Stelzen soll man nicht gebrauchen, wo die Füße ihre Dienste thun, d.h.
aufgeblasene und hochtrabende Worte nicht da verwenden, wo die gewöhnlichen
passender, hübscher, angenehmer und wohlklingender sind.

12. Arzt, Doktor und Apotheker sind zum Schreiben von „Wahrheit und Dich¬
tung" nicht zu benutzen, damit diese keinen medizinischen Geruch bekommen.

13. Predigten sind nicht zu übertragen und nicht vorsätzlich zu verfassen.

14. Wo es sich irgendwie um Ethisches handelt, mischt man dasselbe sehr
vorteilhaft mit angenehmen Wendungen, welche die Langeweile abwehren, damit
es den Stutzerinnen mit den spitzen Absätzen keine unzeitigen Anfälle von Hysterie
verursache.

15. Tiefsinn ist mit Klarheit zu umhüllen und Gedankenfülle mit Leichtigkeit
des Stils, damit sie allen erträglich werden.


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[0458] Katharina die Zweite als Journalistin. Groß war Katharina als Schriftstellerin nicht; sie schrieb nur zu ihrer Unterhaltung und Erholung, dabei aber wie eine Gouvernante Kindern gegen¬ über. Stellt man „Wahrheit und Dichtung" in Parallele mit ihren übrigen literarischen Erzeugnissen, so findet man leicht die gemeinsame Tendenz aller heraus; sie geben aber mehr als ihre andern Arbeiten interessante Aufschlüsse über Katharinas Denkweise. Freilich muß man zum volleren Verständnisse die gleichzeitigen Privatbeziehungen der Kaiserin kennen; kennt man diese nicht, so scheint „Wahrheit und Dichtung" ein geistiges Trümmerfeld. Wir schließen diese Mitteilungen am passendsten mit einer Übertragung des erwähnten „Testaments" ab (nach der dreibändigen Smirdinschen Ausgabe von Katharinas Werken); dasselbe ist für den damaligen Standpunkt der russischen Literatur und für die Kaiserin sehr charakteristisch. «> Testament. Diesen Morgen entwarf ich im Konzepte folgendes Testament. Mein persönliches Eigentum, „Wahrheit und Dichtung," vermache ich dem mit Nachstehendem: 1. Daß er selbst oder der, dem er sie behufs Fortsetzung derselben cedirt, anvertraut, verkauft, verpfändet, nicht rauh oder so schwerfällig schreibe, als gelte es eine Last blockweise zu heben. 2. Er soll beim Schreiben nicht lange und viel denken oder gar über Worten schwitzen. 3. Kurze und klare Ausdrücke sind den langen und gewundenen vorzuziehen. 4. Wer schreibt, hat russisch zu denken. Jede Sache hat ihren Namen. 5. Fremdwörter sind durch russische zu ersetzen, und aus fremden Sprachen sind keine Wörter zu entlehnen, denn unsre Sprache ist auch ohne das reich genug. 6. Beredtsamkeit ist nirgends anzuwenden, es sei denn, daß sie von selbst aus der Feder fließe. 7. Die Worte sind klar und nach Möglichkeit fließend zu ordnen. 8. Langweiliges ist nirgends einzuflechten, noch weniger unzeitige Vernünftelei. 9. Das Heitere ist von allem das beste; das Lächelnde ist weinerlichen An¬ regungen vorzuziehen. 10. Dem Lachen, dem Geistreichen, den Schönheiten soll man nicht nachjagen. Es ist jedoch nicht verboten, sie überall da anzuwenden, wo sie sich von selbst bieten. 11. Stelzen soll man nicht gebrauchen, wo die Füße ihre Dienste thun, d.h. aufgeblasene und hochtrabende Worte nicht da verwenden, wo die gewöhnlichen passender, hübscher, angenehmer und wohlklingender sind. 12. Arzt, Doktor und Apotheker sind zum Schreiben von „Wahrheit und Dich¬ tung" nicht zu benutzen, damit diese keinen medizinischen Geruch bekommen. 13. Predigten sind nicht zu übertragen und nicht vorsätzlich zu verfassen. 14. Wo es sich irgendwie um Ethisches handelt, mischt man dasselbe sehr vorteilhaft mit angenehmen Wendungen, welche die Langeweile abwehren, damit es den Stutzerinnen mit den spitzen Absätzen keine unzeitigen Anfälle von Hysterie verursache. 15. Tiefsinn ist mit Klarheit zu umhüllen und Gedankenfülle mit Leichtigkeit des Stils, damit sie allen erträglich werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/458>, abgerufen am 01.07.2024.