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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Katharina die Zweite als Journalistin.

Teil wirklich örtlich partikulare sind. Und dies hat zum guten Teil dazu bei¬
getragen, daß bisher alle Reformbestrebungen scheiterten, wenigstens ein gemein¬
schaftlicher Boden nicht gefunden werden konnte.

(Schluß folgt.)




Katharina die Zweite als Journalistin.

or hundert Jahren -- am 20. Mai 1783 -- erschien in Peters¬
burg die erste Nummer einer literarischen Monatsschrift, für
welche die Kaiserin Katharina sehr begehrte Artikel schrieb und
an deren Redaktion sie sich ebenfalls hervorragend beteiligte. Es
war dies der "Gesprächsgenosse der Liebhaber russischer Literatur."

Die russische Literatur stand damals noch in ihrer Kindheit. Vor Peter
dem Großen hatte man allerdings viele geschichtliche Chroniken aus den Zeiten
kriegerischer Partikularfürsten und ihrer Necken, die an die Sagenkreise des
Königs Artus und Kaiser Karls gemahnen, ferner viele kirchliche Legenden by¬
zantinischen Ursprungs, sowie mancherlei Erzeugnisse der Volkspoesie und selbst
Anfänge geistlicher Schauspiele auszuweisen; aber dieser literarische Besitz war
nur noch ein Rohmaterial, welches erst neuerdings verarbeitet und verwertet
worden ist. Nach Peter dem Großen waren Dramen, epische Dichtungen, Oden u. a.
geschrieben worden, aber in so schwerfälliger Form und so schwülstiger
Sprache, daß auch sie noch kein wesentlicher Fortschritt zu nennen sind. Erst
seit Katharinas Thronbesteigung zeigt sich eine leichtere Behandlung, eine un-
befangenere Auswahl der Stoffe. Man empfand aber das Bedürfnis weiterer
literarischer Entwicklung lebhaft, und so begrüßte man die vortreffliche Ode des
Dichters Derschawin "An Feliza" als das Morgenrot einer neuen Zeit. Diese
Ode pries unter dem Namen Feliza die Kaiserin Katharina und drückte zum
erstenmale hohe Gedanken mit Gefühl, Kraft und Anmut in schöner Form aus.
Sie machte auf die Kaiserin selbst einen tiefen Eindruck und gab die Veran¬
lassung zur Gründung des genannten Journals. Sie inspirirte die der Kaiserin
sehr nahestehende geniale Fürstin Daschkvw, welcher kurz vorher die Direktion
der Petersburger Akademie der Wissenschaften übertragen worden war, mit
einigen namhaften Schriftstellern das Programm einer Zeitschrift zur Verbreitung
der Aufklärung und zur Förderung der russischen Literatur auszuarbeiten, welches
sie unter Hinweis auf die schöne Leistung Derschawins der Kaiserin vorlegte.
Diese nahm den Plan mit lebhaftem Interesse auf, erweiterte die Aufgabe des


Katharina die Zweite als Journalistin.

Teil wirklich örtlich partikulare sind. Und dies hat zum guten Teil dazu bei¬
getragen, daß bisher alle Reformbestrebungen scheiterten, wenigstens ein gemein¬
schaftlicher Boden nicht gefunden werden konnte.

(Schluß folgt.)




Katharina die Zweite als Journalistin.

or hundert Jahren — am 20. Mai 1783 — erschien in Peters¬
burg die erste Nummer einer literarischen Monatsschrift, für
welche die Kaiserin Katharina sehr begehrte Artikel schrieb und
an deren Redaktion sie sich ebenfalls hervorragend beteiligte. Es
war dies der „Gesprächsgenosse der Liebhaber russischer Literatur."

Die russische Literatur stand damals noch in ihrer Kindheit. Vor Peter
dem Großen hatte man allerdings viele geschichtliche Chroniken aus den Zeiten
kriegerischer Partikularfürsten und ihrer Necken, die an die Sagenkreise des
Königs Artus und Kaiser Karls gemahnen, ferner viele kirchliche Legenden by¬
zantinischen Ursprungs, sowie mancherlei Erzeugnisse der Volkspoesie und selbst
Anfänge geistlicher Schauspiele auszuweisen; aber dieser literarische Besitz war
nur noch ein Rohmaterial, welches erst neuerdings verarbeitet und verwertet
worden ist. Nach Peter dem Großen waren Dramen, epische Dichtungen, Oden u. a.
geschrieben worden, aber in so schwerfälliger Form und so schwülstiger
Sprache, daß auch sie noch kein wesentlicher Fortschritt zu nennen sind. Erst
seit Katharinas Thronbesteigung zeigt sich eine leichtere Behandlung, eine un-
befangenere Auswahl der Stoffe. Man empfand aber das Bedürfnis weiterer
literarischer Entwicklung lebhaft, und so begrüßte man die vortreffliche Ode des
Dichters Derschawin „An Feliza" als das Morgenrot einer neuen Zeit. Diese
Ode pries unter dem Namen Feliza die Kaiserin Katharina und drückte zum
erstenmale hohe Gedanken mit Gefühl, Kraft und Anmut in schöner Form aus.
Sie machte auf die Kaiserin selbst einen tiefen Eindruck und gab die Veran¬
lassung zur Gründung des genannten Journals. Sie inspirirte die der Kaiserin
sehr nahestehende geniale Fürstin Daschkvw, welcher kurz vorher die Direktion
der Petersburger Akademie der Wissenschaften übertragen worden war, mit
einigen namhaften Schriftstellern das Programm einer Zeitschrift zur Verbreitung
der Aufklärung und zur Förderung der russischen Literatur auszuarbeiten, welches
sie unter Hinweis auf die schöne Leistung Derschawins der Kaiserin vorlegte.
Diese nahm den Plan mit lebhaftem Interesse auf, erweiterte die Aufgabe des


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[0447] Katharina die Zweite als Journalistin. Teil wirklich örtlich partikulare sind. Und dies hat zum guten Teil dazu bei¬ getragen, daß bisher alle Reformbestrebungen scheiterten, wenigstens ein gemein¬ schaftlicher Boden nicht gefunden werden konnte. (Schluß folgt.) Katharina die Zweite als Journalistin. or hundert Jahren — am 20. Mai 1783 — erschien in Peters¬ burg die erste Nummer einer literarischen Monatsschrift, für welche die Kaiserin Katharina sehr begehrte Artikel schrieb und an deren Redaktion sie sich ebenfalls hervorragend beteiligte. Es war dies der „Gesprächsgenosse der Liebhaber russischer Literatur." Die russische Literatur stand damals noch in ihrer Kindheit. Vor Peter dem Großen hatte man allerdings viele geschichtliche Chroniken aus den Zeiten kriegerischer Partikularfürsten und ihrer Necken, die an die Sagenkreise des Königs Artus und Kaiser Karls gemahnen, ferner viele kirchliche Legenden by¬ zantinischen Ursprungs, sowie mancherlei Erzeugnisse der Volkspoesie und selbst Anfänge geistlicher Schauspiele auszuweisen; aber dieser literarische Besitz war nur noch ein Rohmaterial, welches erst neuerdings verarbeitet und verwertet worden ist. Nach Peter dem Großen waren Dramen, epische Dichtungen, Oden u. a. geschrieben worden, aber in so schwerfälliger Form und so schwülstiger Sprache, daß auch sie noch kein wesentlicher Fortschritt zu nennen sind. Erst seit Katharinas Thronbesteigung zeigt sich eine leichtere Behandlung, eine un- befangenere Auswahl der Stoffe. Man empfand aber das Bedürfnis weiterer literarischer Entwicklung lebhaft, und so begrüßte man die vortreffliche Ode des Dichters Derschawin „An Feliza" als das Morgenrot einer neuen Zeit. Diese Ode pries unter dem Namen Feliza die Kaiserin Katharina und drückte zum erstenmale hohe Gedanken mit Gefühl, Kraft und Anmut in schöner Form aus. Sie machte auf die Kaiserin selbst einen tiefen Eindruck und gab die Veran¬ lassung zur Gründung des genannten Journals. Sie inspirirte die der Kaiserin sehr nahestehende geniale Fürstin Daschkvw, welcher kurz vorher die Direktion der Petersburger Akademie der Wissenschaften übertragen worden war, mit einigen namhaften Schriftstellern das Programm einer Zeitschrift zur Verbreitung der Aufklärung und zur Förderung der russischen Literatur auszuarbeiten, welches sie unter Hinweis auf die schöne Leistung Derschawins der Kaiserin vorlegte. Diese nahm den Plan mit lebhaftem Interesse auf, erweiterte die Aufgabe des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/447>, abgerufen am 03.07.2024.