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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Bewegungen im deutschen Buchhandel,

Mail hört häusig auf die Klagen, welche ,über die Mißstände im Buch¬
handel immer dringender laut werden, die Antwort, daß es nie anders gewesen
sei; die Kämpfe, die jetzt den Buchhandel bewegen, seien so alt, wie der Buch¬
handel selbst. Allerdings konnte man schon vor hundert Jahren und länger
die Schlagwörter vernehmen, welche auch heute im Buchhandel die Parteien
bilden: Rabatt oder Ladenpreis, Handelsfreiheit oder Korporatiousgesetze, Sor¬
timents- oder Verlagsiuteresse, Privat- oder Gemeininteresse. Diese Fragen sind
immer wieder aufgetaucht, und man könnte annehmen, daß sie eitel seien,
daß wie bisher auch künftig alles schließlich von selbst in gesunde Bahnen
einlenke,? werde, und daß der Buchhandel seine althergebrachte abgeschlossene
Idylle weiter leben könne wie bisher, wenn man nicht in ^ etracht zu ziehen hätte,
daß erst jetzt durch die veränderten Verkehrsbedingungeu wirklich und eigentlich
diese Fragen zu brennenden, den Nerv der buchhändlerischen Jnstiutionen be¬
rührenden geworden sind. Es handelt sich nicht mehr um geringe Schäden
oder Vorteile, sondern um sehr tiefgehende und verhängnisvolle Wand¬
lungen.

Das SOPfennigpacket hat die allerdings von jeher betriebene aber früher
nur in beschränktem Maaße mögliche und deshalb in der That wenig einflu߬
reiche sogenannte Schleuderet, daß heißt die rücksichtslos auftretende und unbe¬
grenzte Konkurrenz zur Beherrscherin des Marktes erhoben; es hat ermöglicht,
daß auch im Buchhandel, der sich bisher auch dadurch vom gemeinen Kanfmcmns-
geschäft unterschied, daß das Prinzip des Freihandels seine Grenzen wenig zu
verrücken vermochte (glücklicherweise sträuben sich die berufenen Vertreter des
Standes noch heute gegen die in der That absurde Zumutung, daß der Buch¬
handel ein rein kaufmännisches Geschäft sei und nur kaufmännischen Prinzipien
zu folgen habe), der wildeste Raubbau zum Schaden zunächst des Provinzialsorti-
mentshandels, aber in natürlicher Konsequenz auch des Gesamtstandes, von wenigen
in besonders günstiger örtlicher Position befindlichen ausgeübt und zur alles
zerfressenden allgemeinen Praxis gemacht werden konnte. Hauptsächlich von den
beiden Plätzen Berlin und Leipzig aus haben einige intelligente -- dies Prä¬
dikat ihnen vorzuenthalten sei uns ferne -- Buchhändler mit großer Thatkraft
sich die Vorteile nutzbar gemacht, welche das Einheitsporto für Waaren und
Geldsendungen aufschloß, indem sie durch Verzicht auf einen Teil des nor¬
malen den Sortimentern zufallenden Gewinns ans ein bedeutendes Geschäft durch
großen Umsatz richtig spekulirten und durch billige Offerten, die über das ganze
Land verbreitet wurden, einen beträchtlichen Teil des gesamten Bücherabsatzes
an sich rissen. Es ist ja jedermann bekannt, daß der Sortimentshandel mit
scheinbar hohem Gewinn arbeitet, d. h. die Vorteile, welche der Verleger ihm
für den Vertrieb seiner Erzeugnisse einräumt, siud und müssen bei dem einzelnen
Artikel sein ein namhafter Teil von dessen vom Verleger festgesetzten Markt¬
preis. Bei dem geringen Umsatz und der Schwierigkeit und Kostspieligkeit des


Bewegungen im deutschen Buchhandel,

Mail hört häusig auf die Klagen, welche ,über die Mißstände im Buch¬
handel immer dringender laut werden, die Antwort, daß es nie anders gewesen
sei; die Kämpfe, die jetzt den Buchhandel bewegen, seien so alt, wie der Buch¬
handel selbst. Allerdings konnte man schon vor hundert Jahren und länger
die Schlagwörter vernehmen, welche auch heute im Buchhandel die Parteien
bilden: Rabatt oder Ladenpreis, Handelsfreiheit oder Korporatiousgesetze, Sor¬
timents- oder Verlagsiuteresse, Privat- oder Gemeininteresse. Diese Fragen sind
immer wieder aufgetaucht, und man könnte annehmen, daß sie eitel seien,
daß wie bisher auch künftig alles schließlich von selbst in gesunde Bahnen
einlenke,? werde, und daß der Buchhandel seine althergebrachte abgeschlossene
Idylle weiter leben könne wie bisher, wenn man nicht in ^ etracht zu ziehen hätte,
daß erst jetzt durch die veränderten Verkehrsbedingungeu wirklich und eigentlich
diese Fragen zu brennenden, den Nerv der buchhändlerischen Jnstiutionen be¬
rührenden geworden sind. Es handelt sich nicht mehr um geringe Schäden
oder Vorteile, sondern um sehr tiefgehende und verhängnisvolle Wand¬
lungen.

Das SOPfennigpacket hat die allerdings von jeher betriebene aber früher
nur in beschränktem Maaße mögliche und deshalb in der That wenig einflu߬
reiche sogenannte Schleuderet, daß heißt die rücksichtslos auftretende und unbe¬
grenzte Konkurrenz zur Beherrscherin des Marktes erhoben; es hat ermöglicht,
daß auch im Buchhandel, der sich bisher auch dadurch vom gemeinen Kanfmcmns-
geschäft unterschied, daß das Prinzip des Freihandels seine Grenzen wenig zu
verrücken vermochte (glücklicherweise sträuben sich die berufenen Vertreter des
Standes noch heute gegen die in der That absurde Zumutung, daß der Buch¬
handel ein rein kaufmännisches Geschäft sei und nur kaufmännischen Prinzipien
zu folgen habe), der wildeste Raubbau zum Schaden zunächst des Provinzialsorti-
mentshandels, aber in natürlicher Konsequenz auch des Gesamtstandes, von wenigen
in besonders günstiger örtlicher Position befindlichen ausgeübt und zur alles
zerfressenden allgemeinen Praxis gemacht werden konnte. Hauptsächlich von den
beiden Plätzen Berlin und Leipzig aus haben einige intelligente — dies Prä¬
dikat ihnen vorzuenthalten sei uns ferne — Buchhändler mit großer Thatkraft
sich die Vorteile nutzbar gemacht, welche das Einheitsporto für Waaren und
Geldsendungen aufschloß, indem sie durch Verzicht auf einen Teil des nor¬
malen den Sortimentern zufallenden Gewinns ans ein bedeutendes Geschäft durch
großen Umsatz richtig spekulirten und durch billige Offerten, die über das ganze
Land verbreitet wurden, einen beträchtlichen Teil des gesamten Bücherabsatzes
an sich rissen. Es ist ja jedermann bekannt, daß der Sortimentshandel mit
scheinbar hohem Gewinn arbeitet, d. h. die Vorteile, welche der Verleger ihm
für den Vertrieb seiner Erzeugnisse einräumt, siud und müssen bei dem einzelnen
Artikel sein ein namhafter Teil von dessen vom Verleger festgesetzten Markt¬
preis. Bei dem geringen Umsatz und der Schwierigkeit und Kostspieligkeit des


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[0439] Bewegungen im deutschen Buchhandel, Mail hört häusig auf die Klagen, welche ,über die Mißstände im Buch¬ handel immer dringender laut werden, die Antwort, daß es nie anders gewesen sei; die Kämpfe, die jetzt den Buchhandel bewegen, seien so alt, wie der Buch¬ handel selbst. Allerdings konnte man schon vor hundert Jahren und länger die Schlagwörter vernehmen, welche auch heute im Buchhandel die Parteien bilden: Rabatt oder Ladenpreis, Handelsfreiheit oder Korporatiousgesetze, Sor¬ timents- oder Verlagsiuteresse, Privat- oder Gemeininteresse. Diese Fragen sind immer wieder aufgetaucht, und man könnte annehmen, daß sie eitel seien, daß wie bisher auch künftig alles schließlich von selbst in gesunde Bahnen einlenke,? werde, und daß der Buchhandel seine althergebrachte abgeschlossene Idylle weiter leben könne wie bisher, wenn man nicht in ^ etracht zu ziehen hätte, daß erst jetzt durch die veränderten Verkehrsbedingungeu wirklich und eigentlich diese Fragen zu brennenden, den Nerv der buchhändlerischen Jnstiutionen be¬ rührenden geworden sind. Es handelt sich nicht mehr um geringe Schäden oder Vorteile, sondern um sehr tiefgehende und verhängnisvolle Wand¬ lungen. Das SOPfennigpacket hat die allerdings von jeher betriebene aber früher nur in beschränktem Maaße mögliche und deshalb in der That wenig einflu߬ reiche sogenannte Schleuderet, daß heißt die rücksichtslos auftretende und unbe¬ grenzte Konkurrenz zur Beherrscherin des Marktes erhoben; es hat ermöglicht, daß auch im Buchhandel, der sich bisher auch dadurch vom gemeinen Kanfmcmns- geschäft unterschied, daß das Prinzip des Freihandels seine Grenzen wenig zu verrücken vermochte (glücklicherweise sträuben sich die berufenen Vertreter des Standes noch heute gegen die in der That absurde Zumutung, daß der Buch¬ handel ein rein kaufmännisches Geschäft sei und nur kaufmännischen Prinzipien zu folgen habe), der wildeste Raubbau zum Schaden zunächst des Provinzialsorti- mentshandels, aber in natürlicher Konsequenz auch des Gesamtstandes, von wenigen in besonders günstiger örtlicher Position befindlichen ausgeübt und zur alles zerfressenden allgemeinen Praxis gemacht werden konnte. Hauptsächlich von den beiden Plätzen Berlin und Leipzig aus haben einige intelligente — dies Prä¬ dikat ihnen vorzuenthalten sei uns ferne — Buchhändler mit großer Thatkraft sich die Vorteile nutzbar gemacht, welche das Einheitsporto für Waaren und Geldsendungen aufschloß, indem sie durch Verzicht auf einen Teil des nor¬ malen den Sortimentern zufallenden Gewinns ans ein bedeutendes Geschäft durch großen Umsatz richtig spekulirten und durch billige Offerten, die über das ganze Land verbreitet wurden, einen beträchtlichen Teil des gesamten Bücherabsatzes an sich rissen. Es ist ja jedermann bekannt, daß der Sortimentshandel mit scheinbar hohem Gewinn arbeitet, d. h. die Vorteile, welche der Verleger ihm für den Vertrieb seiner Erzeugnisse einräumt, siud und müssen bei dem einzelnen Artikel sein ein namhafter Teil von dessen vom Verleger festgesetzten Markt¬ preis. Bei dem geringen Umsatz und der Schwierigkeit und Kostspieligkeit des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/439>, abgerufen am 03.07.2024.