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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

drücken läßt. Denn sie kehrt dann ihre eignen Waffen gegen sich selbst und
zerstört das innerste Wesen der armen Betrogenen, welche glaubten, die Gesetze
ihres Daseins durch die Vorschriften der Ehre und des Stolzes ungiltig machen
zu können. Solche Irrtümer sind die Quelle des meisten Unglücks in der höhern
Gesellschaft.

Ich bin andrer Meinung, sagte der Baron. Meiner Überzeugung nach
liegt die Quelle dieses Unglücks ganz einfach in der Verachtung der von Gott
selbst eingesetzten Autorität in religiöser und staatlicher Hinsicht. Die moderne
Gesellschaft hat sich nicht gescheut, an die Heiligkeit des Altars und des Thrones
zu rühren, das ist der Urgrund aller Zerfahrenheit in der Neuzeit. Denn wie
wollte wohl die Autorität des Vaters, die Autorität des Eheherrn respektirt
werden, wo das Götzenbild der Vernunft an Stelle der Offenbarung gesetzt und
die königliche Macht durch eine Schaar demokratischer Schreihälse beeinträchtigt
wird? Übrigens, um auf diesen besondern Fall zurückzukommen: Mit mir liegt
die Sache anders, als sie mit Ihnen gelegen hat. Ich habe, wenn ich mich
wirklich entschließen sollte, zu heiraten, keineswegs die Absicht, ein junges
Mädchen zu nehmen.

Sie werden es nach dem, was wir schon besprochen haben, nicht für eine
Indiskretion halten, sagte der Graf lächelnd, wenn ich die Vermutung ausspreche,
daß Sie die Frau Gräfin von Altenschwerdt heiraten wollen.

Baron Sextus hustete und wandte sich ab. Allerdings hatte ich daran
gedacht, erwiederte er. Vorausgesetzt natürlich, daß diese Dame geneigt wäre,
ihre Unabhängigkeit aufzugeben, um einem eigenwilligen und bärbeißigen alten
Soldaten den Lebensabend zu verschönern.

Haben Sie die Gräfin schon früher gekannt? fragte der General. Soviel
ich weiß, ist sie eine geborne Freiin von Ansemburg.

Persönlich kenne ich sie erst seit dem Tage, wo Sie sie bei mir sahen. Ich
habe indessen gehört, daß sie eine glänzende Rolle in der Gesellschaft gespielt hat.
Die Ansemburgs sind eine sehr gute, alte Familie. Als ich noch im Dienste
war, habe ich wohl von dem Vater der Gräfin als einem der besten Steeple-
chase-Reiter damaliger Zeit reden hören. Der Graf Altenschwerdt war, wenn
ich mich recht entsinne, ein etwas excentrischer Herr. Er war viel im Aus¬
lande und soll viel Geld für Gemälde ausgegeben haben. Sehen Sie, verehrter
Freund, fuhr Baron Sextus dann lebhafter und in weichem Tone fort, indem
er sich wieder dem General gegenübersetzte, ich habe nicht viel Freude im Leben
gehabt. Schon früh war ich verwitwet -- ich hatte den Dienst bei meiner
Verheiratung quittirt, um besser ein Auge auf meine Besitzungen haben zu
können -- der heißeste Wunsch meines Lebens, einen Sohn mein nennen zu
können, der diese Besitzungen erben würde, blieb mir versagt -- ich lebe recht
trostlos dahin. Wäre ich im Dienst geblieben, so könnte ich jetzt vielleicht einen
Namen unter den Führern unsrer Armee haben -- auch das blieb mir ver-


Die Grafen von Altenschwerdt.

drücken läßt. Denn sie kehrt dann ihre eignen Waffen gegen sich selbst und
zerstört das innerste Wesen der armen Betrogenen, welche glaubten, die Gesetze
ihres Daseins durch die Vorschriften der Ehre und des Stolzes ungiltig machen
zu können. Solche Irrtümer sind die Quelle des meisten Unglücks in der höhern
Gesellschaft.

Ich bin andrer Meinung, sagte der Baron. Meiner Überzeugung nach
liegt die Quelle dieses Unglücks ganz einfach in der Verachtung der von Gott
selbst eingesetzten Autorität in religiöser und staatlicher Hinsicht. Die moderne
Gesellschaft hat sich nicht gescheut, an die Heiligkeit des Altars und des Thrones
zu rühren, das ist der Urgrund aller Zerfahrenheit in der Neuzeit. Denn wie
wollte wohl die Autorität des Vaters, die Autorität des Eheherrn respektirt
werden, wo das Götzenbild der Vernunft an Stelle der Offenbarung gesetzt und
die königliche Macht durch eine Schaar demokratischer Schreihälse beeinträchtigt
wird? Übrigens, um auf diesen besondern Fall zurückzukommen: Mit mir liegt
die Sache anders, als sie mit Ihnen gelegen hat. Ich habe, wenn ich mich
wirklich entschließen sollte, zu heiraten, keineswegs die Absicht, ein junges
Mädchen zu nehmen.

Sie werden es nach dem, was wir schon besprochen haben, nicht für eine
Indiskretion halten, sagte der Graf lächelnd, wenn ich die Vermutung ausspreche,
daß Sie die Frau Gräfin von Altenschwerdt heiraten wollen.

Baron Sextus hustete und wandte sich ab. Allerdings hatte ich daran
gedacht, erwiederte er. Vorausgesetzt natürlich, daß diese Dame geneigt wäre,
ihre Unabhängigkeit aufzugeben, um einem eigenwilligen und bärbeißigen alten
Soldaten den Lebensabend zu verschönern.

Haben Sie die Gräfin schon früher gekannt? fragte der General. Soviel
ich weiß, ist sie eine geborne Freiin von Ansemburg.

Persönlich kenne ich sie erst seit dem Tage, wo Sie sie bei mir sahen. Ich
habe indessen gehört, daß sie eine glänzende Rolle in der Gesellschaft gespielt hat.
Die Ansemburgs sind eine sehr gute, alte Familie. Als ich noch im Dienste
war, habe ich wohl von dem Vater der Gräfin als einem der besten Steeple-
chase-Reiter damaliger Zeit reden hören. Der Graf Altenschwerdt war, wenn
ich mich recht entsinne, ein etwas excentrischer Herr. Er war viel im Aus¬
lande und soll viel Geld für Gemälde ausgegeben haben. Sehen Sie, verehrter
Freund, fuhr Baron Sextus dann lebhafter und in weichem Tone fort, indem
er sich wieder dem General gegenübersetzte, ich habe nicht viel Freude im Leben
gehabt. Schon früh war ich verwitwet — ich hatte den Dienst bei meiner
Verheiratung quittirt, um besser ein Auge auf meine Besitzungen haben zu
können — der heißeste Wunsch meines Lebens, einen Sohn mein nennen zu
können, der diese Besitzungen erben würde, blieb mir versagt — ich lebe recht
trostlos dahin. Wäre ich im Dienst geblieben, so könnte ich jetzt vielleicht einen
Namen unter den Führern unsrer Armee haben — auch das blieb mir ver-


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[0423] Die Grafen von Altenschwerdt. drücken läßt. Denn sie kehrt dann ihre eignen Waffen gegen sich selbst und zerstört das innerste Wesen der armen Betrogenen, welche glaubten, die Gesetze ihres Daseins durch die Vorschriften der Ehre und des Stolzes ungiltig machen zu können. Solche Irrtümer sind die Quelle des meisten Unglücks in der höhern Gesellschaft. Ich bin andrer Meinung, sagte der Baron. Meiner Überzeugung nach liegt die Quelle dieses Unglücks ganz einfach in der Verachtung der von Gott selbst eingesetzten Autorität in religiöser und staatlicher Hinsicht. Die moderne Gesellschaft hat sich nicht gescheut, an die Heiligkeit des Altars und des Thrones zu rühren, das ist der Urgrund aller Zerfahrenheit in der Neuzeit. Denn wie wollte wohl die Autorität des Vaters, die Autorität des Eheherrn respektirt werden, wo das Götzenbild der Vernunft an Stelle der Offenbarung gesetzt und die königliche Macht durch eine Schaar demokratischer Schreihälse beeinträchtigt wird? Übrigens, um auf diesen besondern Fall zurückzukommen: Mit mir liegt die Sache anders, als sie mit Ihnen gelegen hat. Ich habe, wenn ich mich wirklich entschließen sollte, zu heiraten, keineswegs die Absicht, ein junges Mädchen zu nehmen. Sie werden es nach dem, was wir schon besprochen haben, nicht für eine Indiskretion halten, sagte der Graf lächelnd, wenn ich die Vermutung ausspreche, daß Sie die Frau Gräfin von Altenschwerdt heiraten wollen. Baron Sextus hustete und wandte sich ab. Allerdings hatte ich daran gedacht, erwiederte er. Vorausgesetzt natürlich, daß diese Dame geneigt wäre, ihre Unabhängigkeit aufzugeben, um einem eigenwilligen und bärbeißigen alten Soldaten den Lebensabend zu verschönern. Haben Sie die Gräfin schon früher gekannt? fragte der General. Soviel ich weiß, ist sie eine geborne Freiin von Ansemburg. Persönlich kenne ich sie erst seit dem Tage, wo Sie sie bei mir sahen. Ich habe indessen gehört, daß sie eine glänzende Rolle in der Gesellschaft gespielt hat. Die Ansemburgs sind eine sehr gute, alte Familie. Als ich noch im Dienste war, habe ich wohl von dem Vater der Gräfin als einem der besten Steeple- chase-Reiter damaliger Zeit reden hören. Der Graf Altenschwerdt war, wenn ich mich recht entsinne, ein etwas excentrischer Herr. Er war viel im Aus¬ lande und soll viel Geld für Gemälde ausgegeben haben. Sehen Sie, verehrter Freund, fuhr Baron Sextus dann lebhafter und in weichem Tone fort, indem er sich wieder dem General gegenübersetzte, ich habe nicht viel Freude im Leben gehabt. Schon früh war ich verwitwet — ich hatte den Dienst bei meiner Verheiratung quittirt, um besser ein Auge auf meine Besitzungen haben zu können — der heißeste Wunsch meines Lebens, einen Sohn mein nennen zu können, der diese Besitzungen erben würde, blieb mir versagt — ich lebe recht trostlos dahin. Wäre ich im Dienst geblieben, so könnte ich jetzt vielleicht einen Namen unter den Führern unsrer Armee haben — auch das blieb mir ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/423>, abgerufen am 24.08.2024.