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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerot.

Mein Verehrtester Herr Nachbar, sagte der General nach einer langen Pause,
ich habe nun, so lange ich lebe, immer noch die Erfahrung gemacht, daß kein
Mensch jemals einen andern um Rat fragt, als nur aus dem alleinigen Grunde
und aus dem einzigen Verlangen, eine Bestätigung seiner eignen Ansicht und
eine Bestärkung in seinem Vorsatz zu hören.

Bei mir trifft das nicht zu, sagte Baron Sextus trocken.

Der General lächelte. Es giebt eine Art von Freundschaft, sagte er, welche
in der Besorgnis, sich zu kompromittiren, mit ihrem Rat gerade in denjenigen
Fällen zurückhält, wo er am nötigsten wäre, oder welche aus falscher Nachgiebig¬
keit gegen bessere Überzeugung spricht. Ich glaube, daß eine derartige Freund¬
schaft gefährlicher ist als offne Feindschaft, und ich möchte nicht, daß ich mir
selbst jemals den Vorwurf machen müßte, ein solcher falscher Freund gewesen
zu sein. Deshalb will ich, da Sie mich einmal gefragt haben, mein lieber
Nachbar, mit meiner Ansicht nicht hinter dem Berge halten. Es ist ja schließlich
nur meine individuelle Meinung, die ich äußern kann, und eine objektive Richtig¬
keit der Anschauung kann ich so wenig wie irgend ein andrer beanspruchen.
Vielleicht haben meine persönlichen Erfahrungen dazu beigetragen, mich über¬
haupt etwas skeptisch hinsichtlich ehelichen Glückes zu machen. Sie wissen, daß
ich in vorgerücktem Alter mich mit einer Dame vermählte, welche etwa fünf¬
undzwanzig Jahre jünger war als ich, und daß ein trauriges Schicksal die Folge
davon war. Sie ist jetzt tot, und ich weine ihr Thränen nach, die ihre Quelle
in der Erkenntnis meiner Thorheit haben. Mein eignes Unglück hat mir Ver¬
anlassung gegeben, über die Bedingungen einer glücklichen Ehe nachzudenken,
und ich bin zu einem Schlüsse gekommen, der für Sie, mein Freund, wenn ich
ihn auf Ihre Idee anwende, durchaus nicht günstig lautet. Wollen Sie daher
meinem Rate folgen, so lassen Sie das Wagstück, von dem Sie sprechen.

Der Baron verließ seinen Platz vor dem Kamin, ging auf den Baron zu
und reichte ihm die Hand, indem er sagte, er bedauere im höchsten Grade, so
traurige Erinnerungen wieder aufgeweckt zu haben. Übrigens sollte ich meinen,
Verehrtester Freund, fuhr er dann fort, daß Sie in Ihrem edelmütigen Be¬
streben, den schuldigen Teil zum eignen Nachteil zu entlasten, wohl zu weit gehen.
Ich habe darüber meine besondern Gedanken. Eine tugendhafte und von
rechtlichen Gesinnungen, von Ehrenhaftigkeit und Stolz erfüllte Frau würde es
sich unter allen Umständen zur Ehre angerechnet haben, an der Seite eines
Mannes wie Sie durchs Leben zu gehen.

Der General schüttelte den Kopf. Es sind derartige Ansichten und hierauf
gegründete Maximen hinsichtlich der Ehe vielfach im Schwange, sagte er. Aber
ich glaube trotzdem nicht, daß sie richtig sind. Die Natur siegt unter allen
Umständen, mein Freund, und sie kümmert sich gar wenig um unsre, aus dem
Kodex der gesellschaftlichen Regeln abgezogenen Wünsche. Ja ich möchte wohl
behaupten, daß es sehr schlimm ist, wenn sie sich durch äußere Rücksichten unter-


Die Grafen von Altenschwerot.

Mein Verehrtester Herr Nachbar, sagte der General nach einer langen Pause,
ich habe nun, so lange ich lebe, immer noch die Erfahrung gemacht, daß kein
Mensch jemals einen andern um Rat fragt, als nur aus dem alleinigen Grunde
und aus dem einzigen Verlangen, eine Bestätigung seiner eignen Ansicht und
eine Bestärkung in seinem Vorsatz zu hören.

Bei mir trifft das nicht zu, sagte Baron Sextus trocken.

Der General lächelte. Es giebt eine Art von Freundschaft, sagte er, welche
in der Besorgnis, sich zu kompromittiren, mit ihrem Rat gerade in denjenigen
Fällen zurückhält, wo er am nötigsten wäre, oder welche aus falscher Nachgiebig¬
keit gegen bessere Überzeugung spricht. Ich glaube, daß eine derartige Freund¬
schaft gefährlicher ist als offne Feindschaft, und ich möchte nicht, daß ich mir
selbst jemals den Vorwurf machen müßte, ein solcher falscher Freund gewesen
zu sein. Deshalb will ich, da Sie mich einmal gefragt haben, mein lieber
Nachbar, mit meiner Ansicht nicht hinter dem Berge halten. Es ist ja schließlich
nur meine individuelle Meinung, die ich äußern kann, und eine objektive Richtig¬
keit der Anschauung kann ich so wenig wie irgend ein andrer beanspruchen.
Vielleicht haben meine persönlichen Erfahrungen dazu beigetragen, mich über¬
haupt etwas skeptisch hinsichtlich ehelichen Glückes zu machen. Sie wissen, daß
ich in vorgerücktem Alter mich mit einer Dame vermählte, welche etwa fünf¬
undzwanzig Jahre jünger war als ich, und daß ein trauriges Schicksal die Folge
davon war. Sie ist jetzt tot, und ich weine ihr Thränen nach, die ihre Quelle
in der Erkenntnis meiner Thorheit haben. Mein eignes Unglück hat mir Ver¬
anlassung gegeben, über die Bedingungen einer glücklichen Ehe nachzudenken,
und ich bin zu einem Schlüsse gekommen, der für Sie, mein Freund, wenn ich
ihn auf Ihre Idee anwende, durchaus nicht günstig lautet. Wollen Sie daher
meinem Rate folgen, so lassen Sie das Wagstück, von dem Sie sprechen.

Der Baron verließ seinen Platz vor dem Kamin, ging auf den Baron zu
und reichte ihm die Hand, indem er sagte, er bedauere im höchsten Grade, so
traurige Erinnerungen wieder aufgeweckt zu haben. Übrigens sollte ich meinen,
Verehrtester Freund, fuhr er dann fort, daß Sie in Ihrem edelmütigen Be¬
streben, den schuldigen Teil zum eignen Nachteil zu entlasten, wohl zu weit gehen.
Ich habe darüber meine besondern Gedanken. Eine tugendhafte und von
rechtlichen Gesinnungen, von Ehrenhaftigkeit und Stolz erfüllte Frau würde es
sich unter allen Umständen zur Ehre angerechnet haben, an der Seite eines
Mannes wie Sie durchs Leben zu gehen.

Der General schüttelte den Kopf. Es sind derartige Ansichten und hierauf
gegründete Maximen hinsichtlich der Ehe vielfach im Schwange, sagte er. Aber
ich glaube trotzdem nicht, daß sie richtig sind. Die Natur siegt unter allen
Umständen, mein Freund, und sie kümmert sich gar wenig um unsre, aus dem
Kodex der gesellschaftlichen Regeln abgezogenen Wünsche. Ja ich möchte wohl
behaupten, daß es sehr schlimm ist, wenn sie sich durch äußere Rücksichten unter-


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[0422] Die Grafen von Altenschwerot. Mein Verehrtester Herr Nachbar, sagte der General nach einer langen Pause, ich habe nun, so lange ich lebe, immer noch die Erfahrung gemacht, daß kein Mensch jemals einen andern um Rat fragt, als nur aus dem alleinigen Grunde und aus dem einzigen Verlangen, eine Bestätigung seiner eignen Ansicht und eine Bestärkung in seinem Vorsatz zu hören. Bei mir trifft das nicht zu, sagte Baron Sextus trocken. Der General lächelte. Es giebt eine Art von Freundschaft, sagte er, welche in der Besorgnis, sich zu kompromittiren, mit ihrem Rat gerade in denjenigen Fällen zurückhält, wo er am nötigsten wäre, oder welche aus falscher Nachgiebig¬ keit gegen bessere Überzeugung spricht. Ich glaube, daß eine derartige Freund¬ schaft gefährlicher ist als offne Feindschaft, und ich möchte nicht, daß ich mir selbst jemals den Vorwurf machen müßte, ein solcher falscher Freund gewesen zu sein. Deshalb will ich, da Sie mich einmal gefragt haben, mein lieber Nachbar, mit meiner Ansicht nicht hinter dem Berge halten. Es ist ja schließlich nur meine individuelle Meinung, die ich äußern kann, und eine objektive Richtig¬ keit der Anschauung kann ich so wenig wie irgend ein andrer beanspruchen. Vielleicht haben meine persönlichen Erfahrungen dazu beigetragen, mich über¬ haupt etwas skeptisch hinsichtlich ehelichen Glückes zu machen. Sie wissen, daß ich in vorgerücktem Alter mich mit einer Dame vermählte, welche etwa fünf¬ undzwanzig Jahre jünger war als ich, und daß ein trauriges Schicksal die Folge davon war. Sie ist jetzt tot, und ich weine ihr Thränen nach, die ihre Quelle in der Erkenntnis meiner Thorheit haben. Mein eignes Unglück hat mir Ver¬ anlassung gegeben, über die Bedingungen einer glücklichen Ehe nachzudenken, und ich bin zu einem Schlüsse gekommen, der für Sie, mein Freund, wenn ich ihn auf Ihre Idee anwende, durchaus nicht günstig lautet. Wollen Sie daher meinem Rate folgen, so lassen Sie das Wagstück, von dem Sie sprechen. Der Baron verließ seinen Platz vor dem Kamin, ging auf den Baron zu und reichte ihm die Hand, indem er sagte, er bedauere im höchsten Grade, so traurige Erinnerungen wieder aufgeweckt zu haben. Übrigens sollte ich meinen, Verehrtester Freund, fuhr er dann fort, daß Sie in Ihrem edelmütigen Be¬ streben, den schuldigen Teil zum eignen Nachteil zu entlasten, wohl zu weit gehen. Ich habe darüber meine besondern Gedanken. Eine tugendhafte und von rechtlichen Gesinnungen, von Ehrenhaftigkeit und Stolz erfüllte Frau würde es sich unter allen Umständen zur Ehre angerechnet haben, an der Seite eines Mannes wie Sie durchs Leben zu gehen. Der General schüttelte den Kopf. Es sind derartige Ansichten und hierauf gegründete Maximen hinsichtlich der Ehe vielfach im Schwange, sagte er. Aber ich glaube trotzdem nicht, daß sie richtig sind. Die Natur siegt unter allen Umständen, mein Freund, und sie kümmert sich gar wenig um unsre, aus dem Kodex der gesellschaftlichen Regeln abgezogenen Wünsche. Ja ich möchte wohl behaupten, daß es sehr schlimm ist, wenn sie sich durch äußere Rücksichten unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/422>, abgerufen am 24.08.2024.