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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

getragen, daß er nicht daran dachte, ein alter Mann zu sein, und in Gegen¬
wart der Gräfin -- so geschickt hatte sie gespielt -- fühlte er sich oft ganz
jung, fühlte sich immer verpflichtet, jung zu sein. Es war bewundernswert, wie
Gräfin Sibylle es verstand, ihn: eine wollene Decke über den Fuß zu legen,
ihm ein Kissen in den Nacken zu stopfen, ihm eine Fußbank unterzuschieben,
ohne daß es den Anschein hatte, als geschähe dergleichen. Sie scheute sich nie¬
mals, solche Dienste selbst zu leisten, es schien ihr im Gegenteil die höchste
Freude zu gewähren, ihn zu bedienen, und er ließ es sich gern gefallen, die
Weißen Finger mit den blitzenden Ringen geschäftig um seine Bequemlichkeit be¬
müht zu sehen. Hatte es doch niemals das Aussehen, als werde ein Invalide
verpflegt, und wenn Baron Sextus unter ihrer Sorge in einem weichgepolsterten
Lehnstuhl mit einer Schlummerrolle unter dem Kopfe und das gichtische Bein
auf einem schwellenden, sanft gebogenen Faullenzer ausgestreckt, dalag, hatte er
das Gefühl, ein Mann in seinen besten Jahren zu sein, der es sich zur Abwechs¬
lung einmal bequem mache. Wie sie seine kleinen Schwächen zu behandeln ver¬
stand! Er hatte unter anderm die Eigenheit, das Schlafen am Tage als eine
sybaritische schlechte Gewohnheit hart zu verurteilen. Ein richtiger Feldsoldat,
pflegte er zu sagen, der müsse schlafen können wie die Hunde, zu jeder Stunde.
Er müsse zum Schlafen die Zeit benutzen, welche ihm der Dienst dazu frei lasse,
gleichviel ob es Tag oder Nacht sei. Die Gewohnheit aber, welche heutzutage
sogar junge Offiziere angenommen hätten, sich am Tage auf dem Sopha laug
zu machen, sei weibisch und verrate den Niedergang der alten preußischen Stramm¬
heit. Diese Ansicht verhinderte ihn jedoch nicht, selbst um die Stunde zwischen
vier und fünf, wo er meistens in seinem Arbeitszimmer oder in der Bibliothek
war, über dem Lesen einzunicken. Er würde niemals zugegeben haben, daß er
geschlafen hätte, er würde es sehr übel vermerkt haben, wenn man dies Ein¬
nicken hätte bemerken wollen. Gräfin Sibylle schien dies instinktmäßig erfahren
zu haben. Sie war mehrere male um diese Zeit bei ihm gewesen, da sie in
Schloß Eichhausen von einem großen Interesse für die Schätze der Bibliothek
beseelt wurde, und sie bemerkte wohl, daß mitten im Gespräche über den Stamm¬
baum oder das Wappen irgend eines stolzen Geschlechts zu bestimmter Zeit die
Augen des alten Herrn sich schlössen und bald nachher sein tiefer, regelmäßiger
Atem sich in Schnarchen verwandelte. Dann hielten sich selbst die gemalten
Edeldamen an den Wänden nicht ruhiger als Gräfin Sibylle, kein Fältchen
ihres Kleides veränderte die Lage, kein Blatt im Buche raschelte, kein Armband
klirrte, nur erschlafften wohl die Züge des scharf geschnittenen Gesichtes, und es
nahmen die funkelnden Augen einen weniger lebhaften Ausdruck an. Ließ der
leisere Atem aber das nahe Erwachen des Barons erkennen und öffneten sich
seine Augen, so fuhr Gräfin Sibylle mitten in dem Satze fort, der vor einer
halben Stunde vielleicht schon begonnen war, und unmöglich hätte Baron Sextus
erkennen können, daß diese liebenswürdige Frau seine UnHöflichkeit und seine


Die Grafen von Altenschwerdt.

getragen, daß er nicht daran dachte, ein alter Mann zu sein, und in Gegen¬
wart der Gräfin — so geschickt hatte sie gespielt — fühlte er sich oft ganz
jung, fühlte sich immer verpflichtet, jung zu sein. Es war bewundernswert, wie
Gräfin Sibylle es verstand, ihn: eine wollene Decke über den Fuß zu legen,
ihm ein Kissen in den Nacken zu stopfen, ihm eine Fußbank unterzuschieben,
ohne daß es den Anschein hatte, als geschähe dergleichen. Sie scheute sich nie¬
mals, solche Dienste selbst zu leisten, es schien ihr im Gegenteil die höchste
Freude zu gewähren, ihn zu bedienen, und er ließ es sich gern gefallen, die
Weißen Finger mit den blitzenden Ringen geschäftig um seine Bequemlichkeit be¬
müht zu sehen. Hatte es doch niemals das Aussehen, als werde ein Invalide
verpflegt, und wenn Baron Sextus unter ihrer Sorge in einem weichgepolsterten
Lehnstuhl mit einer Schlummerrolle unter dem Kopfe und das gichtische Bein
auf einem schwellenden, sanft gebogenen Faullenzer ausgestreckt, dalag, hatte er
das Gefühl, ein Mann in seinen besten Jahren zu sein, der es sich zur Abwechs¬
lung einmal bequem mache. Wie sie seine kleinen Schwächen zu behandeln ver¬
stand! Er hatte unter anderm die Eigenheit, das Schlafen am Tage als eine
sybaritische schlechte Gewohnheit hart zu verurteilen. Ein richtiger Feldsoldat,
pflegte er zu sagen, der müsse schlafen können wie die Hunde, zu jeder Stunde.
Er müsse zum Schlafen die Zeit benutzen, welche ihm der Dienst dazu frei lasse,
gleichviel ob es Tag oder Nacht sei. Die Gewohnheit aber, welche heutzutage
sogar junge Offiziere angenommen hätten, sich am Tage auf dem Sopha laug
zu machen, sei weibisch und verrate den Niedergang der alten preußischen Stramm¬
heit. Diese Ansicht verhinderte ihn jedoch nicht, selbst um die Stunde zwischen
vier und fünf, wo er meistens in seinem Arbeitszimmer oder in der Bibliothek
war, über dem Lesen einzunicken. Er würde niemals zugegeben haben, daß er
geschlafen hätte, er würde es sehr übel vermerkt haben, wenn man dies Ein¬
nicken hätte bemerken wollen. Gräfin Sibylle schien dies instinktmäßig erfahren
zu haben. Sie war mehrere male um diese Zeit bei ihm gewesen, da sie in
Schloß Eichhausen von einem großen Interesse für die Schätze der Bibliothek
beseelt wurde, und sie bemerkte wohl, daß mitten im Gespräche über den Stamm¬
baum oder das Wappen irgend eines stolzen Geschlechts zu bestimmter Zeit die
Augen des alten Herrn sich schlössen und bald nachher sein tiefer, regelmäßiger
Atem sich in Schnarchen verwandelte. Dann hielten sich selbst die gemalten
Edeldamen an den Wänden nicht ruhiger als Gräfin Sibylle, kein Fältchen
ihres Kleides veränderte die Lage, kein Blatt im Buche raschelte, kein Armband
klirrte, nur erschlafften wohl die Züge des scharf geschnittenen Gesichtes, und es
nahmen die funkelnden Augen einen weniger lebhaften Ausdruck an. Ließ der
leisere Atem aber das nahe Erwachen des Barons erkennen und öffneten sich
seine Augen, so fuhr Gräfin Sibylle mitten in dem Satze fort, der vor einer
halben Stunde vielleicht schon begonnen war, und unmöglich hätte Baron Sextus
erkennen können, daß diese liebenswürdige Frau seine UnHöflichkeit und seine


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[0418] Die Grafen von Altenschwerdt. getragen, daß er nicht daran dachte, ein alter Mann zu sein, und in Gegen¬ wart der Gräfin — so geschickt hatte sie gespielt — fühlte er sich oft ganz jung, fühlte sich immer verpflichtet, jung zu sein. Es war bewundernswert, wie Gräfin Sibylle es verstand, ihn: eine wollene Decke über den Fuß zu legen, ihm ein Kissen in den Nacken zu stopfen, ihm eine Fußbank unterzuschieben, ohne daß es den Anschein hatte, als geschähe dergleichen. Sie scheute sich nie¬ mals, solche Dienste selbst zu leisten, es schien ihr im Gegenteil die höchste Freude zu gewähren, ihn zu bedienen, und er ließ es sich gern gefallen, die Weißen Finger mit den blitzenden Ringen geschäftig um seine Bequemlichkeit be¬ müht zu sehen. Hatte es doch niemals das Aussehen, als werde ein Invalide verpflegt, und wenn Baron Sextus unter ihrer Sorge in einem weichgepolsterten Lehnstuhl mit einer Schlummerrolle unter dem Kopfe und das gichtische Bein auf einem schwellenden, sanft gebogenen Faullenzer ausgestreckt, dalag, hatte er das Gefühl, ein Mann in seinen besten Jahren zu sein, der es sich zur Abwechs¬ lung einmal bequem mache. Wie sie seine kleinen Schwächen zu behandeln ver¬ stand! Er hatte unter anderm die Eigenheit, das Schlafen am Tage als eine sybaritische schlechte Gewohnheit hart zu verurteilen. Ein richtiger Feldsoldat, pflegte er zu sagen, der müsse schlafen können wie die Hunde, zu jeder Stunde. Er müsse zum Schlafen die Zeit benutzen, welche ihm der Dienst dazu frei lasse, gleichviel ob es Tag oder Nacht sei. Die Gewohnheit aber, welche heutzutage sogar junge Offiziere angenommen hätten, sich am Tage auf dem Sopha laug zu machen, sei weibisch und verrate den Niedergang der alten preußischen Stramm¬ heit. Diese Ansicht verhinderte ihn jedoch nicht, selbst um die Stunde zwischen vier und fünf, wo er meistens in seinem Arbeitszimmer oder in der Bibliothek war, über dem Lesen einzunicken. Er würde niemals zugegeben haben, daß er geschlafen hätte, er würde es sehr übel vermerkt haben, wenn man dies Ein¬ nicken hätte bemerken wollen. Gräfin Sibylle schien dies instinktmäßig erfahren zu haben. Sie war mehrere male um diese Zeit bei ihm gewesen, da sie in Schloß Eichhausen von einem großen Interesse für die Schätze der Bibliothek beseelt wurde, und sie bemerkte wohl, daß mitten im Gespräche über den Stamm¬ baum oder das Wappen irgend eines stolzen Geschlechts zu bestimmter Zeit die Augen des alten Herrn sich schlössen und bald nachher sein tiefer, regelmäßiger Atem sich in Schnarchen verwandelte. Dann hielten sich selbst die gemalten Edeldamen an den Wänden nicht ruhiger als Gräfin Sibylle, kein Fältchen ihres Kleides veränderte die Lage, kein Blatt im Buche raschelte, kein Armband klirrte, nur erschlafften wohl die Züge des scharf geschnittenen Gesichtes, und es nahmen die funkelnden Augen einen weniger lebhaften Ausdruck an. Ließ der leisere Atem aber das nahe Erwachen des Barons erkennen und öffneten sich seine Augen, so fuhr Gräfin Sibylle mitten in dem Satze fort, der vor einer halben Stunde vielleicht schon begonnen war, und unmöglich hätte Baron Sextus erkennen können, daß diese liebenswürdige Frau seine UnHöflichkeit und seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/418>, abgerufen am 03.07.2024.