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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

schiefen Lage, und es war ihm peinlich, immer wieder seine Liebenswürdigkeiten
wie seine geistreichen Bemerkungen mit höflicher Kälte aufgenommen zu sehen.
Graf von Franeker war kein Freund von Diners. Er war an eine äußerst
einfache und frugale Kost gewöhnt und zog das Wasser allen übrigen Ge¬
tränken vor. Pfarrer Sengstack war so glücklich und so verwirrt, daß er gar
nicht wußte, was er genoß. Wenn Dorothea das Wort an ihn richtete, ver¬
wechselte er Fisch und Fleisch, und indem er überlegte, was er ihr antworten
sollte, that er Salz an sein Quittengelbe. Sie richtete sehr oft das Wort an
ihn, da er der einzige bei Tische war, mit dem sie ganz unbefangen sprechen
konnte, und der arme Geistliche war mehr als einmal nahe daran, zu ersticken,
indem er durch rasches niederschlucken eines halbgekauten Bissens seinen Sprach¬
organen Raum schaffen wollte. Gräfin Sibylle endlich war viel zu sehr damit
beschäftigt, den Baron zu unterhalten, als daß sie die Speisen und Getränke
besonders hätte beachten können.

Wohl wußte sie den Laffitte zu schätzen, der wie ein Rubin in ihrem Glase
funkelte und auch das Licht ihrer Allgen zu beleben vermochte, wohl schlürfte
sie mit der Zunge des Kenners den schweren Carte noire aus der flachen ge¬
schliffenen Schale, aber sie vergaß keinen Augenblick den Zweck ihres Besuches,
und die Bezauberung ihres Wirtes blieb beharrlich ihre Aufgabe. Sie hatte
während der Zeit ihrer Anwesenheit im Schlosse den Charakter des Barons
durch aufmerksames Zuhören und Beobachten so genau kennen gelernt, daß sie
fast immer vorher wußte, was der offenherzige, biedere alte Herr zu sagen be¬
absichtigte. Dann pflegte sie, während er zu sprechen anfing, seinen Blick mit
ihren fesselnden Augen festzuhalten, ganz andächtig in seine Rede versunken und
seine Worte gleichsam durstig auffangend. Und in seine Gedanken pflegte sie
hie und da ein Wort hineinzuwerfen, welches den Sinn dessen, was folgen mußte,
schon vorher leise andeutete und im voraus bestätigte. Es ist merkwürdig, sagte
sie dann wohl, wenn er geendigt hatte, es ist höchst merkwürdig, wie unsre
Ideen sich berühren. Ganz dieselben Gedanken sind durch meine Seele gezogen,
nur vermochte ich niemals, denselben einen so klaren, überzeugenden Ausdruck
zu geben.

Mit bewundernswerter Geschicklichkeit verstand sie, den Baron die Süßig¬
keit einer sorgenden, pflegenden weiblichen Hand fühlen zu lassen, ohne seinen
Stolz auf seine Rüstigkeit zu verletzen. Eine gewöhnliche Frau wäre an dieser
Aufgabe gescheitert, eine gewöhnliche Frau hätte nach dieser oder jener Seite
hin zuviel gethan. Baron Sextus war von seinem Gichtanfall wiederhergestellt,
aber es war bei ihm noch eine große Empfindlichkeit gegen Zugluft und gegen
unbequeme Lagen seines kranken Fußes zurückgeblieben. Deshalb war ihm Scho¬
nung und Pflege sehr erwünscht. Aber Baron Sextus fühlte auch den Eska¬
dronchef noch in allen Gliedern und gab sich das Ansehen, alles verzärtelte
und weibische Wesen zu verachten. Er hatte seine vierundsechzig Jahre so wacker


Grenzboten II. 1883. 62
Die Grafen von Altenschwerdt.

schiefen Lage, und es war ihm peinlich, immer wieder seine Liebenswürdigkeiten
wie seine geistreichen Bemerkungen mit höflicher Kälte aufgenommen zu sehen.
Graf von Franeker war kein Freund von Diners. Er war an eine äußerst
einfache und frugale Kost gewöhnt und zog das Wasser allen übrigen Ge¬
tränken vor. Pfarrer Sengstack war so glücklich und so verwirrt, daß er gar
nicht wußte, was er genoß. Wenn Dorothea das Wort an ihn richtete, ver¬
wechselte er Fisch und Fleisch, und indem er überlegte, was er ihr antworten
sollte, that er Salz an sein Quittengelbe. Sie richtete sehr oft das Wort an
ihn, da er der einzige bei Tische war, mit dem sie ganz unbefangen sprechen
konnte, und der arme Geistliche war mehr als einmal nahe daran, zu ersticken,
indem er durch rasches niederschlucken eines halbgekauten Bissens seinen Sprach¬
organen Raum schaffen wollte. Gräfin Sibylle endlich war viel zu sehr damit
beschäftigt, den Baron zu unterhalten, als daß sie die Speisen und Getränke
besonders hätte beachten können.

Wohl wußte sie den Laffitte zu schätzen, der wie ein Rubin in ihrem Glase
funkelte und auch das Licht ihrer Allgen zu beleben vermochte, wohl schlürfte
sie mit der Zunge des Kenners den schweren Carte noire aus der flachen ge¬
schliffenen Schale, aber sie vergaß keinen Augenblick den Zweck ihres Besuches,
und die Bezauberung ihres Wirtes blieb beharrlich ihre Aufgabe. Sie hatte
während der Zeit ihrer Anwesenheit im Schlosse den Charakter des Barons
durch aufmerksames Zuhören und Beobachten so genau kennen gelernt, daß sie
fast immer vorher wußte, was der offenherzige, biedere alte Herr zu sagen be¬
absichtigte. Dann pflegte sie, während er zu sprechen anfing, seinen Blick mit
ihren fesselnden Augen festzuhalten, ganz andächtig in seine Rede versunken und
seine Worte gleichsam durstig auffangend. Und in seine Gedanken pflegte sie
hie und da ein Wort hineinzuwerfen, welches den Sinn dessen, was folgen mußte,
schon vorher leise andeutete und im voraus bestätigte. Es ist merkwürdig, sagte
sie dann wohl, wenn er geendigt hatte, es ist höchst merkwürdig, wie unsre
Ideen sich berühren. Ganz dieselben Gedanken sind durch meine Seele gezogen,
nur vermochte ich niemals, denselben einen so klaren, überzeugenden Ausdruck
zu geben.

Mit bewundernswerter Geschicklichkeit verstand sie, den Baron die Süßig¬
keit einer sorgenden, pflegenden weiblichen Hand fühlen zu lassen, ohne seinen
Stolz auf seine Rüstigkeit zu verletzen. Eine gewöhnliche Frau wäre an dieser
Aufgabe gescheitert, eine gewöhnliche Frau hätte nach dieser oder jener Seite
hin zuviel gethan. Baron Sextus war von seinem Gichtanfall wiederhergestellt,
aber es war bei ihm noch eine große Empfindlichkeit gegen Zugluft und gegen
unbequeme Lagen seines kranken Fußes zurückgeblieben. Deshalb war ihm Scho¬
nung und Pflege sehr erwünscht. Aber Baron Sextus fühlte auch den Eska¬
dronchef noch in allen Gliedern und gab sich das Ansehen, alles verzärtelte
und weibische Wesen zu verachten. Er hatte seine vierundsechzig Jahre so wacker


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[0417] Die Grafen von Altenschwerdt. schiefen Lage, und es war ihm peinlich, immer wieder seine Liebenswürdigkeiten wie seine geistreichen Bemerkungen mit höflicher Kälte aufgenommen zu sehen. Graf von Franeker war kein Freund von Diners. Er war an eine äußerst einfache und frugale Kost gewöhnt und zog das Wasser allen übrigen Ge¬ tränken vor. Pfarrer Sengstack war so glücklich und so verwirrt, daß er gar nicht wußte, was er genoß. Wenn Dorothea das Wort an ihn richtete, ver¬ wechselte er Fisch und Fleisch, und indem er überlegte, was er ihr antworten sollte, that er Salz an sein Quittengelbe. Sie richtete sehr oft das Wort an ihn, da er der einzige bei Tische war, mit dem sie ganz unbefangen sprechen konnte, und der arme Geistliche war mehr als einmal nahe daran, zu ersticken, indem er durch rasches niederschlucken eines halbgekauten Bissens seinen Sprach¬ organen Raum schaffen wollte. Gräfin Sibylle endlich war viel zu sehr damit beschäftigt, den Baron zu unterhalten, als daß sie die Speisen und Getränke besonders hätte beachten können. Wohl wußte sie den Laffitte zu schätzen, der wie ein Rubin in ihrem Glase funkelte und auch das Licht ihrer Allgen zu beleben vermochte, wohl schlürfte sie mit der Zunge des Kenners den schweren Carte noire aus der flachen ge¬ schliffenen Schale, aber sie vergaß keinen Augenblick den Zweck ihres Besuches, und die Bezauberung ihres Wirtes blieb beharrlich ihre Aufgabe. Sie hatte während der Zeit ihrer Anwesenheit im Schlosse den Charakter des Barons durch aufmerksames Zuhören und Beobachten so genau kennen gelernt, daß sie fast immer vorher wußte, was der offenherzige, biedere alte Herr zu sagen be¬ absichtigte. Dann pflegte sie, während er zu sprechen anfing, seinen Blick mit ihren fesselnden Augen festzuhalten, ganz andächtig in seine Rede versunken und seine Worte gleichsam durstig auffangend. Und in seine Gedanken pflegte sie hie und da ein Wort hineinzuwerfen, welches den Sinn dessen, was folgen mußte, schon vorher leise andeutete und im voraus bestätigte. Es ist merkwürdig, sagte sie dann wohl, wenn er geendigt hatte, es ist höchst merkwürdig, wie unsre Ideen sich berühren. Ganz dieselben Gedanken sind durch meine Seele gezogen, nur vermochte ich niemals, denselben einen so klaren, überzeugenden Ausdruck zu geben. Mit bewundernswerter Geschicklichkeit verstand sie, den Baron die Süßig¬ keit einer sorgenden, pflegenden weiblichen Hand fühlen zu lassen, ohne seinen Stolz auf seine Rüstigkeit zu verletzen. Eine gewöhnliche Frau wäre an dieser Aufgabe gescheitert, eine gewöhnliche Frau hätte nach dieser oder jener Seite hin zuviel gethan. Baron Sextus war von seinem Gichtanfall wiederhergestellt, aber es war bei ihm noch eine große Empfindlichkeit gegen Zugluft und gegen unbequeme Lagen seines kranken Fußes zurückgeblieben. Deshalb war ihm Scho¬ nung und Pflege sehr erwünscht. Aber Baron Sextus fühlte auch den Eska¬ dronchef noch in allen Gliedern und gab sich das Ansehen, alles verzärtelte und weibische Wesen zu verachten. Er hatte seine vierundsechzig Jahre so wacker Grenzboten II. 1883. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/417>, abgerufen am 01.07.2024.