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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die große Aunstausstellnng in Berlin.

Existenz zu verschaffen wußte. Seitdem aber diese zweite Phase in der Münchner
Kunst sich wieder verflüchtigt hat und die Münchner Kunst in Genre- und
Landschaftsmalerei oder, wie böse Zungen sagen, in Wirtshaus- und Touristen¬
malerei auseinandergeflossen ist, hat München kein Anrecht mehr auf den Vor¬
zug, der Vor- und Hauptort deutscher Kunst zu sein. Besitzt denn aber München
keine hervorragenden Porträtmaler? könnte jemand fragen. Ja wohl! einen:
Lenbach, aber der ist erst ein bedeutender Bildnismaler geworden, als er sich
von Piloty lossagte und die Alte", insbesondre Tizian, Van Dyck und Velas-
quez befragte. Und die Münchner Plastik? Ja, wohin die sich seit Wagmüllers
Tode verkrochen hat, weiß kein Mensch zu sagen. Wir werden im Sommer
den Versuch machen, sie auf der internationalen Kunstausstellung in München
ausfindig zu machen. Für heute müssen wir uns mit zwei Porträtbüsten be¬
gnügen, welche Professor Noth nach Berlin geschickt hat, der ganz in das Wag-
müllersche Fahrwasser hineingesteuert ist, d. h. in jene zwar lebendige, aber
malerische Auffassung der Natur, welche schon jetzt die Formenbehandlung des
Barockstils adoptirt hat und notwendig, vielleicht sogar mit Umgehung des an¬
mutigen Rococo, zum Zopfstile führen muß. Daß die sogenannte deutsche Re¬
naissance, wie sie heute in München in der Architektur, in der Möbeltischlerei
und in den übrigen Zweigen des Kunsthandwerks grassirt, sich ohnehin schon
nur noch wenig vom Barockstil unterscheidet, ist eine Thatsache, welche niemand
in Abrede stellen kann, der noch Augen zu sehen hat. Georg Hirth, der
Herausgeber des populären "Formenschatzes," hat diese Neigung der Münchner
Künstler, die sich zum Teil aus historischen, zum Teil aus andern, nicht der Er¬
örterung unterliegenden Ursachen erklärt, auch sehr schnell begriffen und deshalb
den "Formenschatz der Renaissance" in einen allgemeinen "Formenschatz" um¬
gewandelt, in welchem sich Renaissance, Barock, Rococo und Zopf lustig durch¬
einander tummeln.

München will also nach wie vor der Zentralpunkt der deutscheu Kuust-
bestrebuugen bleiben, obwohl es seine historische und sachliche Berechtigung dazu
verloren hat. Wenn wir dagegen denselben Maßstab geschichtlicher Beurteilung
an Berlin legen, so ergiebt sich, daß diese Stadt an die Stelle Münchens ge¬
treten ist und treten mußte, weil die preußische Staatsregierung klar erkannte,
daß eine Blüte der Kunst nur von einer systematischen Förderung derselbe"
durch den Staat zu erwarten ist. Denn der pathetische Satz der Freiheits¬
helden, daß die echte Kunst nur in einem freien Staate, in einer Republik ge¬
deihen könne, ist eine leere Redensart, deren Gegenteil viel leichter begründet werden
kann. Die römische Republik, Cromwell und seine Puritaner, Danton und
Robespierre verhielten sich entweder gleichgiltig und ablehnend gegen die Kunst
oder sie rotteten sie radikal ans. Was die französischen Kommunards gegen
die Kunst gethan haben, ist noch allen Zeitgenossen in frischer, grauenvoller
Erinnerung. Die ätherische Republik, welche man immer als rühmliches Bei-


Die große Aunstausstellnng in Berlin.

Existenz zu verschaffen wußte. Seitdem aber diese zweite Phase in der Münchner
Kunst sich wieder verflüchtigt hat und die Münchner Kunst in Genre- und
Landschaftsmalerei oder, wie böse Zungen sagen, in Wirtshaus- und Touristen¬
malerei auseinandergeflossen ist, hat München kein Anrecht mehr auf den Vor¬
zug, der Vor- und Hauptort deutscher Kunst zu sein. Besitzt denn aber München
keine hervorragenden Porträtmaler? könnte jemand fragen. Ja wohl! einen:
Lenbach, aber der ist erst ein bedeutender Bildnismaler geworden, als er sich
von Piloty lossagte und die Alte», insbesondre Tizian, Van Dyck und Velas-
quez befragte. Und die Münchner Plastik? Ja, wohin die sich seit Wagmüllers
Tode verkrochen hat, weiß kein Mensch zu sagen. Wir werden im Sommer
den Versuch machen, sie auf der internationalen Kunstausstellung in München
ausfindig zu machen. Für heute müssen wir uns mit zwei Porträtbüsten be¬
gnügen, welche Professor Noth nach Berlin geschickt hat, der ganz in das Wag-
müllersche Fahrwasser hineingesteuert ist, d. h. in jene zwar lebendige, aber
malerische Auffassung der Natur, welche schon jetzt die Formenbehandlung des
Barockstils adoptirt hat und notwendig, vielleicht sogar mit Umgehung des an¬
mutigen Rococo, zum Zopfstile führen muß. Daß die sogenannte deutsche Re¬
naissance, wie sie heute in München in der Architektur, in der Möbeltischlerei
und in den übrigen Zweigen des Kunsthandwerks grassirt, sich ohnehin schon
nur noch wenig vom Barockstil unterscheidet, ist eine Thatsache, welche niemand
in Abrede stellen kann, der noch Augen zu sehen hat. Georg Hirth, der
Herausgeber des populären „Formenschatzes," hat diese Neigung der Münchner
Künstler, die sich zum Teil aus historischen, zum Teil aus andern, nicht der Er¬
örterung unterliegenden Ursachen erklärt, auch sehr schnell begriffen und deshalb
den „Formenschatz der Renaissance" in einen allgemeinen „Formenschatz" um¬
gewandelt, in welchem sich Renaissance, Barock, Rococo und Zopf lustig durch¬
einander tummeln.

München will also nach wie vor der Zentralpunkt der deutscheu Kuust-
bestrebuugen bleiben, obwohl es seine historische und sachliche Berechtigung dazu
verloren hat. Wenn wir dagegen denselben Maßstab geschichtlicher Beurteilung
an Berlin legen, so ergiebt sich, daß diese Stadt an die Stelle Münchens ge¬
treten ist und treten mußte, weil die preußische Staatsregierung klar erkannte,
daß eine Blüte der Kunst nur von einer systematischen Förderung derselbe»
durch den Staat zu erwarten ist. Denn der pathetische Satz der Freiheits¬
helden, daß die echte Kunst nur in einem freien Staate, in einer Republik ge¬
deihen könne, ist eine leere Redensart, deren Gegenteil viel leichter begründet werden
kann. Die römische Republik, Cromwell und seine Puritaner, Danton und
Robespierre verhielten sich entweder gleichgiltig und ablehnend gegen die Kunst
oder sie rotteten sie radikal ans. Was die französischen Kommunards gegen
die Kunst gethan haben, ist noch allen Zeitgenossen in frischer, grauenvoller
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[0408] Die große Aunstausstellnng in Berlin. Existenz zu verschaffen wußte. Seitdem aber diese zweite Phase in der Münchner Kunst sich wieder verflüchtigt hat und die Münchner Kunst in Genre- und Landschaftsmalerei oder, wie böse Zungen sagen, in Wirtshaus- und Touristen¬ malerei auseinandergeflossen ist, hat München kein Anrecht mehr auf den Vor¬ zug, der Vor- und Hauptort deutscher Kunst zu sein. Besitzt denn aber München keine hervorragenden Porträtmaler? könnte jemand fragen. Ja wohl! einen: Lenbach, aber der ist erst ein bedeutender Bildnismaler geworden, als er sich von Piloty lossagte und die Alte», insbesondre Tizian, Van Dyck und Velas- quez befragte. Und die Münchner Plastik? Ja, wohin die sich seit Wagmüllers Tode verkrochen hat, weiß kein Mensch zu sagen. Wir werden im Sommer den Versuch machen, sie auf der internationalen Kunstausstellung in München ausfindig zu machen. Für heute müssen wir uns mit zwei Porträtbüsten be¬ gnügen, welche Professor Noth nach Berlin geschickt hat, der ganz in das Wag- müllersche Fahrwasser hineingesteuert ist, d. h. in jene zwar lebendige, aber malerische Auffassung der Natur, welche schon jetzt die Formenbehandlung des Barockstils adoptirt hat und notwendig, vielleicht sogar mit Umgehung des an¬ mutigen Rococo, zum Zopfstile führen muß. Daß die sogenannte deutsche Re¬ naissance, wie sie heute in München in der Architektur, in der Möbeltischlerei und in den übrigen Zweigen des Kunsthandwerks grassirt, sich ohnehin schon nur noch wenig vom Barockstil unterscheidet, ist eine Thatsache, welche niemand in Abrede stellen kann, der noch Augen zu sehen hat. Georg Hirth, der Herausgeber des populären „Formenschatzes," hat diese Neigung der Münchner Künstler, die sich zum Teil aus historischen, zum Teil aus andern, nicht der Er¬ örterung unterliegenden Ursachen erklärt, auch sehr schnell begriffen und deshalb den „Formenschatz der Renaissance" in einen allgemeinen „Formenschatz" um¬ gewandelt, in welchem sich Renaissance, Barock, Rococo und Zopf lustig durch¬ einander tummeln. München will also nach wie vor der Zentralpunkt der deutscheu Kuust- bestrebuugen bleiben, obwohl es seine historische und sachliche Berechtigung dazu verloren hat. Wenn wir dagegen denselben Maßstab geschichtlicher Beurteilung an Berlin legen, so ergiebt sich, daß diese Stadt an die Stelle Münchens ge¬ treten ist und treten mußte, weil die preußische Staatsregierung klar erkannte, daß eine Blüte der Kunst nur von einer systematischen Förderung derselbe» durch den Staat zu erwarten ist. Denn der pathetische Satz der Freiheits¬ helden, daß die echte Kunst nur in einem freien Staate, in einer Republik ge¬ deihen könne, ist eine leere Redensart, deren Gegenteil viel leichter begründet werden kann. Die römische Republik, Cromwell und seine Puritaner, Danton und Robespierre verhielten sich entweder gleichgiltig und ablehnend gegen die Kunst oder sie rotteten sie radikal ans. Was die französischen Kommunards gegen die Kunst gethan haben, ist noch allen Zeitgenossen in frischer, grauenvoller Erinnerung. Die ätherische Republik, welche man immer als rühmliches Bei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/408>, abgerufen am 01.07.2024.