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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Der Diktator von !vilncr.

allerdings die Kenntnis der russischen Sprache sich unter dem Landvolke aus--
gebreitet hat, Rußland nun für das nächste Jahrhundert die riesigen Opfer ge¬
duldig darbringen werde, welche dazu gehören, um dieses Volk nun auch all¬
mählich seine eigne Sprache, die älter ist als die russische, vergessen zu machen,
um in den russischen Stamm aufzugehen, wie der Littauer Preußens in den
deutschen aufgegangen ist? Blieb man noch leichtsinnig genug, um die gewaltige
Kulturarbeit ganz zu übersehen, die Deutschland auf diesem Felde in seinem
Osten hat leisten müssen? Ist heute der russische Beamte in Littauer nicht
gehaßt, verachtet wie nur jemals? Und kann es denn anders sein? Wo
wären denn in Rußland die vielen Beamten, die nicht in der Mehrzahl müßten
verachtet werden vom Littauer oder Polen? Wer erklärt denn lauter und un¬
unterbrochener als der Russe selbst, daß seine Bureaukratie nichtswürdig sei?

Nun erst die weisen Maßregeln wirtschaftlicher Natur, mit denen Murawjew
das unglückliche Land beglückt hat! Er nannte das Befreiung des geknechteten
Bauern von einem polnischen und katholischen grausamen Herrn. Diese Be¬
freiung, wie Murawjew und sein Nachfolger Kaufmann sie verstanden, hätte die
Wirkung verheerender langer Kriege gehabt, wenn sie nicht von Pvtapow an
schleunig wieder wäre rückgängig gemacht worden. Ohnehin ist noch genug nach¬
geblieben, um deir Aufschwung des Volkes aufzuhalten. Was um Wohlthaten
dem Lande zu Teil ward: die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Besserung der
Justiz, der Verwaltung, die notwendige Zügelung des alten polnischen Unwesens,
der nichtsnutzigen Herreuspielerei von Panem und Schlacht" -- das war die
Pflicht jeder einigermaßen verständigen Regierung und gehörte nicht zum "System"
Mumwjews. Zu diesem System aber gehörte die unsinnige wirtschaftliche Ab¬
lösung der bäuerlichen Ländereien, welche nicht so sehr darauf ausging, Bauer
und Herrn von einander zu trennen, als darauf, den Herrn dnrch den Bauern
zu ruiniren; dazu gehörte es, den Hof, die Äcker, die ganze Wirtschaft des Herrn
zu zerstören durch hineingeschobene Bauerländereien, die unsinnigsten Wünsche
der Bauern ans Kosten der Herren und des Wohlstandes des Landes zu er¬
füllen; dazu gehörte die Mißachtung allen Rechtes der polnischen Volksklasse
und die Heiligung allen Unrechts, aller Willkür der Manischen Bevölkerung.
Wie viele schwere Mißstände von heute sind auf dieses Murawjewsche System
zurückzuführen! Auch das Verschwinden der Wälder gehört hierher, über das
so viel geklagt wird. Es entspringt aus jenem System, zu welchem sich
Murawjew offen bekennt und welches von dem nationalökonomischen Werte des
Waldes ebensowenig etwas weiß wie von einem strengen privaten Recht an dem
Walde. Wo dem Waldbesitzer noch keine genügenden Schutzrcchtc gegen Wald¬
frevel zu Gebote stehen, wo gesetzlich Weideservituten in ungeheurer Ausdehnung
durch Murawjew eingeführt und nachher beibehalten worden sind, wo also ge¬
setzlich die Waldverwüstung angeordnet ist, da ist es recht erheiternd, von Klagen
über Eutwalduug zu hören. Und ein Mann, der mit Überzeugung solche Zu-


Der Diktator von !vilncr.

allerdings die Kenntnis der russischen Sprache sich unter dem Landvolke aus--
gebreitet hat, Rußland nun für das nächste Jahrhundert die riesigen Opfer ge¬
duldig darbringen werde, welche dazu gehören, um dieses Volk nun auch all¬
mählich seine eigne Sprache, die älter ist als die russische, vergessen zu machen,
um in den russischen Stamm aufzugehen, wie der Littauer Preußens in den
deutschen aufgegangen ist? Blieb man noch leichtsinnig genug, um die gewaltige
Kulturarbeit ganz zu übersehen, die Deutschland auf diesem Felde in seinem
Osten hat leisten müssen? Ist heute der russische Beamte in Littauer nicht
gehaßt, verachtet wie nur jemals? Und kann es denn anders sein? Wo
wären denn in Rußland die vielen Beamten, die nicht in der Mehrzahl müßten
verachtet werden vom Littauer oder Polen? Wer erklärt denn lauter und un¬
unterbrochener als der Russe selbst, daß seine Bureaukratie nichtswürdig sei?

Nun erst die weisen Maßregeln wirtschaftlicher Natur, mit denen Murawjew
das unglückliche Land beglückt hat! Er nannte das Befreiung des geknechteten
Bauern von einem polnischen und katholischen grausamen Herrn. Diese Be¬
freiung, wie Murawjew und sein Nachfolger Kaufmann sie verstanden, hätte die
Wirkung verheerender langer Kriege gehabt, wenn sie nicht von Pvtapow an
schleunig wieder wäre rückgängig gemacht worden. Ohnehin ist noch genug nach¬
geblieben, um deir Aufschwung des Volkes aufzuhalten. Was um Wohlthaten
dem Lande zu Teil ward: die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Besserung der
Justiz, der Verwaltung, die notwendige Zügelung des alten polnischen Unwesens,
der nichtsnutzigen Herreuspielerei von Panem und Schlacht« — das war die
Pflicht jeder einigermaßen verständigen Regierung und gehörte nicht zum „System"
Mumwjews. Zu diesem System aber gehörte die unsinnige wirtschaftliche Ab¬
lösung der bäuerlichen Ländereien, welche nicht so sehr darauf ausging, Bauer
und Herrn von einander zu trennen, als darauf, den Herrn dnrch den Bauern
zu ruiniren; dazu gehörte es, den Hof, die Äcker, die ganze Wirtschaft des Herrn
zu zerstören durch hineingeschobene Bauerländereien, die unsinnigsten Wünsche
der Bauern ans Kosten der Herren und des Wohlstandes des Landes zu er¬
füllen; dazu gehörte die Mißachtung allen Rechtes der polnischen Volksklasse
und die Heiligung allen Unrechts, aller Willkür der Manischen Bevölkerung.
Wie viele schwere Mißstände von heute sind auf dieses Murawjewsche System
zurückzuführen! Auch das Verschwinden der Wälder gehört hierher, über das
so viel geklagt wird. Es entspringt aus jenem System, zu welchem sich
Murawjew offen bekennt und welches von dem nationalökonomischen Werte des
Waldes ebensowenig etwas weiß wie von einem strengen privaten Recht an dem
Walde. Wo dem Waldbesitzer noch keine genügenden Schutzrcchtc gegen Wald¬
frevel zu Gebote stehen, wo gesetzlich Weideservituten in ungeheurer Ausdehnung
durch Murawjew eingeführt und nachher beibehalten worden sind, wo also ge¬
setzlich die Waldverwüstung angeordnet ist, da ist es recht erheiternd, von Klagen
über Eutwalduug zu hören. Und ein Mann, der mit Überzeugung solche Zu-


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[0406] Der Diktator von !vilncr. allerdings die Kenntnis der russischen Sprache sich unter dem Landvolke aus-- gebreitet hat, Rußland nun für das nächste Jahrhundert die riesigen Opfer ge¬ duldig darbringen werde, welche dazu gehören, um dieses Volk nun auch all¬ mählich seine eigne Sprache, die älter ist als die russische, vergessen zu machen, um in den russischen Stamm aufzugehen, wie der Littauer Preußens in den deutschen aufgegangen ist? Blieb man noch leichtsinnig genug, um die gewaltige Kulturarbeit ganz zu übersehen, die Deutschland auf diesem Felde in seinem Osten hat leisten müssen? Ist heute der russische Beamte in Littauer nicht gehaßt, verachtet wie nur jemals? Und kann es denn anders sein? Wo wären denn in Rußland die vielen Beamten, die nicht in der Mehrzahl müßten verachtet werden vom Littauer oder Polen? Wer erklärt denn lauter und un¬ unterbrochener als der Russe selbst, daß seine Bureaukratie nichtswürdig sei? Nun erst die weisen Maßregeln wirtschaftlicher Natur, mit denen Murawjew das unglückliche Land beglückt hat! Er nannte das Befreiung des geknechteten Bauern von einem polnischen und katholischen grausamen Herrn. Diese Be¬ freiung, wie Murawjew und sein Nachfolger Kaufmann sie verstanden, hätte die Wirkung verheerender langer Kriege gehabt, wenn sie nicht von Pvtapow an schleunig wieder wäre rückgängig gemacht worden. Ohnehin ist noch genug nach¬ geblieben, um deir Aufschwung des Volkes aufzuhalten. Was um Wohlthaten dem Lande zu Teil ward: die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Besserung der Justiz, der Verwaltung, die notwendige Zügelung des alten polnischen Unwesens, der nichtsnutzigen Herreuspielerei von Panem und Schlacht« — das war die Pflicht jeder einigermaßen verständigen Regierung und gehörte nicht zum „System" Mumwjews. Zu diesem System aber gehörte die unsinnige wirtschaftliche Ab¬ lösung der bäuerlichen Ländereien, welche nicht so sehr darauf ausging, Bauer und Herrn von einander zu trennen, als darauf, den Herrn dnrch den Bauern zu ruiniren; dazu gehörte es, den Hof, die Äcker, die ganze Wirtschaft des Herrn zu zerstören durch hineingeschobene Bauerländereien, die unsinnigsten Wünsche der Bauern ans Kosten der Herren und des Wohlstandes des Landes zu er¬ füllen; dazu gehörte die Mißachtung allen Rechtes der polnischen Volksklasse und die Heiligung allen Unrechts, aller Willkür der Manischen Bevölkerung. Wie viele schwere Mißstände von heute sind auf dieses Murawjewsche System zurückzuführen! Auch das Verschwinden der Wälder gehört hierher, über das so viel geklagt wird. Es entspringt aus jenem System, zu welchem sich Murawjew offen bekennt und welches von dem nationalökonomischen Werte des Waldes ebensowenig etwas weiß wie von einem strengen privaten Recht an dem Walde. Wo dem Waldbesitzer noch keine genügenden Schutzrcchtc gegen Wald¬ frevel zu Gebote stehen, wo gesetzlich Weideservituten in ungeheurer Ausdehnung durch Murawjew eingeführt und nachher beibehalten worden sind, wo also ge¬ setzlich die Waldverwüstung angeordnet ist, da ist es recht erheiternd, von Klagen über Eutwalduug zu hören. Und ein Mann, der mit Überzeugung solche Zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/406>, abgerufen am 01.07.2024.