Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Lutherfeier.

gespürte "historische Berechtigung" des Widerparts in jeder Weise gelten zu lassen,
scheut sich nicht vor den weitgehendsten Zugeständnissen an ihn, ja sie hilft ihm,
die etwaigen Schwächen der eignen Stellung schonungslos aufzudecken. Und
alles dessen rühmt sie sich als einer wahrhaft geschichtlichen und unparteiischen
Objektivität.

Das wäre erträglich, wenn man sich auf allen Seiten gleicher Nachsicht
und Duldung befleißigte. Aber die gepriesene Toleranz ist mehr und mehr
einseitig geworden, und jetzt so gut wie ausschließlich nur noch bei uns Prote¬
stanten zu finden. Welch ein Abstand zwischen solchen Seelen und einem Luther,
der trotzigen Mutes und unter Gefahr Leibes und Lebens nie ermangelte, die
Dinge beim rechten Namen zu nenneu. Papst Leo X. hatte die mit exzen¬
trischen Verwünschungen erfüllte Bannbulle gegen ihn erlassen. Luther ver¬
brannte sie und begleitete diesen kühnen Schritt mit einer kleinen Schrift: "Wider
die Bulle des Endchrists." "Dich, Leo X. -- so ruft er seinem Gegner zu --,
und euch, ihr Herren Kardinäle, und euch alle, die ihr in Rom etwas gellet, ver¬
klage ich hiermit lind sage euch frei ins Angesicht: wen" in eurem Namen
diese Bulle ausgegangen ist, und ihr sie für euer anerkennt, so werde ich meine
Vollmacht gebrauchen, mit welcher ich in der Taufe durch Gottes Barmherzig¬
keit ein Kind Gottes und Miterbe Christi geworden bin, gegründet auf den
Felsen, der die Pforten der Hölle nicht fürchtet; und ermahne euch in dem
Herrn, daß ihr in euch gehet und diesen teuflischen Lästerungen Einhalt thuet,
und das schleunig. Wo ihr das nicht thut, so wisset, daß ich und alle Diener
Christi euern vom Satan selbst eingenommenen Sitz für den Sitz des Anti¬
christs halten, welchem wir auf keine Weise gehorsam und verbunden sein
wollen, sondern welchen wir als den Erzfeind Christi verfluchen!" So schrieb
der gewaltige Mann schon im Anfange seiner öffentlichen Laufbahn, wo er fast
noch allein der furchtbaren Weltmacht gegenüberstand. Aber mit gleicher Un-
erschrockenheit verfocht er diesen Standpunkt sein ferneres Leben hindurch und
ließ noch kurz vor seinem Ende ein Buch ausgehen: "Wider das Papsttum in
Rom vom Teufel gestiftet." Das ist kein Mann für unser Toleranz, sie
möchte am liebsten dem Feinde, der ihr Streiche auf den rechten Backen giebt,
auch den linken darbieten, ungeachtet es sich hier nicht um persönliche Belei¬
digungen, sondern um den Bestand der heiligsten Sache handelt. Höchstens
würde sie Kruppschen Kanonen mit alten Hakenbüchsen begegnen. Von ihr ist
nicht zu erwarten, daß sie sich warm und mannhaft zu Luther bekenne. Der
Lutherfeier wird sie, wenn sie sich überhaupt beteiligt, aus lauter zarter Rücksicht
auf die Gefühle der katholischen Brüder nach Möglichkeit die Spitze abzubrechen
suchen. Auf sie war die kürzlich im Reichstage geäußerte Bitte des Abgeord¬
neten Windthorst gemünzt: man möge die Lutherfeier doch so einrichten, daß
sie sür die Katholiken nicht verletzend werde. Von der Toleranz wird diese
Bitte bereitwilligst erfüllt werden; wie denn auch ein angesehenes Tageblatt sich


Zur Lutherfeier.

gespürte „historische Berechtigung" des Widerparts in jeder Weise gelten zu lassen,
scheut sich nicht vor den weitgehendsten Zugeständnissen an ihn, ja sie hilft ihm,
die etwaigen Schwächen der eignen Stellung schonungslos aufzudecken. Und
alles dessen rühmt sie sich als einer wahrhaft geschichtlichen und unparteiischen
Objektivität.

Das wäre erträglich, wenn man sich auf allen Seiten gleicher Nachsicht
und Duldung befleißigte. Aber die gepriesene Toleranz ist mehr und mehr
einseitig geworden, und jetzt so gut wie ausschließlich nur noch bei uns Prote¬
stanten zu finden. Welch ein Abstand zwischen solchen Seelen und einem Luther,
der trotzigen Mutes und unter Gefahr Leibes und Lebens nie ermangelte, die
Dinge beim rechten Namen zu nenneu. Papst Leo X. hatte die mit exzen¬
trischen Verwünschungen erfüllte Bannbulle gegen ihn erlassen. Luther ver¬
brannte sie und begleitete diesen kühnen Schritt mit einer kleinen Schrift: „Wider
die Bulle des Endchrists." „Dich, Leo X. — so ruft er seinem Gegner zu —,
und euch, ihr Herren Kardinäle, und euch alle, die ihr in Rom etwas gellet, ver¬
klage ich hiermit lind sage euch frei ins Angesicht: wen» in eurem Namen
diese Bulle ausgegangen ist, und ihr sie für euer anerkennt, so werde ich meine
Vollmacht gebrauchen, mit welcher ich in der Taufe durch Gottes Barmherzig¬
keit ein Kind Gottes und Miterbe Christi geworden bin, gegründet auf den
Felsen, der die Pforten der Hölle nicht fürchtet; und ermahne euch in dem
Herrn, daß ihr in euch gehet und diesen teuflischen Lästerungen Einhalt thuet,
und das schleunig. Wo ihr das nicht thut, so wisset, daß ich und alle Diener
Christi euern vom Satan selbst eingenommenen Sitz für den Sitz des Anti¬
christs halten, welchem wir auf keine Weise gehorsam und verbunden sein
wollen, sondern welchen wir als den Erzfeind Christi verfluchen!" So schrieb
der gewaltige Mann schon im Anfange seiner öffentlichen Laufbahn, wo er fast
noch allein der furchtbaren Weltmacht gegenüberstand. Aber mit gleicher Un-
erschrockenheit verfocht er diesen Standpunkt sein ferneres Leben hindurch und
ließ noch kurz vor seinem Ende ein Buch ausgehen: „Wider das Papsttum in
Rom vom Teufel gestiftet." Das ist kein Mann für unser Toleranz, sie
möchte am liebsten dem Feinde, der ihr Streiche auf den rechten Backen giebt,
auch den linken darbieten, ungeachtet es sich hier nicht um persönliche Belei¬
digungen, sondern um den Bestand der heiligsten Sache handelt. Höchstens
würde sie Kruppschen Kanonen mit alten Hakenbüchsen begegnen. Von ihr ist
nicht zu erwarten, daß sie sich warm und mannhaft zu Luther bekenne. Der
Lutherfeier wird sie, wenn sie sich überhaupt beteiligt, aus lauter zarter Rücksicht
auf die Gefühle der katholischen Brüder nach Möglichkeit die Spitze abzubrechen
suchen. Auf sie war die kürzlich im Reichstage geäußerte Bitte des Abgeord¬
neten Windthorst gemünzt: man möge die Lutherfeier doch so einrichten, daß
sie sür die Katholiken nicht verletzend werde. Von der Toleranz wird diese
Bitte bereitwilligst erfüllt werden; wie denn auch ein angesehenes Tageblatt sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153145"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Lutherfeier.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1560" prev="#ID_1559"> gespürte &#x201E;historische Berechtigung" des Widerparts in jeder Weise gelten zu lassen,<lb/>
scheut sich nicht vor den weitgehendsten Zugeständnissen an ihn, ja sie hilft ihm,<lb/>
die etwaigen Schwächen der eignen Stellung schonungslos aufzudecken. Und<lb/>
alles dessen rühmt sie sich als einer wahrhaft geschichtlichen und unparteiischen<lb/>
Objektivität.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1561" next="#ID_1562"> Das wäre erträglich, wenn man sich auf allen Seiten gleicher Nachsicht<lb/>
und Duldung befleißigte. Aber die gepriesene Toleranz ist mehr und mehr<lb/>
einseitig geworden, und jetzt so gut wie ausschließlich nur noch bei uns Prote¬<lb/>
stanten zu finden. Welch ein Abstand zwischen solchen Seelen und einem Luther,<lb/>
der trotzigen Mutes und unter Gefahr Leibes und Lebens nie ermangelte, die<lb/>
Dinge beim rechten Namen zu nenneu. Papst Leo X. hatte die mit exzen¬<lb/>
trischen Verwünschungen erfüllte Bannbulle gegen ihn erlassen. Luther ver¬<lb/>
brannte sie und begleitete diesen kühnen Schritt mit einer kleinen Schrift: &#x201E;Wider<lb/>
die Bulle des Endchrists." &#x201E;Dich, Leo X. &#x2014; so ruft er seinem Gegner zu &#x2014;,<lb/>
und euch, ihr Herren Kardinäle, und euch alle, die ihr in Rom etwas gellet, ver¬<lb/>
klage ich hiermit lind sage euch frei ins Angesicht: wen» in eurem Namen<lb/>
diese Bulle ausgegangen ist, und ihr sie für euer anerkennt, so werde ich meine<lb/>
Vollmacht gebrauchen, mit welcher ich in der Taufe durch Gottes Barmherzig¬<lb/>
keit ein Kind Gottes und Miterbe Christi geworden bin, gegründet auf den<lb/>
Felsen, der die Pforten der Hölle nicht fürchtet; und ermahne euch in dem<lb/>
Herrn, daß ihr in euch gehet und diesen teuflischen Lästerungen Einhalt thuet,<lb/>
und das schleunig. Wo ihr das nicht thut, so wisset, daß ich und alle Diener<lb/>
Christi euern vom Satan selbst eingenommenen Sitz für den Sitz des Anti¬<lb/>
christs halten, welchem wir auf keine Weise gehorsam und verbunden sein<lb/>
wollen, sondern welchen wir als den Erzfeind Christi verfluchen!" So schrieb<lb/>
der gewaltige Mann schon im Anfange seiner öffentlichen Laufbahn, wo er fast<lb/>
noch allein der furchtbaren Weltmacht gegenüberstand. Aber mit gleicher Un-<lb/>
erschrockenheit verfocht er diesen Standpunkt sein ferneres Leben hindurch und<lb/>
ließ noch kurz vor seinem Ende ein Buch ausgehen: &#x201E;Wider das Papsttum in<lb/>
Rom vom Teufel gestiftet." Das ist kein Mann für unser Toleranz, sie<lb/>
möchte am liebsten dem Feinde, der ihr Streiche auf den rechten Backen giebt,<lb/>
auch den linken darbieten, ungeachtet es sich hier nicht um persönliche Belei¬<lb/>
digungen, sondern um den Bestand der heiligsten Sache handelt. Höchstens<lb/>
würde sie Kruppschen Kanonen mit alten Hakenbüchsen begegnen. Von ihr ist<lb/>
nicht zu erwarten, daß sie sich warm und mannhaft zu Luther bekenne. Der<lb/>
Lutherfeier wird sie, wenn sie sich überhaupt beteiligt, aus lauter zarter Rücksicht<lb/>
auf die Gefühle der katholischen Brüder nach Möglichkeit die Spitze abzubrechen<lb/>
suchen. Auf sie war die kürzlich im Reichstage geäußerte Bitte des Abgeord¬<lb/>
neten Windthorst gemünzt: man möge die Lutherfeier doch so einrichten, daß<lb/>
sie sür die Katholiken nicht verletzend werde. Von der Toleranz wird diese<lb/>
Bitte bereitwilligst erfüllt werden; wie denn auch ein angesehenes Tageblatt sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] Zur Lutherfeier. gespürte „historische Berechtigung" des Widerparts in jeder Weise gelten zu lassen, scheut sich nicht vor den weitgehendsten Zugeständnissen an ihn, ja sie hilft ihm, die etwaigen Schwächen der eignen Stellung schonungslos aufzudecken. Und alles dessen rühmt sie sich als einer wahrhaft geschichtlichen und unparteiischen Objektivität. Das wäre erträglich, wenn man sich auf allen Seiten gleicher Nachsicht und Duldung befleißigte. Aber die gepriesene Toleranz ist mehr und mehr einseitig geworden, und jetzt so gut wie ausschließlich nur noch bei uns Prote¬ stanten zu finden. Welch ein Abstand zwischen solchen Seelen und einem Luther, der trotzigen Mutes und unter Gefahr Leibes und Lebens nie ermangelte, die Dinge beim rechten Namen zu nenneu. Papst Leo X. hatte die mit exzen¬ trischen Verwünschungen erfüllte Bannbulle gegen ihn erlassen. Luther ver¬ brannte sie und begleitete diesen kühnen Schritt mit einer kleinen Schrift: „Wider die Bulle des Endchrists." „Dich, Leo X. — so ruft er seinem Gegner zu —, und euch, ihr Herren Kardinäle, und euch alle, die ihr in Rom etwas gellet, ver¬ klage ich hiermit lind sage euch frei ins Angesicht: wen» in eurem Namen diese Bulle ausgegangen ist, und ihr sie für euer anerkennt, so werde ich meine Vollmacht gebrauchen, mit welcher ich in der Taufe durch Gottes Barmherzig¬ keit ein Kind Gottes und Miterbe Christi geworden bin, gegründet auf den Felsen, der die Pforten der Hölle nicht fürchtet; und ermahne euch in dem Herrn, daß ihr in euch gehet und diesen teuflischen Lästerungen Einhalt thuet, und das schleunig. Wo ihr das nicht thut, so wisset, daß ich und alle Diener Christi euern vom Satan selbst eingenommenen Sitz für den Sitz des Anti¬ christs halten, welchem wir auf keine Weise gehorsam und verbunden sein wollen, sondern welchen wir als den Erzfeind Christi verfluchen!" So schrieb der gewaltige Mann schon im Anfange seiner öffentlichen Laufbahn, wo er fast noch allein der furchtbaren Weltmacht gegenüberstand. Aber mit gleicher Un- erschrockenheit verfocht er diesen Standpunkt sein ferneres Leben hindurch und ließ noch kurz vor seinem Ende ein Buch ausgehen: „Wider das Papsttum in Rom vom Teufel gestiftet." Das ist kein Mann für unser Toleranz, sie möchte am liebsten dem Feinde, der ihr Streiche auf den rechten Backen giebt, auch den linken darbieten, ungeachtet es sich hier nicht um persönliche Belei¬ digungen, sondern um den Bestand der heiligsten Sache handelt. Höchstens würde sie Kruppschen Kanonen mit alten Hakenbüchsen begegnen. Von ihr ist nicht zu erwarten, daß sie sich warm und mannhaft zu Luther bekenne. Der Lutherfeier wird sie, wenn sie sich überhaupt beteiligt, aus lauter zarter Rücksicht auf die Gefühle der katholischen Brüder nach Möglichkeit die Spitze abzubrechen suchen. Auf sie war die kürzlich im Reichstage geäußerte Bitte des Abgeord¬ neten Windthorst gemünzt: man möge die Lutherfeier doch so einrichten, daß sie sür die Katholiken nicht verletzend werde. Von der Toleranz wird diese Bitte bereitwilligst erfüllt werden; wie denn auch ein angesehenes Tageblatt sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/396>, abgerufen am 03.07.2024.