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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Drei Antworten.

Schulfarben, Pinseln, Gummis, Bleistiftspitzern, Alfredfedern, Normalhaltern
und dem teuern Reißzeug:c, von unsern Herren Mitscherlichs bezogen.

Die Herren Mitscherlichs sind aber in neuerer Zeit nicht bloß zu Papier-
Heftern, sondern auch zu Buchhändlern emporgestiegen; denn was könnte in
unsrer Zeit einträglicher sein als der Handel mit Schulbüchern, besonders für
höhere Schulen? Schon die Volksschule hat sichs durch Einführung von kon¬
zentrischen Kreisen und Kursen und Stufen für jede einzelne Klasse sehr bequem
oder sehr unbequem (das Geschäftsinteresse der Herausgeber und Verleger, die
Neubeschaffung jede Ostern verursacht auch den Lehrern viel Verdruß) und den
Vätern sehr teuer gemacht; was will das aber gegen die Legion von Lehr-
und Übungsbüchern, Grundrissen, Leitfäden, Tabellen :c. sagen, die die höhere
Schule, und sei es nur bis in die höchste der Mittelklassen hinauf, gegenwärtig
verlangt? Wie jeder Militärkapellmeister sich jetzt einbildet, er müsse Märsche
komponiren, weil alle vorhandenen Märsche nichts taugten, so glaubt auch jeder
Schulmeister heutzutage, er müsse Schulbücher fabriziren, weil alle bisherigen
Schulbücher nicht zu brauchen wären. So haben sich denn, allein bis zu den
höchsten Mittelklassen hinauf, die Jungen nach und nach anzuschaffen: für den
Religionsunterricht etwa 3--6, für den deutschen 6--8, für den griechischen 4,
für den lateinischen nicht unter 6, für den französischen mindestens 4, für den
englischen gewiß 3, für den geographischen 3--4, für den historischen 3--4,
für den mathematischen etwa 5 Unterrichtswerke und -Werkchen, sodaß sich
die Gesamtzahl auf 30--35 beläuft, ungerechnet die im Schulprogramm nicht
angeordneten, offiziell "eingeführten", aber beiläufig mit deu unwiderstehlichsten
Wendungen "empfohlenen" Bücher, oder auch die verbotenen Eselsbrücken, für
die die Schüler wie die Pseudobuchhändler eine besonders feine Nase besitzen.

Manche der programmmäßigen Lehrmittel sind so voluminös, daß der Lehrer
genug zu thun hätte, wenn er sie eben nur lesen und das Gelesene repetiren
ließe; der Qualität nach ist der Stoff einiger so tiefgreifend und theoretisirend,
daß sich bereits der Obersekundaner eine genügende Fachzensur an der Universität
holen könnte, wenn er den Stoff aufgenommen und gehörig verdaut hätte. Das
kann er natürlich nicht. Wozu dann aber derartige Lehrbücher für Mittelschulen
und gar für solche, die nur für das Leben, nicht sür das Studium vorbereiten
wollen?

Früher hieß es, "mit Heften," jetzt heißt es "mit Büchern trefflich aus-
staffirt" in. Der Schüler brauchte eigentlich ein Last- oder Zugtier, um seine
Schulliteratur hin und her zu transportiren. Das hat er nicht; Ranzen und
selbst Schultasche verschmäht er (die letztere ganz mit Recht, denn an den schweren,
vollgestopften Schultaschen tragen sich die Jungen schief, wie jeder Arzt be¬
stätigen wird), und so läßt er gern den größten Teil seiner fliegenden Bibliothek
im Schulschranke, und der reelle Wert derselben liegt der Hauptsache nach in dem
vielen Gelde, welches sie dem Vater gekostet hat. Der Schüler aber soll seine


Drei Antworten.

Schulfarben, Pinseln, Gummis, Bleistiftspitzern, Alfredfedern, Normalhaltern
und dem teuern Reißzeug:c, von unsern Herren Mitscherlichs bezogen.

Die Herren Mitscherlichs sind aber in neuerer Zeit nicht bloß zu Papier-
Heftern, sondern auch zu Buchhändlern emporgestiegen; denn was könnte in
unsrer Zeit einträglicher sein als der Handel mit Schulbüchern, besonders für
höhere Schulen? Schon die Volksschule hat sichs durch Einführung von kon¬
zentrischen Kreisen und Kursen und Stufen für jede einzelne Klasse sehr bequem
oder sehr unbequem (das Geschäftsinteresse der Herausgeber und Verleger, die
Neubeschaffung jede Ostern verursacht auch den Lehrern viel Verdruß) und den
Vätern sehr teuer gemacht; was will das aber gegen die Legion von Lehr-
und Übungsbüchern, Grundrissen, Leitfäden, Tabellen :c. sagen, die die höhere
Schule, und sei es nur bis in die höchste der Mittelklassen hinauf, gegenwärtig
verlangt? Wie jeder Militärkapellmeister sich jetzt einbildet, er müsse Märsche
komponiren, weil alle vorhandenen Märsche nichts taugten, so glaubt auch jeder
Schulmeister heutzutage, er müsse Schulbücher fabriziren, weil alle bisherigen
Schulbücher nicht zu brauchen wären. So haben sich denn, allein bis zu den
höchsten Mittelklassen hinauf, die Jungen nach und nach anzuschaffen: für den
Religionsunterricht etwa 3—6, für den deutschen 6—8, für den griechischen 4,
für den lateinischen nicht unter 6, für den französischen mindestens 4, für den
englischen gewiß 3, für den geographischen 3—4, für den historischen 3—4,
für den mathematischen etwa 5 Unterrichtswerke und -Werkchen, sodaß sich
die Gesamtzahl auf 30—35 beläuft, ungerechnet die im Schulprogramm nicht
angeordneten, offiziell „eingeführten", aber beiläufig mit deu unwiderstehlichsten
Wendungen „empfohlenen" Bücher, oder auch die verbotenen Eselsbrücken, für
die die Schüler wie die Pseudobuchhändler eine besonders feine Nase besitzen.

Manche der programmmäßigen Lehrmittel sind so voluminös, daß der Lehrer
genug zu thun hätte, wenn er sie eben nur lesen und das Gelesene repetiren
ließe; der Qualität nach ist der Stoff einiger so tiefgreifend und theoretisirend,
daß sich bereits der Obersekundaner eine genügende Fachzensur an der Universität
holen könnte, wenn er den Stoff aufgenommen und gehörig verdaut hätte. Das
kann er natürlich nicht. Wozu dann aber derartige Lehrbücher für Mittelschulen
und gar für solche, die nur für das Leben, nicht sür das Studium vorbereiten
wollen?

Früher hieß es, „mit Heften," jetzt heißt es „mit Büchern trefflich aus-
staffirt" in. Der Schüler brauchte eigentlich ein Last- oder Zugtier, um seine
Schulliteratur hin und her zu transportiren. Das hat er nicht; Ranzen und
selbst Schultasche verschmäht er (die letztere ganz mit Recht, denn an den schweren,
vollgestopften Schultaschen tragen sich die Jungen schief, wie jeder Arzt be¬
stätigen wird), und so läßt er gern den größten Teil seiner fliegenden Bibliothek
im Schulschranke, und der reelle Wert derselben liegt der Hauptsache nach in dem
vielen Gelde, welches sie dem Vater gekostet hat. Der Schüler aber soll seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/367>, abgerufen am 01.07.2024.