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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

Vorzüge, welche die Maler von Pompeji besonders anstrebten; ja man kann
behaupten, daß sie dieselben nicht nötig hatten. Heute, da die pompejcinischen
Häuser keine Dächer mehr haben, sehen wir ihre Malereien bei dem Lichte einer
strahlenden Sonne, welche ihre geringsten Fehler unbarmherzig bloßlegt; aber
geschaffen waren sie nicht für diese helle Beleuchtung, Die Räume, wo sie ihren
Platz hatten, erhielten ihr Licht in der Regel nur von der Thür her, ja man
hatte Vorkehrungen getroffen, um zu verhüten, daß die ganze das Atrium
durchflutende Lichtfülle durch diese einzige Öffnung eindrang. Vorhänge, die
zwischen den Säulen ausgespannt waren, gaben Schatten vor den Räumen, in
denen die Bewohner die heißen Stunden des Tages zubrachten. In diesem
Halbdunkel traten die UnVollkommenheiten der Ausführung nicht zu Tage, und
die Künstler konnten manchen Vorzug und manche Feinheit ihrer Vorbilder hier
ohne Schaden vernachlässigen.

Aber ungeachtet dieser Vorbehalte, die zu machen unumgänglich war, läßt
sich mit vollem Recht behaupten, daß uns die Fresken von Herculaneum und
Pompeji eine ziemlich zutreffende Vorstellung von der alexandrinischen Malerei
vermitteln. Ja wir können sogar den Versuch machen, in diesen unvollständigen
Kopien einige der berühmten Gemälde wiederzufinden, deren Schönheit uns die
alten Kunstrichter rühmen. Dieses Unternehmen scheint zuerst etwas gewagt;
aber wir dürfen nicht vergessen, daß, wenn diese Gemälde heute verloren sind,
wir doch wenigstens einige Erinnerungen an sie übrig haben. Sie sind bei
den Schriftstellern erwähnt, die uns die Geschichte der antiken Malerei über¬
lieferten; selten unterlassen es die Dichter, besonders die der Anthologie, ihrer
Beschreibung ein paar Verse zu widmen; auf den Basreliefs und den Vasen
finden wir mehr oder weniger genaue Nachahmungen von ihnen; endlich
-- und dies ist wichtiger -- sind sie an den Wänden der Städte Campaniens
vielfach reproduzirt worden. Vergleichen wir diese verschiednen Kopien miteinander
und kontroliren wir sie mittelst der Nachrichten, welche die Kritiker und Poeten
uns geben, so unterscheiden wir, was jeder Künstler dem Original entnommen
hat, und gelangen so schließlich zu einer Rekonstruktion desselben wenigstens im
großen und ganzen und in seinen Hauptlinien. Auf diese Art können wir
uns beispielsweise zwei berühmte Gemälde des Niklas, die Andromeda und die
>Zv, vergegenwärtigen. Der erstere Gegenstand findet sich in Pompeji zweimal
in einer dort nicht gewöhnlichen Größe dargestellt; der andre kommt nur ein¬
mal vor, wurde aber zum Glück auch auf dem Palatin, im Hause der Livia, ent¬
deckt. Es sind zwei schöne Malereien, die wie Gegenstücke wirken und einander
hinreichend ähnlich sind, um für Werke von der nämlichen Künstlerhand zu
gelten. Die allgemeine Anordnung und die wesentlichen Züge des Originals
haben die Kopisten jedenfalls beibehalten; so vermögen wir uns von dem Cha¬
rakter jener beiden Werke des großen athenischen Künstlers, der sich nach Pli-
nius besonders in der Darstellung weiblicher Schönheit hervorthat, einen Be-


Pompejanische Spaziergänge.

Vorzüge, welche die Maler von Pompeji besonders anstrebten; ja man kann
behaupten, daß sie dieselben nicht nötig hatten. Heute, da die pompejcinischen
Häuser keine Dächer mehr haben, sehen wir ihre Malereien bei dem Lichte einer
strahlenden Sonne, welche ihre geringsten Fehler unbarmherzig bloßlegt; aber
geschaffen waren sie nicht für diese helle Beleuchtung, Die Räume, wo sie ihren
Platz hatten, erhielten ihr Licht in der Regel nur von der Thür her, ja man
hatte Vorkehrungen getroffen, um zu verhüten, daß die ganze das Atrium
durchflutende Lichtfülle durch diese einzige Öffnung eindrang. Vorhänge, die
zwischen den Säulen ausgespannt waren, gaben Schatten vor den Räumen, in
denen die Bewohner die heißen Stunden des Tages zubrachten. In diesem
Halbdunkel traten die UnVollkommenheiten der Ausführung nicht zu Tage, und
die Künstler konnten manchen Vorzug und manche Feinheit ihrer Vorbilder hier
ohne Schaden vernachlässigen.

Aber ungeachtet dieser Vorbehalte, die zu machen unumgänglich war, läßt
sich mit vollem Recht behaupten, daß uns die Fresken von Herculaneum und
Pompeji eine ziemlich zutreffende Vorstellung von der alexandrinischen Malerei
vermitteln. Ja wir können sogar den Versuch machen, in diesen unvollständigen
Kopien einige der berühmten Gemälde wiederzufinden, deren Schönheit uns die
alten Kunstrichter rühmen. Dieses Unternehmen scheint zuerst etwas gewagt;
aber wir dürfen nicht vergessen, daß, wenn diese Gemälde heute verloren sind,
wir doch wenigstens einige Erinnerungen an sie übrig haben. Sie sind bei
den Schriftstellern erwähnt, die uns die Geschichte der antiken Malerei über¬
lieferten; selten unterlassen es die Dichter, besonders die der Anthologie, ihrer
Beschreibung ein paar Verse zu widmen; auf den Basreliefs und den Vasen
finden wir mehr oder weniger genaue Nachahmungen von ihnen; endlich
— und dies ist wichtiger — sind sie an den Wänden der Städte Campaniens
vielfach reproduzirt worden. Vergleichen wir diese verschiednen Kopien miteinander
und kontroliren wir sie mittelst der Nachrichten, welche die Kritiker und Poeten
uns geben, so unterscheiden wir, was jeder Künstler dem Original entnommen
hat, und gelangen so schließlich zu einer Rekonstruktion desselben wenigstens im
großen und ganzen und in seinen Hauptlinien. Auf diese Art können wir
uns beispielsweise zwei berühmte Gemälde des Niklas, die Andromeda und die
>Zv, vergegenwärtigen. Der erstere Gegenstand findet sich in Pompeji zweimal
in einer dort nicht gewöhnlichen Größe dargestellt; der andre kommt nur ein¬
mal vor, wurde aber zum Glück auch auf dem Palatin, im Hause der Livia, ent¬
deckt. Es sind zwei schöne Malereien, die wie Gegenstücke wirken und einander
hinreichend ähnlich sind, um für Werke von der nämlichen Künstlerhand zu
gelten. Die allgemeine Anordnung und die wesentlichen Züge des Originals
haben die Kopisten jedenfalls beibehalten; so vermögen wir uns von dem Cha¬
rakter jener beiden Werke des großen athenischen Künstlers, der sich nach Pli-
nius besonders in der Darstellung weiblicher Schönheit hervorthat, einen Be-


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[0349] Pompejanische Spaziergänge. Vorzüge, welche die Maler von Pompeji besonders anstrebten; ja man kann behaupten, daß sie dieselben nicht nötig hatten. Heute, da die pompejcinischen Häuser keine Dächer mehr haben, sehen wir ihre Malereien bei dem Lichte einer strahlenden Sonne, welche ihre geringsten Fehler unbarmherzig bloßlegt; aber geschaffen waren sie nicht für diese helle Beleuchtung, Die Räume, wo sie ihren Platz hatten, erhielten ihr Licht in der Regel nur von der Thür her, ja man hatte Vorkehrungen getroffen, um zu verhüten, daß die ganze das Atrium durchflutende Lichtfülle durch diese einzige Öffnung eindrang. Vorhänge, die zwischen den Säulen ausgespannt waren, gaben Schatten vor den Räumen, in denen die Bewohner die heißen Stunden des Tages zubrachten. In diesem Halbdunkel traten die UnVollkommenheiten der Ausführung nicht zu Tage, und die Künstler konnten manchen Vorzug und manche Feinheit ihrer Vorbilder hier ohne Schaden vernachlässigen. Aber ungeachtet dieser Vorbehalte, die zu machen unumgänglich war, läßt sich mit vollem Recht behaupten, daß uns die Fresken von Herculaneum und Pompeji eine ziemlich zutreffende Vorstellung von der alexandrinischen Malerei vermitteln. Ja wir können sogar den Versuch machen, in diesen unvollständigen Kopien einige der berühmten Gemälde wiederzufinden, deren Schönheit uns die alten Kunstrichter rühmen. Dieses Unternehmen scheint zuerst etwas gewagt; aber wir dürfen nicht vergessen, daß, wenn diese Gemälde heute verloren sind, wir doch wenigstens einige Erinnerungen an sie übrig haben. Sie sind bei den Schriftstellern erwähnt, die uns die Geschichte der antiken Malerei über¬ lieferten; selten unterlassen es die Dichter, besonders die der Anthologie, ihrer Beschreibung ein paar Verse zu widmen; auf den Basreliefs und den Vasen finden wir mehr oder weniger genaue Nachahmungen von ihnen; endlich — und dies ist wichtiger — sind sie an den Wänden der Städte Campaniens vielfach reproduzirt worden. Vergleichen wir diese verschiednen Kopien miteinander und kontroliren wir sie mittelst der Nachrichten, welche die Kritiker und Poeten uns geben, so unterscheiden wir, was jeder Künstler dem Original entnommen hat, und gelangen so schließlich zu einer Rekonstruktion desselben wenigstens im großen und ganzen und in seinen Hauptlinien. Auf diese Art können wir uns beispielsweise zwei berühmte Gemälde des Niklas, die Andromeda und die >Zv, vergegenwärtigen. Der erstere Gegenstand findet sich in Pompeji zweimal in einer dort nicht gewöhnlichen Größe dargestellt; der andre kommt nur ein¬ mal vor, wurde aber zum Glück auch auf dem Palatin, im Hause der Livia, ent¬ deckt. Es sind zwei schöne Malereien, die wie Gegenstücke wirken und einander hinreichend ähnlich sind, um für Werke von der nämlichen Künstlerhand zu gelten. Die allgemeine Anordnung und die wesentlichen Züge des Originals haben die Kopisten jedenfalls beibehalten; so vermögen wir uns von dem Cha¬ rakter jener beiden Werke des großen athenischen Künstlers, der sich nach Pli- nius besonders in der Darstellung weiblicher Schönheit hervorthat, einen Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/349>, abgerufen am 03.07.2024.