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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

Geld, das nicht mehr für die öffentlichen Monumente bestimmt wurde, ver¬
wendete man lieber zur Dekoration des eignen Hauses, aus welchem man nun
den Mittelpunkt des Daseins machte. "In der Geschichte der griechischen Kunst,
sagt Letronne,*) lassen sich zwei Hauptmomente unterscheiden: zuerst die Zeit,
wo sie ausschließlich den Beruf hatte, durch die Bildsäulen der Götter und
durch die malerische Darstellung ihrer Wohlthaten dem religiösen Glaube" Nah¬
rung zu geben, den Patriotismus der Bürger durch das stets lebendige Schau¬
spiel der Großthaten ihrer Vorfahren zu wecken, wo also jedes Erzeugnis des
Künstlers seine schon im voraus feststehende Bestimmung und Stelle hatte, und
dann die Zeit, wo die Kunst sozusagen nur noch bestellte Arbeit lieferte, wo
ihre Hervorbringungen zu Luxusgegenständen wurden, zu bloßen Raritäten
herabsanken, den Produkten des Gewerbfleißes gleichgesetzt, weniger ihrer Schön¬
heit als ihrer Kostbarkeit wegen gesucht und in den Palästen der Könige und
der Reichen zu leerer Augenweide aufgespeichert wurden." Von jetzt an verlor
der Künstler den Geschmack an jenen großen Gemälden, die, für ein ganz be¬
stimmtes Monument geschaffen, mit dem Zweck und der Architektur des Gebäudes
Harmoniren mußten, seinen Charakter wiedergaben und überhaupt nur an dem
Platze, den sie einnehmen, verständlich sind. Nach Neigung arbeitete er in
seinem Atelier an Stoffen seiner Wahl, ohne sich viel darum zu kümmern, was
aus seinen Bildern werden würde, oder vielmehr im voraus gewiß, daß sich
immer ein reicher Liebhaber finden würde, bereit, sie teuer zu bezahlen und zum
Schmucke seiner Wohnung zu verwenden. So fing man an, anstatt der für
die öffentlichen Gebäude bestimmten großen Fresken oder umfangreichen Ölge¬
mälde das zu malen, was Helbig treffend "Kabinettbilder" nennt. Jene Kabinets-
bilder hing man an den Wänden der Privathciuser auf; sie wurden eine Art
Bedürfnis, ein unentbehrlicher Luxus für die "Glücklichen dieser Erde."**)

Von diesem Brauche schreibt sich um auch das System der pompejanischen
Wanddekoration her. Mit der großen Monumentalmalerei, welche sich an den
Wänden der Tempel oder Säulenhallen entfaltete, hatte es durchaus nichts
gemein. Um uns hiervon zu überzeugen, brauchen wir nur die Art und Weise
zu studiren, wie die mythologischen oder sonstigen Szenen, welche die campa-
nischen Häuser schmücken, an den Mauern angeordnet sind. In der Regel be¬
decken sie nur einen Teil derselben; sie haben ihren Platz inmitten einer Archi¬
tekturdekoration, von welcher sie sich lebhaft abheben, sind in regelmäßigen Feldern
verteilt und sehr oft von einem Rahmen umgeben, der sich an die Hohlkehle
des Gesimses zu lehnen oder auf Konsolen zu ruhen scheint. Der Künstler
hat ersichtlich eine Art optischer Täuschung beabsichtigt und auf die Betrachter
den Eindruck machen wollen, als wären diese Malereien wirkliche Tafelbilder.




liSttros et'un imtiguairs ". rin s,reifes.
**) Vergl. die Stelle des Aristoteles bei Cicero (<Zo vat. äsoruw II, XXXVII, 9ö).
Pompejanische Spaziergänge.

Geld, das nicht mehr für die öffentlichen Monumente bestimmt wurde, ver¬
wendete man lieber zur Dekoration des eignen Hauses, aus welchem man nun
den Mittelpunkt des Daseins machte. „In der Geschichte der griechischen Kunst,
sagt Letronne,*) lassen sich zwei Hauptmomente unterscheiden: zuerst die Zeit,
wo sie ausschließlich den Beruf hatte, durch die Bildsäulen der Götter und
durch die malerische Darstellung ihrer Wohlthaten dem religiösen Glaube» Nah¬
rung zu geben, den Patriotismus der Bürger durch das stets lebendige Schau¬
spiel der Großthaten ihrer Vorfahren zu wecken, wo also jedes Erzeugnis des
Künstlers seine schon im voraus feststehende Bestimmung und Stelle hatte, und
dann die Zeit, wo die Kunst sozusagen nur noch bestellte Arbeit lieferte, wo
ihre Hervorbringungen zu Luxusgegenständen wurden, zu bloßen Raritäten
herabsanken, den Produkten des Gewerbfleißes gleichgesetzt, weniger ihrer Schön¬
heit als ihrer Kostbarkeit wegen gesucht und in den Palästen der Könige und
der Reichen zu leerer Augenweide aufgespeichert wurden." Von jetzt an verlor
der Künstler den Geschmack an jenen großen Gemälden, die, für ein ganz be¬
stimmtes Monument geschaffen, mit dem Zweck und der Architektur des Gebäudes
Harmoniren mußten, seinen Charakter wiedergaben und überhaupt nur an dem
Platze, den sie einnehmen, verständlich sind. Nach Neigung arbeitete er in
seinem Atelier an Stoffen seiner Wahl, ohne sich viel darum zu kümmern, was
aus seinen Bildern werden würde, oder vielmehr im voraus gewiß, daß sich
immer ein reicher Liebhaber finden würde, bereit, sie teuer zu bezahlen und zum
Schmucke seiner Wohnung zu verwenden. So fing man an, anstatt der für
die öffentlichen Gebäude bestimmten großen Fresken oder umfangreichen Ölge¬
mälde das zu malen, was Helbig treffend „Kabinettbilder" nennt. Jene Kabinets-
bilder hing man an den Wänden der Privathciuser auf; sie wurden eine Art
Bedürfnis, ein unentbehrlicher Luxus für die „Glücklichen dieser Erde."**)

Von diesem Brauche schreibt sich um auch das System der pompejanischen
Wanddekoration her. Mit der großen Monumentalmalerei, welche sich an den
Wänden der Tempel oder Säulenhallen entfaltete, hatte es durchaus nichts
gemein. Um uns hiervon zu überzeugen, brauchen wir nur die Art und Weise
zu studiren, wie die mythologischen oder sonstigen Szenen, welche die campa-
nischen Häuser schmücken, an den Mauern angeordnet sind. In der Regel be¬
decken sie nur einen Teil derselben; sie haben ihren Platz inmitten einer Archi¬
tekturdekoration, von welcher sie sich lebhaft abheben, sind in regelmäßigen Feldern
verteilt und sehr oft von einem Rahmen umgeben, der sich an die Hohlkehle
des Gesimses zu lehnen oder auf Konsolen zu ruhen scheint. Der Künstler
hat ersichtlich eine Art optischer Täuschung beabsichtigt und auf die Betrachter
den Eindruck machen wollen, als wären diese Malereien wirkliche Tafelbilder.




liSttros et'un imtiguairs ». rin s,reifes.
**) Vergl. die Stelle des Aristoteles bei Cicero (<Zo vat. äsoruw II, XXXVII, 9ö).
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[0344] Pompejanische Spaziergänge. Geld, das nicht mehr für die öffentlichen Monumente bestimmt wurde, ver¬ wendete man lieber zur Dekoration des eignen Hauses, aus welchem man nun den Mittelpunkt des Daseins machte. „In der Geschichte der griechischen Kunst, sagt Letronne,*) lassen sich zwei Hauptmomente unterscheiden: zuerst die Zeit, wo sie ausschließlich den Beruf hatte, durch die Bildsäulen der Götter und durch die malerische Darstellung ihrer Wohlthaten dem religiösen Glaube» Nah¬ rung zu geben, den Patriotismus der Bürger durch das stets lebendige Schau¬ spiel der Großthaten ihrer Vorfahren zu wecken, wo also jedes Erzeugnis des Künstlers seine schon im voraus feststehende Bestimmung und Stelle hatte, und dann die Zeit, wo die Kunst sozusagen nur noch bestellte Arbeit lieferte, wo ihre Hervorbringungen zu Luxusgegenständen wurden, zu bloßen Raritäten herabsanken, den Produkten des Gewerbfleißes gleichgesetzt, weniger ihrer Schön¬ heit als ihrer Kostbarkeit wegen gesucht und in den Palästen der Könige und der Reichen zu leerer Augenweide aufgespeichert wurden." Von jetzt an verlor der Künstler den Geschmack an jenen großen Gemälden, die, für ein ganz be¬ stimmtes Monument geschaffen, mit dem Zweck und der Architektur des Gebäudes Harmoniren mußten, seinen Charakter wiedergaben und überhaupt nur an dem Platze, den sie einnehmen, verständlich sind. Nach Neigung arbeitete er in seinem Atelier an Stoffen seiner Wahl, ohne sich viel darum zu kümmern, was aus seinen Bildern werden würde, oder vielmehr im voraus gewiß, daß sich immer ein reicher Liebhaber finden würde, bereit, sie teuer zu bezahlen und zum Schmucke seiner Wohnung zu verwenden. So fing man an, anstatt der für die öffentlichen Gebäude bestimmten großen Fresken oder umfangreichen Ölge¬ mälde das zu malen, was Helbig treffend „Kabinettbilder" nennt. Jene Kabinets- bilder hing man an den Wänden der Privathciuser auf; sie wurden eine Art Bedürfnis, ein unentbehrlicher Luxus für die „Glücklichen dieser Erde."**) Von diesem Brauche schreibt sich um auch das System der pompejanischen Wanddekoration her. Mit der großen Monumentalmalerei, welche sich an den Wänden der Tempel oder Säulenhallen entfaltete, hatte es durchaus nichts gemein. Um uns hiervon zu überzeugen, brauchen wir nur die Art und Weise zu studiren, wie die mythologischen oder sonstigen Szenen, welche die campa- nischen Häuser schmücken, an den Mauern angeordnet sind. In der Regel be¬ decken sie nur einen Teil derselben; sie haben ihren Platz inmitten einer Archi¬ tekturdekoration, von welcher sie sich lebhaft abheben, sind in regelmäßigen Feldern verteilt und sehr oft von einem Rahmen umgeben, der sich an die Hohlkehle des Gesimses zu lehnen oder auf Konsolen zu ruhen scheint. Der Künstler hat ersichtlich eine Art optischer Täuschung beabsichtigt und auf die Betrachter den Eindruck machen wollen, als wären diese Malereien wirkliche Tafelbilder. liSttros et'un imtiguairs ». rin s,reifes. **) Vergl. die Stelle des Aristoteles bei Cicero (<Zo vat. äsoruw II, XXXVII, 9ö).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/344>, abgerufen am 02.10.2024.