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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Überseeische Anncxionsplänc Frankreichs und Englands.

bewässerten Ländern bewundere. Es erklärt diese Besorgnisse für das letzte
Symptom einer alten Krankheit, die sich glücklicherweise einer gründlichen Heilung
nähere, und fügt hinzu: "Eifersucht und Mißtrauen gegen Frankreich bildeten
Jahrhunderte hindurch das politische Glaubensbekenntnis des englischen Volkes."
Zum Schlüsse versucht der ?ginx" den Beweis zu führen, daß die Expedition
nach Tonkin nicht die verhängnisvollen Folgen haben werde, welche die eng¬
lischen Zeitungsschreiber freundlich voraussagen, und wir halten den Beweis
für gelungen.

Auch in der Kongofrage ist Frankreich einen Schritt weiter gegangen.
Der portugiesische Gouverneur von Angola hat ein Telegramm an seine Re¬
gierung gerichtet, nach welchem er einen Zusammenstoß zwischen der Expedition
de Brazzas mit Stanley und seinen Leuten befürchtet, da jene Porta Negra
an der Mündung des Schwarzen Flusses besetzt hat und dies als schwerer Schlag
für Stanleys Zukunftspläne anzusehen ist, indem es die einzige Ausfahrt von
Stanley Pook am Kongo nach dem Meere sperrt. Nur der Fluß Ogune bleibt
noch offen, aber auch nicht vollständig; denn er strömt, bevor er die See er¬
reicht, eine Strecke durch die französische Kolonie am Gabun. De Brazzas
Freunde jubeln, und ihr Organ, das Blatt ruft triumphirend aus: "Wir
fürchten kein bewaffnetes Dazwischentreten von seiten unsers Nebenbuhlers. De
Brazza ist nicht mehr der alleinstehende Reisende, ohne Freunde und ohne Geld,
den der hochmütige Jankee früher mit Geringschätzung behandelte. Er ist jetzt
ein französischer Beamter, welcher eine offizielle Sendung leitet, die wohl be¬
waffnet und wohl ausgestattet ist, und welcher zwar den Frieden wünscht, aber
für den Notfall auch Krieg zu führen imstande ist. De Brazza hat den un¬
geheuern Vorteil, eine Großmacht zu vertreten, während Stanley, ein geo¬
graphischer Landsknecht, nur den Geldsack vertritt. Französische Scharfschützen
metzelt man nicht so leicht nieder wie einfache, harmlose Afrikaner. Stanley
mag soviel Verdruß an den Tag legen, als ihm beliebt. De Brazza lebe hoch!"

Etwas eigentümlich klingt die Stelle im Telegramm des portugiesischen
Gouverneurs: "Mir fehlt es an Schiffen und Verstärkungen. In den Be¬
sitzungen Portugals ist alles ruhig." Auch der Bericht klingt einigermaßen
bedenklich, nach welchem der Befehlshaber des portugiesischen Kreuzers Bengo
"protestirt" haben soll, um alle die Rechte zu wahren, welche die Lissaboner
Regierung in Zukunft hier geltend zu machen für angezeigt halten könnte. Un¬
wahrscheinlich dagegen ist, daß Stanley den Versuch unternehmen wird, den
Franzosen am Kongo mit Gewalt entgegenzutreten; denn was vermöchte er als
einzelner Mann, dem höchstens ein paar Dutzend Untergebene zur Verfügung
stehen, gegen de Brazzas Kompagnie algerischer Schützen! Wagt er trotzdem
Widerstand, so muß er seine Maßregeln so getroffen haben, daß der Ausgang
wenigstens zweifelhaft erscheint, und da das bei seiner energischen und klugen
Natur nicht unmöglich ist, so darf man bei dem Jubelgeschrei in Paris Wohl


Überseeische Anncxionsplänc Frankreichs und Englands.

bewässerten Ländern bewundere. Es erklärt diese Besorgnisse für das letzte
Symptom einer alten Krankheit, die sich glücklicherweise einer gründlichen Heilung
nähere, und fügt hinzu: „Eifersucht und Mißtrauen gegen Frankreich bildeten
Jahrhunderte hindurch das politische Glaubensbekenntnis des englischen Volkes."
Zum Schlüsse versucht der ?ginx« den Beweis zu führen, daß die Expedition
nach Tonkin nicht die verhängnisvollen Folgen haben werde, welche die eng¬
lischen Zeitungsschreiber freundlich voraussagen, und wir halten den Beweis
für gelungen.

Auch in der Kongofrage ist Frankreich einen Schritt weiter gegangen.
Der portugiesische Gouverneur von Angola hat ein Telegramm an seine Re¬
gierung gerichtet, nach welchem er einen Zusammenstoß zwischen der Expedition
de Brazzas mit Stanley und seinen Leuten befürchtet, da jene Porta Negra
an der Mündung des Schwarzen Flusses besetzt hat und dies als schwerer Schlag
für Stanleys Zukunftspläne anzusehen ist, indem es die einzige Ausfahrt von
Stanley Pook am Kongo nach dem Meere sperrt. Nur der Fluß Ogune bleibt
noch offen, aber auch nicht vollständig; denn er strömt, bevor er die See er¬
reicht, eine Strecke durch die französische Kolonie am Gabun. De Brazzas
Freunde jubeln, und ihr Organ, das Blatt ruft triumphirend aus: „Wir
fürchten kein bewaffnetes Dazwischentreten von seiten unsers Nebenbuhlers. De
Brazza ist nicht mehr der alleinstehende Reisende, ohne Freunde und ohne Geld,
den der hochmütige Jankee früher mit Geringschätzung behandelte. Er ist jetzt
ein französischer Beamter, welcher eine offizielle Sendung leitet, die wohl be¬
waffnet und wohl ausgestattet ist, und welcher zwar den Frieden wünscht, aber
für den Notfall auch Krieg zu führen imstande ist. De Brazza hat den un¬
geheuern Vorteil, eine Großmacht zu vertreten, während Stanley, ein geo¬
graphischer Landsknecht, nur den Geldsack vertritt. Französische Scharfschützen
metzelt man nicht so leicht nieder wie einfache, harmlose Afrikaner. Stanley
mag soviel Verdruß an den Tag legen, als ihm beliebt. De Brazza lebe hoch!"

Etwas eigentümlich klingt die Stelle im Telegramm des portugiesischen
Gouverneurs: „Mir fehlt es an Schiffen und Verstärkungen. In den Be¬
sitzungen Portugals ist alles ruhig." Auch der Bericht klingt einigermaßen
bedenklich, nach welchem der Befehlshaber des portugiesischen Kreuzers Bengo
„protestirt" haben soll, um alle die Rechte zu wahren, welche die Lissaboner
Regierung in Zukunft hier geltend zu machen für angezeigt halten könnte. Un¬
wahrscheinlich dagegen ist, daß Stanley den Versuch unternehmen wird, den
Franzosen am Kongo mit Gewalt entgegenzutreten; denn was vermöchte er als
einzelner Mann, dem höchstens ein paar Dutzend Untergebene zur Verfügung
stehen, gegen de Brazzas Kompagnie algerischer Schützen! Wagt er trotzdem
Widerstand, so muß er seine Maßregeln so getroffen haben, daß der Ausgang
wenigstens zweifelhaft erscheint, und da das bei seiner energischen und klugen
Natur nicht unmöglich ist, so darf man bei dem Jubelgeschrei in Paris Wohl


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[0310] Überseeische Anncxionsplänc Frankreichs und Englands. bewässerten Ländern bewundere. Es erklärt diese Besorgnisse für das letzte Symptom einer alten Krankheit, die sich glücklicherweise einer gründlichen Heilung nähere, und fügt hinzu: „Eifersucht und Mißtrauen gegen Frankreich bildeten Jahrhunderte hindurch das politische Glaubensbekenntnis des englischen Volkes." Zum Schlüsse versucht der ?ginx« den Beweis zu führen, daß die Expedition nach Tonkin nicht die verhängnisvollen Folgen haben werde, welche die eng¬ lischen Zeitungsschreiber freundlich voraussagen, und wir halten den Beweis für gelungen. Auch in der Kongofrage ist Frankreich einen Schritt weiter gegangen. Der portugiesische Gouverneur von Angola hat ein Telegramm an seine Re¬ gierung gerichtet, nach welchem er einen Zusammenstoß zwischen der Expedition de Brazzas mit Stanley und seinen Leuten befürchtet, da jene Porta Negra an der Mündung des Schwarzen Flusses besetzt hat und dies als schwerer Schlag für Stanleys Zukunftspläne anzusehen ist, indem es die einzige Ausfahrt von Stanley Pook am Kongo nach dem Meere sperrt. Nur der Fluß Ogune bleibt noch offen, aber auch nicht vollständig; denn er strömt, bevor er die See er¬ reicht, eine Strecke durch die französische Kolonie am Gabun. De Brazzas Freunde jubeln, und ihr Organ, das Blatt ruft triumphirend aus: „Wir fürchten kein bewaffnetes Dazwischentreten von seiten unsers Nebenbuhlers. De Brazza ist nicht mehr der alleinstehende Reisende, ohne Freunde und ohne Geld, den der hochmütige Jankee früher mit Geringschätzung behandelte. Er ist jetzt ein französischer Beamter, welcher eine offizielle Sendung leitet, die wohl be¬ waffnet und wohl ausgestattet ist, und welcher zwar den Frieden wünscht, aber für den Notfall auch Krieg zu führen imstande ist. De Brazza hat den un¬ geheuern Vorteil, eine Großmacht zu vertreten, während Stanley, ein geo¬ graphischer Landsknecht, nur den Geldsack vertritt. Französische Scharfschützen metzelt man nicht so leicht nieder wie einfache, harmlose Afrikaner. Stanley mag soviel Verdruß an den Tag legen, als ihm beliebt. De Brazza lebe hoch!" Etwas eigentümlich klingt die Stelle im Telegramm des portugiesischen Gouverneurs: „Mir fehlt es an Schiffen und Verstärkungen. In den Be¬ sitzungen Portugals ist alles ruhig." Auch der Bericht klingt einigermaßen bedenklich, nach welchem der Befehlshaber des portugiesischen Kreuzers Bengo „protestirt" haben soll, um alle die Rechte zu wahren, welche die Lissaboner Regierung in Zukunft hier geltend zu machen für angezeigt halten könnte. Un¬ wahrscheinlich dagegen ist, daß Stanley den Versuch unternehmen wird, den Franzosen am Kongo mit Gewalt entgegenzutreten; denn was vermöchte er als einzelner Mann, dem höchstens ein paar Dutzend Untergebene zur Verfügung stehen, gegen de Brazzas Kompagnie algerischer Schützen! Wagt er trotzdem Widerstand, so muß er seine Maßregeln so getroffen haben, daß der Ausgang wenigstens zweifelhaft erscheint, und da das bei seiner energischen und klugen Natur nicht unmöglich ist, so darf man bei dem Jubelgeschrei in Paris Wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/310>, abgerufen am 24.08.2024.