Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Erinnerung an Ludmig Spohr.

Oder wem, der Spohr je im Konzert spielen hörte, wird diese Erinnerung
sich verwischt haben? Hat er vor- oder nachher gleiches oder ähnliches ge¬
hört? Ist ihm je wieder ein so voller und sieghafter und doch so weicher, edler
Geigenton vorgekommen? Eine solche unnachahmliche Grazie und Eleganz des
alle, auch die größten technischen Schwierigkeiten mit souveräner Freiheit be¬
herrschenden Vortrags? Hörte er jemals wieder so tiefergreifende, Seele und
Ohr mit dem wonnigsten Zauber bestrickende Melodien, so klare, perlende Läufer,
ein solch breites und doch so elegantes und zwangloses Staccato? Und dabei
dieser Anstand im Auftreten und der ganzen Haltung, diese Würde in allen
Bewegungen! Und endlich in ihrer Gesamtheit diese von allen Schlacken, von
aller irdischen UnVollkommenheit befreite Leistung!

Doch es ist hier nicht meine Absicht, über Spohr als den größten Geiger,
den gefeiertsten Dirigenten, den gewissenhaftesten Lehrer, den klassischen Ton¬
setzer zu sprechen, nur den edeln, verehrungswürdigen Menschen will ich zu
schildern versuchen, den charaktervoller, deutschen Mann von echtem Schrot und
Korn, der im Umgange durch seltne Eigenschaften des Herzens und Gemütes
den hochstehenden und von seiner Zeit mit allgemeiner gerechter Bewunderung
gefeierten Künstler fast vergessen ließ.

Spohr liebte es, nach den Mühen angestrengter Amts- und schöpferischer
Thätigkeit während der Theaterferien von Zeit zu Zeit einen Badeaufenthalt
zu nehmen. Ein großer Freund der Natur, ausdauernd in körperlichen Stra¬
pazen (wie er denn auch ein vortrefflicher Schlittschuhläufer und ein unermüd¬
licher Schwimmer war), fand er in der Zurückgezogenheit, Ruhe und schönen
Umgebung der von ihm gerne besuchten Bäder, namentlich der böhmischen, stets
wohlthätigste Erfrischung und Kräftigung. Bereits im Jahre 1824 begleitete er
seine erste Gattin, Dorette, geb. Scheibler, eine vorzügliche Harfen- und Klavier¬
spielerin und als solche die Genossin seiner an Auszeichnungen aller Art reichen
Kunstreisen, die in der letzten Zeit von einem quälenden Nervenleiden heimge¬
sucht war, nach Marienbad. Für ein ihm damals von der dortigen Musikge¬
sellschaft gebrachtes Ständchen, bei welchem unter Direktion eines Mannes, der
im Winter das wenig lukrative Geschüft eines Leinewebers betrieb, Cherubinis
Medeenouverture recht gelungen ausgeführt wurde, zeigte er sich dankbar durch
die Komposition eines Walzers Z, t" Strauß, der, später bei Haßlinger in Wien
gedruckt, heute leider aus dem Musikalienhandel gänzlich verschwunden ist. Die,
wie es schien, anfänglich mit dem bestem Erfolge gebrauchte Marienbader Kur
erwies sich für Spohrs Gattin leider nicht von nachhaltiger Wirkung, denn sie
starb schon wenige Monate nach ihrer Rückkehr nach Kassel (20. November 1824).
In der Folge wurde Karlsbad der Lieblingsaufenthalt des Meisters. Er be¬
suchte es viermal, 1838, 1842. 1846 und 1849. In spätern Jahren, 1854
und 1859, wandte er sich mit Vorliebe nach dem kleinen, stillen Alexanders¬
bade im Fichtelgebirge, wo die Erinnerung an seine Anwesenheit noch heute


Zur Erinnerung an Ludmig Spohr.

Oder wem, der Spohr je im Konzert spielen hörte, wird diese Erinnerung
sich verwischt haben? Hat er vor- oder nachher gleiches oder ähnliches ge¬
hört? Ist ihm je wieder ein so voller und sieghafter und doch so weicher, edler
Geigenton vorgekommen? Eine solche unnachahmliche Grazie und Eleganz des
alle, auch die größten technischen Schwierigkeiten mit souveräner Freiheit be¬
herrschenden Vortrags? Hörte er jemals wieder so tiefergreifende, Seele und
Ohr mit dem wonnigsten Zauber bestrickende Melodien, so klare, perlende Läufer,
ein solch breites und doch so elegantes und zwangloses Staccato? Und dabei
dieser Anstand im Auftreten und der ganzen Haltung, diese Würde in allen
Bewegungen! Und endlich in ihrer Gesamtheit diese von allen Schlacken, von
aller irdischen UnVollkommenheit befreite Leistung!

Doch es ist hier nicht meine Absicht, über Spohr als den größten Geiger,
den gefeiertsten Dirigenten, den gewissenhaftesten Lehrer, den klassischen Ton¬
setzer zu sprechen, nur den edeln, verehrungswürdigen Menschen will ich zu
schildern versuchen, den charaktervoller, deutschen Mann von echtem Schrot und
Korn, der im Umgange durch seltne Eigenschaften des Herzens und Gemütes
den hochstehenden und von seiner Zeit mit allgemeiner gerechter Bewunderung
gefeierten Künstler fast vergessen ließ.

Spohr liebte es, nach den Mühen angestrengter Amts- und schöpferischer
Thätigkeit während der Theaterferien von Zeit zu Zeit einen Badeaufenthalt
zu nehmen. Ein großer Freund der Natur, ausdauernd in körperlichen Stra¬
pazen (wie er denn auch ein vortrefflicher Schlittschuhläufer und ein unermüd¬
licher Schwimmer war), fand er in der Zurückgezogenheit, Ruhe und schönen
Umgebung der von ihm gerne besuchten Bäder, namentlich der böhmischen, stets
wohlthätigste Erfrischung und Kräftigung. Bereits im Jahre 1824 begleitete er
seine erste Gattin, Dorette, geb. Scheibler, eine vorzügliche Harfen- und Klavier¬
spielerin und als solche die Genossin seiner an Auszeichnungen aller Art reichen
Kunstreisen, die in der letzten Zeit von einem quälenden Nervenleiden heimge¬
sucht war, nach Marienbad. Für ein ihm damals von der dortigen Musikge¬
sellschaft gebrachtes Ständchen, bei welchem unter Direktion eines Mannes, der
im Winter das wenig lukrative Geschüft eines Leinewebers betrieb, Cherubinis
Medeenouverture recht gelungen ausgeführt wurde, zeigte er sich dankbar durch
die Komposition eines Walzers Z, t» Strauß, der, später bei Haßlinger in Wien
gedruckt, heute leider aus dem Musikalienhandel gänzlich verschwunden ist. Die,
wie es schien, anfänglich mit dem bestem Erfolge gebrauchte Marienbader Kur
erwies sich für Spohrs Gattin leider nicht von nachhaltiger Wirkung, denn sie
starb schon wenige Monate nach ihrer Rückkehr nach Kassel (20. November 1824).
In der Folge wurde Karlsbad der Lieblingsaufenthalt des Meisters. Er be¬
suchte es viermal, 1838, 1842. 1846 und 1849. In spätern Jahren, 1854
und 1859, wandte er sich mit Vorliebe nach dem kleinen, stillen Alexanders¬
bade im Fichtelgebirge, wo die Erinnerung an seine Anwesenheit noch heute


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152786"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Erinnerung an Ludmig Spohr.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_68"> Oder wem, der Spohr je im Konzert spielen hörte, wird diese Erinnerung<lb/>
sich verwischt haben? Hat er vor- oder nachher gleiches oder ähnliches ge¬<lb/>
hört? Ist ihm je wieder ein so voller und sieghafter und doch so weicher, edler<lb/>
Geigenton vorgekommen? Eine solche unnachahmliche Grazie und Eleganz des<lb/>
alle, auch die größten technischen Schwierigkeiten mit souveräner Freiheit be¬<lb/>
herrschenden Vortrags? Hörte er jemals wieder so tiefergreifende, Seele und<lb/>
Ohr mit dem wonnigsten Zauber bestrickende Melodien, so klare, perlende Läufer,<lb/>
ein solch breites und doch so elegantes und zwangloses Staccato? Und dabei<lb/>
dieser Anstand im Auftreten und der ganzen Haltung, diese Würde in allen<lb/>
Bewegungen! Und endlich in ihrer Gesamtheit diese von allen Schlacken, von<lb/>
aller irdischen UnVollkommenheit befreite Leistung!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_69"> Doch es ist hier nicht meine Absicht, über Spohr als den größten Geiger,<lb/>
den gefeiertsten Dirigenten, den gewissenhaftesten Lehrer, den klassischen Ton¬<lb/>
setzer zu sprechen, nur den edeln, verehrungswürdigen Menschen will ich zu<lb/>
schildern versuchen, den charaktervoller, deutschen Mann von echtem Schrot und<lb/>
Korn, der im Umgange durch seltne Eigenschaften des Herzens und Gemütes<lb/>
den hochstehenden und von seiner Zeit mit allgemeiner gerechter Bewunderung<lb/>
gefeierten Künstler fast vergessen ließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_70" next="#ID_71"> Spohr liebte es, nach den Mühen angestrengter Amts- und schöpferischer<lb/>
Thätigkeit während der Theaterferien von Zeit zu Zeit einen Badeaufenthalt<lb/>
zu nehmen. Ein großer Freund der Natur, ausdauernd in körperlichen Stra¬<lb/>
pazen (wie er denn auch ein vortrefflicher Schlittschuhläufer und ein unermüd¬<lb/>
licher Schwimmer war), fand er in der Zurückgezogenheit, Ruhe und schönen<lb/>
Umgebung der von ihm gerne besuchten Bäder, namentlich der böhmischen, stets<lb/>
wohlthätigste Erfrischung und Kräftigung. Bereits im Jahre 1824 begleitete er<lb/>
seine erste Gattin, Dorette, geb. Scheibler, eine vorzügliche Harfen- und Klavier¬<lb/>
spielerin und als solche die Genossin seiner an Auszeichnungen aller Art reichen<lb/>
Kunstreisen, die in der letzten Zeit von einem quälenden Nervenleiden heimge¬<lb/>
sucht war, nach Marienbad. Für ein ihm damals von der dortigen Musikge¬<lb/>
sellschaft gebrachtes Ständchen, bei welchem unter Direktion eines Mannes, der<lb/>
im Winter das wenig lukrative Geschüft eines Leinewebers betrieb, Cherubinis<lb/>
Medeenouverture recht gelungen ausgeführt wurde, zeigte er sich dankbar durch<lb/>
die Komposition eines Walzers Z, t» Strauß, der, später bei Haßlinger in Wien<lb/>
gedruckt, heute leider aus dem Musikalienhandel gänzlich verschwunden ist. Die,<lb/>
wie es schien, anfänglich mit dem bestem Erfolge gebrauchte Marienbader Kur<lb/>
erwies sich für Spohrs Gattin leider nicht von nachhaltiger Wirkung, denn sie<lb/>
starb schon wenige Monate nach ihrer Rückkehr nach Kassel (20. November 1824).<lb/>
In der Folge wurde Karlsbad der Lieblingsaufenthalt des Meisters. Er be¬<lb/>
suchte es viermal, 1838, 1842. 1846 und 1849. In spätern Jahren, 1854<lb/>
und 1859, wandte er sich mit Vorliebe nach dem kleinen, stillen Alexanders¬<lb/>
bade im Fichtelgebirge, wo die Erinnerung an seine Anwesenheit noch heute</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] Zur Erinnerung an Ludmig Spohr. Oder wem, der Spohr je im Konzert spielen hörte, wird diese Erinnerung sich verwischt haben? Hat er vor- oder nachher gleiches oder ähnliches ge¬ hört? Ist ihm je wieder ein so voller und sieghafter und doch so weicher, edler Geigenton vorgekommen? Eine solche unnachahmliche Grazie und Eleganz des alle, auch die größten technischen Schwierigkeiten mit souveräner Freiheit be¬ herrschenden Vortrags? Hörte er jemals wieder so tiefergreifende, Seele und Ohr mit dem wonnigsten Zauber bestrickende Melodien, so klare, perlende Läufer, ein solch breites und doch so elegantes und zwangloses Staccato? Und dabei dieser Anstand im Auftreten und der ganzen Haltung, diese Würde in allen Bewegungen! Und endlich in ihrer Gesamtheit diese von allen Schlacken, von aller irdischen UnVollkommenheit befreite Leistung! Doch es ist hier nicht meine Absicht, über Spohr als den größten Geiger, den gefeiertsten Dirigenten, den gewissenhaftesten Lehrer, den klassischen Ton¬ setzer zu sprechen, nur den edeln, verehrungswürdigen Menschen will ich zu schildern versuchen, den charaktervoller, deutschen Mann von echtem Schrot und Korn, der im Umgange durch seltne Eigenschaften des Herzens und Gemütes den hochstehenden und von seiner Zeit mit allgemeiner gerechter Bewunderung gefeierten Künstler fast vergessen ließ. Spohr liebte es, nach den Mühen angestrengter Amts- und schöpferischer Thätigkeit während der Theaterferien von Zeit zu Zeit einen Badeaufenthalt zu nehmen. Ein großer Freund der Natur, ausdauernd in körperlichen Stra¬ pazen (wie er denn auch ein vortrefflicher Schlittschuhläufer und ein unermüd¬ licher Schwimmer war), fand er in der Zurückgezogenheit, Ruhe und schönen Umgebung der von ihm gerne besuchten Bäder, namentlich der böhmischen, stets wohlthätigste Erfrischung und Kräftigung. Bereits im Jahre 1824 begleitete er seine erste Gattin, Dorette, geb. Scheibler, eine vorzügliche Harfen- und Klavier¬ spielerin und als solche die Genossin seiner an Auszeichnungen aller Art reichen Kunstreisen, die in der letzten Zeit von einem quälenden Nervenleiden heimge¬ sucht war, nach Marienbad. Für ein ihm damals von der dortigen Musikge¬ sellschaft gebrachtes Ständchen, bei welchem unter Direktion eines Mannes, der im Winter das wenig lukrative Geschüft eines Leinewebers betrieb, Cherubinis Medeenouverture recht gelungen ausgeführt wurde, zeigte er sich dankbar durch die Komposition eines Walzers Z, t» Strauß, der, später bei Haßlinger in Wien gedruckt, heute leider aus dem Musikalienhandel gänzlich verschwunden ist. Die, wie es schien, anfänglich mit dem bestem Erfolge gebrauchte Marienbader Kur erwies sich für Spohrs Gattin leider nicht von nachhaltiger Wirkung, denn sie starb schon wenige Monate nach ihrer Rückkehr nach Kassel (20. November 1824). In der Folge wurde Karlsbad der Lieblingsaufenthalt des Meisters. Er be¬ suchte es viermal, 1838, 1842. 1846 und 1849. In spätern Jahren, 1854 und 1859, wandte er sich mit Vorliebe nach dem kleinen, stillen Alexanders¬ bade im Fichtelgebirge, wo die Erinnerung an seine Anwesenheit noch heute

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/29>, abgerufen am 01.07.2024.