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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Erinnerung an Ludwig Spohr.

es drängt mich, einige Blätter hier zusammenzustellen, die imstande sein dürften,
auch andern die edle und hohe Erscheinung des nun seit vierundzwanzig Jahren
zu ewiger Ruhe Gebetteten zu vergegenwärtigen.

Am 5. April 1784 wurde in Braunschweig Ludwig Spohr geboren.
Sein neunundneunzigster Geburtstag steht also nahe bevor. Die Feier desselben
gewinnt dadurch noch erhöhte Bedeutung, daß an ihm das Standbild enthüllt
werden soll, welches Freunde und Verehrer ihm an dem Orte seiner langen
ruhen- und ehrenreichen Wirksamkeit, in Kassel, zu errichten beschlossen haben.

Wem, der ihn persönlich gekannt, muß im Hinblick auf dies Ereignis nicht
das Bild des herrlichen Künstlers, der sich in zahlreichen unübertroffenen und
unvergänglichen Werken selbst das schönste und beneidenswerteste Denkmal ge¬
setzt hat, lebhaft zurückgerufen werden? Er wird auf der Königstraße im Geiste
wieder der majestätischen Gestalt begegnen, die, in einen eng anschließenden
Radmantel gehüllt, das mächtige Haupt mit der historischen grünen, oben
abgerundeten und mit einem großen Schilde versehenen Mütze bedeckt, würdigen
Schrittes zum Theater oder ins Lesemuseum wandelt. Er wird ihn am Diri¬
gentenpulte im Theater sitzen sehen, wie er mit Ernst und Strenge seines Amtes
waltet, unfehlbar in seinen Bestimmungen und Anordnungen und keine Mi߬
achtung oder Deutelei derselben duldend. Er wird, wenn er selbst Schüler Spohrs
gewesen, tieferregt der bang-glücklichen Momente gedenken, da er, das Geigen¬
kästchen unterm Arme, voll Zagen und Unruhe, wie ihm heute wohl die Lösung
seiner Aufgabe gelingen werde, am Holländer Thore von der Straße abbiegend,
zwischen Gartenmauern und am alten Kirchhof vorüber zu der von sorgsam ge¬
pflegten Blumenbeeten umgebenen traulichen Villa des verehrten Lehrers eilte.
Dort findet er den Herrn Generalmusikdirektor mitten im Zimmer stehend, die
Hände behaglich in die Brusttaschen des grauen Hausrockes gesteckt und mit freund¬
lichem Wort und gütigem Lächeln den achtungsvollen Gruß des Schülers er¬
wiedernd. Jetzt schreitet der Verehrte zu einem neben der Zimmerthllre stehenden
Tischchen, auf welchem, in eine Lederdecke gehüllt, ein doppelter Geigenkasten steht.
Er nimmt den kostbaren, die erstaunlichste und zugleich süßeste Tonfülle bergenden
Straduarius heraus, präludirt einige kühne, schwer nachzuahmende Läufer und
nimmt dann im bequemen Lehnsessel Platz, um das Spiel des am Fenster in
hellster Beleuchtung stehenden Zöglings mit Auge und Ohr sorgsamst zu über¬
wachen, seinen Vortrag mit einer wunderbaren zweiten Stimme zu begleiten und
am Ende, ohne seinen Sitz zu verlassen, ihm nun selbst das betreffende Tonstück
in vollendeter, untadeliger Weise vorzuspielen. Kein falscher Strich, keine fehler¬
hafte Nüance, keine schwankende Intonation entgehen dem strengen Lehrer. Wie blitzt
sein Auge unwillig auf, wenn es dem Schüler nicht gelingt, seinen Ansprüchen
sofort gerecht zu werden! Und wiederum, wie strahlen diese milden, unverge߬
lichen blauen Augen freundlich und ermutigend, wenn es dem Schüler glückt,
des Meisters Wünschen zu genügen!


Zur Erinnerung an Ludwig Spohr.

es drängt mich, einige Blätter hier zusammenzustellen, die imstande sein dürften,
auch andern die edle und hohe Erscheinung des nun seit vierundzwanzig Jahren
zu ewiger Ruhe Gebetteten zu vergegenwärtigen.

Am 5. April 1784 wurde in Braunschweig Ludwig Spohr geboren.
Sein neunundneunzigster Geburtstag steht also nahe bevor. Die Feier desselben
gewinnt dadurch noch erhöhte Bedeutung, daß an ihm das Standbild enthüllt
werden soll, welches Freunde und Verehrer ihm an dem Orte seiner langen
ruhen- und ehrenreichen Wirksamkeit, in Kassel, zu errichten beschlossen haben.

Wem, der ihn persönlich gekannt, muß im Hinblick auf dies Ereignis nicht
das Bild des herrlichen Künstlers, der sich in zahlreichen unübertroffenen und
unvergänglichen Werken selbst das schönste und beneidenswerteste Denkmal ge¬
setzt hat, lebhaft zurückgerufen werden? Er wird auf der Königstraße im Geiste
wieder der majestätischen Gestalt begegnen, die, in einen eng anschließenden
Radmantel gehüllt, das mächtige Haupt mit der historischen grünen, oben
abgerundeten und mit einem großen Schilde versehenen Mütze bedeckt, würdigen
Schrittes zum Theater oder ins Lesemuseum wandelt. Er wird ihn am Diri¬
gentenpulte im Theater sitzen sehen, wie er mit Ernst und Strenge seines Amtes
waltet, unfehlbar in seinen Bestimmungen und Anordnungen und keine Mi߬
achtung oder Deutelei derselben duldend. Er wird, wenn er selbst Schüler Spohrs
gewesen, tieferregt der bang-glücklichen Momente gedenken, da er, das Geigen¬
kästchen unterm Arme, voll Zagen und Unruhe, wie ihm heute wohl die Lösung
seiner Aufgabe gelingen werde, am Holländer Thore von der Straße abbiegend,
zwischen Gartenmauern und am alten Kirchhof vorüber zu der von sorgsam ge¬
pflegten Blumenbeeten umgebenen traulichen Villa des verehrten Lehrers eilte.
Dort findet er den Herrn Generalmusikdirektor mitten im Zimmer stehend, die
Hände behaglich in die Brusttaschen des grauen Hausrockes gesteckt und mit freund¬
lichem Wort und gütigem Lächeln den achtungsvollen Gruß des Schülers er¬
wiedernd. Jetzt schreitet der Verehrte zu einem neben der Zimmerthllre stehenden
Tischchen, auf welchem, in eine Lederdecke gehüllt, ein doppelter Geigenkasten steht.
Er nimmt den kostbaren, die erstaunlichste und zugleich süßeste Tonfülle bergenden
Straduarius heraus, präludirt einige kühne, schwer nachzuahmende Läufer und
nimmt dann im bequemen Lehnsessel Platz, um das Spiel des am Fenster in
hellster Beleuchtung stehenden Zöglings mit Auge und Ohr sorgsamst zu über¬
wachen, seinen Vortrag mit einer wunderbaren zweiten Stimme zu begleiten und
am Ende, ohne seinen Sitz zu verlassen, ihm nun selbst das betreffende Tonstück
in vollendeter, untadeliger Weise vorzuspielen. Kein falscher Strich, keine fehler¬
hafte Nüance, keine schwankende Intonation entgehen dem strengen Lehrer. Wie blitzt
sein Auge unwillig auf, wenn es dem Schüler nicht gelingt, seinen Ansprüchen
sofort gerecht zu werden! Und wiederum, wie strahlen diese milden, unverge߬
lichen blauen Augen freundlich und ermutigend, wenn es dem Schüler glückt,
des Meisters Wünschen zu genügen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/28>, abgerufen am 01.07.2024.