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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

nur ihrem natürlichen Gefühl folgend, jedem Gespräch mit dieser Dame, welche
sich bestrebte, sich in Dorotheens Empfindungen gleichsam einzubohren, eine kühle
Färbung, indem sie sich zumeist auf Antworten beschränkte. Sie konnte der
Gräfin nicht vergessen, daß sie die Veranlassung zu Eberhardts Fernhaltung
war, und ihre Besorgnisse hinsichtlich deren Absichten nahmen immer deutlichere
Form an. Die wenigen Tage, welche seit der Anwesenheit der Altenschwerdts
verflossen waren, schienen ihr eine Ewigkeit lang zu sein.

Gräfin Sibylle war kein Gast, der unbemerkt blieb. Obwohl ihr Benehmen
darauf angelegt zu sein schien, ihren Wirten nur Freude und durchaus keine
Unbequemlichkeit zu machen, obwohl sie gegen Dorothea wie gegen ihren Bater
nur Holdseligkeit ausstrahlte und mehrfach sehr ernstlich darum bat, ihretwegen
in alten, lieben häuslichen Gewohnheiten nicht die geringste Änderung eintreten
zu lassen, so ward doch durch sie Schloß Eichhausen gewissermaßen auf den
Kopf gestellt.

Für den Baron war dies nicht unangenehm. Er war ganz überrascht, zu
finden, wie viel er wisse und wie geistreich er sei. Die Tage gingen ihm äußerst
schnell vorüber. Hatte er sonst manchen Nachmittag und Abend, wenn nicht
gerade der Graf zu einer Partie herüber gekommen war, still vor sich hin ge¬
brütet und seinen Verdruß über die Verderbtheit der Neuzeit in sich hinein¬
geschluckt, so war nun jemand da, der ihn verstand. Er bemerkte, daß seine
Vormittage, die sich ost endlos bis zum Mittagessen hinschleppten, fast zu kurz
wurden. Die Gräfin wollte seine Ställe und Wirtschaftsgebäude genau kennen
lernen, sie entdeckte in dem Schlosse selbst die merkwürdigsten Dinge, über welche
sie sich unterrichten mußte: Wappen, alte Schränke, Bilder, Siegel, Bücher,
lauter Gegenstände, über welche er zu erzählen hatte. Sie hatte eine wundervolle
Gabe, nach Dingen zu fragen, über welche Baron Sextus gern redete.

Anders aber stand es mit Dorothea. Die Stunden, welche sie sonst mit
ihrem Vater in traulicher Ruhe verbracht hatte, trugen jetzt für sie das Gepräge
der gekünstelter Unterhaltung, und die Zeit, welche sie für sich bei ihrer Arbeit
und ihrer Lektüre zu verbringen gewohnt war, wurden durch Spaziergänge, Auf¬
fahrten und sonstige gesellige Anforderungen arg beschnitten. Das wäre nun
alles wohl noch zu ertragen gewesen, wenn nicht zwei dunkle Wolken ihren
Schatten auf die Lage geworfen hätten: die Abwesenheit Eberhardts und die
Anwesenheit des Grafen Dietrich.

Eberhardt hatte ihren Brief beantwortet, indem er seiner Liebe beredten
Ausdruck gab und seinen Gehorsam gegenüber ihren Weisungen erklärte. Sie
hatten darauf jeden Tag einen Brief ausgetauscht, in welchem sie sich einander
über die Ereignisse ihres Lebens, besonders aber über ihre Empfindungen aus-
sprachen. Aber es waren nun schon fünf Tage verflossen, seitdem sie ihn nicht
gesehen hatte. Über den Grund seines Wegbleibens hatte sie mit ihrem Vater
noch nicht verhandelt. Der Baron ward von seinem Besuche so in Anspruch


Die Grafen von Altenschwerdt.

nur ihrem natürlichen Gefühl folgend, jedem Gespräch mit dieser Dame, welche
sich bestrebte, sich in Dorotheens Empfindungen gleichsam einzubohren, eine kühle
Färbung, indem sie sich zumeist auf Antworten beschränkte. Sie konnte der
Gräfin nicht vergessen, daß sie die Veranlassung zu Eberhardts Fernhaltung
war, und ihre Besorgnisse hinsichtlich deren Absichten nahmen immer deutlichere
Form an. Die wenigen Tage, welche seit der Anwesenheit der Altenschwerdts
verflossen waren, schienen ihr eine Ewigkeit lang zu sein.

Gräfin Sibylle war kein Gast, der unbemerkt blieb. Obwohl ihr Benehmen
darauf angelegt zu sein schien, ihren Wirten nur Freude und durchaus keine
Unbequemlichkeit zu machen, obwohl sie gegen Dorothea wie gegen ihren Bater
nur Holdseligkeit ausstrahlte und mehrfach sehr ernstlich darum bat, ihretwegen
in alten, lieben häuslichen Gewohnheiten nicht die geringste Änderung eintreten
zu lassen, so ward doch durch sie Schloß Eichhausen gewissermaßen auf den
Kopf gestellt.

Für den Baron war dies nicht unangenehm. Er war ganz überrascht, zu
finden, wie viel er wisse und wie geistreich er sei. Die Tage gingen ihm äußerst
schnell vorüber. Hatte er sonst manchen Nachmittag und Abend, wenn nicht
gerade der Graf zu einer Partie herüber gekommen war, still vor sich hin ge¬
brütet und seinen Verdruß über die Verderbtheit der Neuzeit in sich hinein¬
geschluckt, so war nun jemand da, der ihn verstand. Er bemerkte, daß seine
Vormittage, die sich ost endlos bis zum Mittagessen hinschleppten, fast zu kurz
wurden. Die Gräfin wollte seine Ställe und Wirtschaftsgebäude genau kennen
lernen, sie entdeckte in dem Schlosse selbst die merkwürdigsten Dinge, über welche
sie sich unterrichten mußte: Wappen, alte Schränke, Bilder, Siegel, Bücher,
lauter Gegenstände, über welche er zu erzählen hatte. Sie hatte eine wundervolle
Gabe, nach Dingen zu fragen, über welche Baron Sextus gern redete.

Anders aber stand es mit Dorothea. Die Stunden, welche sie sonst mit
ihrem Vater in traulicher Ruhe verbracht hatte, trugen jetzt für sie das Gepräge
der gekünstelter Unterhaltung, und die Zeit, welche sie für sich bei ihrer Arbeit
und ihrer Lektüre zu verbringen gewohnt war, wurden durch Spaziergänge, Auf¬
fahrten und sonstige gesellige Anforderungen arg beschnitten. Das wäre nun
alles wohl noch zu ertragen gewesen, wenn nicht zwei dunkle Wolken ihren
Schatten auf die Lage geworfen hätten: die Abwesenheit Eberhardts und die
Anwesenheit des Grafen Dietrich.

Eberhardt hatte ihren Brief beantwortet, indem er seiner Liebe beredten
Ausdruck gab und seinen Gehorsam gegenüber ihren Weisungen erklärte. Sie
hatten darauf jeden Tag einen Brief ausgetauscht, in welchem sie sich einander
über die Ereignisse ihres Lebens, besonders aber über ihre Empfindungen aus-
sprachen. Aber es waren nun schon fünf Tage verflossen, seitdem sie ihn nicht
gesehen hatte. Über den Grund seines Wegbleibens hatte sie mit ihrem Vater
noch nicht verhandelt. Der Baron ward von seinem Besuche so in Anspruch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/271>, abgerufen am 25.08.2024.