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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Beleuchtung der Gefäugnisfrage.

stellen, so kann man Namen und Bild an die Schandsäule heften. Die un¬
endlich gesteigerte Öffentlichkeit des Lebens giebt in der Gegenwart wirksame
Mittel genug an die Hand, den schlimmsten Bethätigungen gemeiner Gesinnung
den Stempel der Infamie für alle Welt erkennbar aufzudrücken.

Was den Ersatz der Freiheitsstrafen durch Geldbußen betrifft, so kann es
sich natürlich auch hier nur um ein beschränktes Gebiet handeln, innerhalb dessen
für diese Strafart Raum bleibt. Nur die besitzenden Klassen der Gesellschaft
nud nur Vergehungen mehr formaler Natur oder in Gewinnsucht wurzelnde
Delikte können dabei in Frage kommen. Aber freilich müssen die Geldstrafen
auch so zugemessen werden, daß sie dem Vermögensstande des Verurteilten eine
wesentliche Minderung zufügen. Wer durch die ariri Werg, twnös gesündigt
hat, mag fortan in Armut und Entbehrung am eignen Leibe erfahren, was
Hunger leiden heißt.

So etwa Mittelstedt. -- So überzeugend nun seine Ausführungen mich
klingen, wir müssen uns doch fragen, ob seine Vorschlage das System des Straf¬
vollzuges, wie es jetzt üblich und herkömmlich ist, wesentlich zu ändern geeignet
sind. Einen Ersatz für die Freiheitsstrafen überhaupt giebt es nicht, da die
wenigen Fälle, in denen Mittelstedt die Prügelstrafe zulassen will, eine wesent¬
liche Bedeutung nicht beanspruchen, und eine Vermehrung der Geldstrafen jeden¬
falls das bedenklichste Hilfsmittel sein würde, und so sind denn auch seine Vor¬
schlüge hinsichtlich des Strafvollzuges: intensivste Steigerung der Arbeit und
Anwendung von Hungerstrafen in der Strafanstalt, soweit sie nicht bereits
gegenwärtig ausgeführt werden und überhaupt ausführbar siud, nicht von durch¬
schlagender Bedeutung.

Die Scheu vor der Strafe und der Strafanstalt hat sich sicherlich ver¬
ringert, aber doch nur deshalb verringert, weil die Scheu vor dem Verbrechen
und die Furcht vor der Schande des Verbrechens sich verringert haben. Die Ver¬
mehrung der Kriminalität wird durch Ursachen, die auf andern Gebieten als
auch dem des Strafrechts und des Strafvollzuges liegen, herbeigeführt. Als
die schwersten Strafen in Deutschland bestanden und der Strafvollzug in der
härtesten Weise erfolgte, als der Scharfrichter mit allen möglichen Todesstraf-
arteu, mit Pranger und Brandmarken, mit Auspeitschnng tagtäglich die Straf¬
urteile vollzog, wurden die schwersten Verbrechen so häufig und in so entsetzlicher
Weise begangen, daß die damaligen Berichte in den bittersten Klagen über die
überhandnehmende Kriminalität sich ergingen und die damaligen Kriminalgerichte
durch Hunderte von Todesurteilen die steigende Verwilderung der öffentlichen
Moral zu bannen uicht vermochten.

Wenn jene grausamen Todesstrafen, wenn jene in der brutalsten und
härtesten Weise vollzogenen Freiheitsstrafen, wenn Brandmarken, Pranger und



*) Vergl. Schwarze, die Freiheitsstrafe. Leipzig, 1880.
Zur Beleuchtung der Gefäugnisfrage.

stellen, so kann man Namen und Bild an die Schandsäule heften. Die un¬
endlich gesteigerte Öffentlichkeit des Lebens giebt in der Gegenwart wirksame
Mittel genug an die Hand, den schlimmsten Bethätigungen gemeiner Gesinnung
den Stempel der Infamie für alle Welt erkennbar aufzudrücken.

Was den Ersatz der Freiheitsstrafen durch Geldbußen betrifft, so kann es
sich natürlich auch hier nur um ein beschränktes Gebiet handeln, innerhalb dessen
für diese Strafart Raum bleibt. Nur die besitzenden Klassen der Gesellschaft
nud nur Vergehungen mehr formaler Natur oder in Gewinnsucht wurzelnde
Delikte können dabei in Frage kommen. Aber freilich müssen die Geldstrafen
auch so zugemessen werden, daß sie dem Vermögensstande des Verurteilten eine
wesentliche Minderung zufügen. Wer durch die ariri Werg, twnös gesündigt
hat, mag fortan in Armut und Entbehrung am eignen Leibe erfahren, was
Hunger leiden heißt.

So etwa Mittelstedt. — So überzeugend nun seine Ausführungen mich
klingen, wir müssen uns doch fragen, ob seine Vorschlage das System des Straf¬
vollzuges, wie es jetzt üblich und herkömmlich ist, wesentlich zu ändern geeignet
sind. Einen Ersatz für die Freiheitsstrafen überhaupt giebt es nicht, da die
wenigen Fälle, in denen Mittelstedt die Prügelstrafe zulassen will, eine wesent¬
liche Bedeutung nicht beanspruchen, und eine Vermehrung der Geldstrafen jeden¬
falls das bedenklichste Hilfsmittel sein würde, und so sind denn auch seine Vor¬
schlüge hinsichtlich des Strafvollzuges: intensivste Steigerung der Arbeit und
Anwendung von Hungerstrafen in der Strafanstalt, soweit sie nicht bereits
gegenwärtig ausgeführt werden und überhaupt ausführbar siud, nicht von durch¬
schlagender Bedeutung.

Die Scheu vor der Strafe und der Strafanstalt hat sich sicherlich ver¬
ringert, aber doch nur deshalb verringert, weil die Scheu vor dem Verbrechen
und die Furcht vor der Schande des Verbrechens sich verringert haben. Die Ver¬
mehrung der Kriminalität wird durch Ursachen, die auf andern Gebieten als
auch dem des Strafrechts und des Strafvollzuges liegen, herbeigeführt. Als
die schwersten Strafen in Deutschland bestanden und der Strafvollzug in der
härtesten Weise erfolgte, als der Scharfrichter mit allen möglichen Todesstraf-
arteu, mit Pranger und Brandmarken, mit Auspeitschnng tagtäglich die Straf¬
urteile vollzog, wurden die schwersten Verbrechen so häufig und in so entsetzlicher
Weise begangen, daß die damaligen Berichte in den bittersten Klagen über die
überhandnehmende Kriminalität sich ergingen und die damaligen Kriminalgerichte
durch Hunderte von Todesurteilen die steigende Verwilderung der öffentlichen
Moral zu bannen uicht vermochten.

Wenn jene grausamen Todesstrafen, wenn jene in der brutalsten und
härtesten Weise vollzogenen Freiheitsstrafen, wenn Brandmarken, Pranger und



*) Vergl. Schwarze, die Freiheitsstrafe. Leipzig, 1880.
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[0263] Zur Beleuchtung der Gefäugnisfrage. stellen, so kann man Namen und Bild an die Schandsäule heften. Die un¬ endlich gesteigerte Öffentlichkeit des Lebens giebt in der Gegenwart wirksame Mittel genug an die Hand, den schlimmsten Bethätigungen gemeiner Gesinnung den Stempel der Infamie für alle Welt erkennbar aufzudrücken. Was den Ersatz der Freiheitsstrafen durch Geldbußen betrifft, so kann es sich natürlich auch hier nur um ein beschränktes Gebiet handeln, innerhalb dessen für diese Strafart Raum bleibt. Nur die besitzenden Klassen der Gesellschaft nud nur Vergehungen mehr formaler Natur oder in Gewinnsucht wurzelnde Delikte können dabei in Frage kommen. Aber freilich müssen die Geldstrafen auch so zugemessen werden, daß sie dem Vermögensstande des Verurteilten eine wesentliche Minderung zufügen. Wer durch die ariri Werg, twnös gesündigt hat, mag fortan in Armut und Entbehrung am eignen Leibe erfahren, was Hunger leiden heißt. So etwa Mittelstedt. — So überzeugend nun seine Ausführungen mich klingen, wir müssen uns doch fragen, ob seine Vorschlage das System des Straf¬ vollzuges, wie es jetzt üblich und herkömmlich ist, wesentlich zu ändern geeignet sind. Einen Ersatz für die Freiheitsstrafen überhaupt giebt es nicht, da die wenigen Fälle, in denen Mittelstedt die Prügelstrafe zulassen will, eine wesent¬ liche Bedeutung nicht beanspruchen, und eine Vermehrung der Geldstrafen jeden¬ falls das bedenklichste Hilfsmittel sein würde, und so sind denn auch seine Vor¬ schlüge hinsichtlich des Strafvollzuges: intensivste Steigerung der Arbeit und Anwendung von Hungerstrafen in der Strafanstalt, soweit sie nicht bereits gegenwärtig ausgeführt werden und überhaupt ausführbar siud, nicht von durch¬ schlagender Bedeutung. Die Scheu vor der Strafe und der Strafanstalt hat sich sicherlich ver¬ ringert, aber doch nur deshalb verringert, weil die Scheu vor dem Verbrechen und die Furcht vor der Schande des Verbrechens sich verringert haben. Die Ver¬ mehrung der Kriminalität wird durch Ursachen, die auf andern Gebieten als auch dem des Strafrechts und des Strafvollzuges liegen, herbeigeführt. Als die schwersten Strafen in Deutschland bestanden und der Strafvollzug in der härtesten Weise erfolgte, als der Scharfrichter mit allen möglichen Todesstraf- arteu, mit Pranger und Brandmarken, mit Auspeitschnng tagtäglich die Straf¬ urteile vollzog, wurden die schwersten Verbrechen so häufig und in so entsetzlicher Weise begangen, daß die damaligen Berichte in den bittersten Klagen über die überhandnehmende Kriminalität sich ergingen und die damaligen Kriminalgerichte durch Hunderte von Todesurteilen die steigende Verwilderung der öffentlichen Moral zu bannen uicht vermochten. Wenn jene grausamen Todesstrafen, wenn jene in der brutalsten und härtesten Weise vollzogenen Freiheitsstrafen, wenn Brandmarken, Pranger und *) Vergl. Schwarze, die Freiheitsstrafe. Leipzig, 1880.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/263>, abgerufen am 01.10.2024.