Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

mir von der Thür aus; aber dies ist kein Übelstand im Süden, wo das Halb¬
dunkel Kühlung spendet. Auch bleibt er dort nur gerade so lange, als er schläft.
Für den Nest des Tages hat er einen geschlossenen oder doch fast geschlossenen
Hof, das Atrium, und einen offenen, das Peristyl. Dort hält er sich am liebsten
auf, wenn er zu Hause ist. Er trifft dort nicht nur sein Weib und seine Kinder,
er zeigt sich auch seinen Dienern, verweilt manchmal auch in deren Gesellschaft.
Trotz seiner Neigung zur Zurückgezogenheit und Einsamkeit vermeidet er nicht
den Umgang mit ihnen; die antike Familie ist eben größer als die unsrige, sie
umfaßt in ihren niedern Graden auch den Sklaven und den Freigelassenen,
sodaß der Herr, wenn er mit diesen lebt, noch immer nnter den Seinigen weilt.
Diese offenen und geschlossenen Höfe, in denen die Familie ihr Leben zubringt,
finden sich in allen pompejanischen Häusern ohne Ausnahme. Sie sind hier
unentbehrlich, um allen übrigen Räumen Licht zuzuführen. So gefällt man
sich denn, auch bei weniger reichen Leuten, darin, sie mit Geschmack, bisweilen
mit Verschwendung auszustatten. Erlaubt es der Boden, so pflanzt man ein
Paar Staudengewächse oder pflegt einige Bäume; die Sittenlehrer,"°) die Vor¬
nehmen machen sich über diese Gärten nnniiiturt!, die zwischen vier Wänden
lagen, lustig: sie haben freilich gut spotten, sie, die Besitzer prächtiger Land¬
häuser mit großen Bäumen und schattiger, zierliche Säulen umrankender Wein-
lauben. Es macht eben jeder was er kaun, und es fällt einem schwer, diese
armen Leute, die sich so gut es ging ein wenig Grün vor Augen bringen
wollten, so hart zu verurteile". Weit mehr möchte man es ihnen verdenken,
daß sie an jenen kleinen Wasserläufen, denen sie den großartigen Namen ourixu8
gaben, an Grotten aus porösem Stein oder Muschelwerk, die doch nur gezierte
Spielereien waren, so viel Gefallen fanden. Was sie einigermaßen entschuldigt,
ist die Thatsache, daß die Spießbürger aller Länder und aller Zeiten diesen
sonderbaren Geschmack geteilt haben. Die von Pompeji verdienen vor andern
immer noch bei weitem den Vorzug, denn sie sind eifrig darauf bedacht, zu ver¬
hüten, daß ihre Blicke auf etwas Häßliches fallen. Sie besitzen schöne Mosaiken,
glänzenden Stuck, marmorne Wandbekleidungen, lauter Dinge, auf denen das
Auge mit Vergnügen ruht. Der ermüdende Glanz der weißen Steine ist überall
durch eine angenehme Abtönung der Farben gemildert. Die Wände sind grau
oder schwarz bemalt, die Säulen gelb oder rot gefärbt. Längs der Gesimse
ziehen sich anmutige Arabesken hin, zusammengesetzt ans verschlungenen Blumen¬
gewinden, zwischen denen hier und da Vögel flattern, die es niemals gegeben,
und Landschaften eingefügt sind, die man nirgends gesehen hat. Diese Phan-
tasiespiele ohne besondre Bedeutung sind dem Auge wohlgefällig und strengen
den Geist nicht an. Hin und wieder gemahnt auf einer größern Wandfläche
eine anspruchslos und in großen Zügen gemalte mythologische Szene den Herrn



Vgl. Fabianus (bei Seneca, Lontrov. II, xi^ok.).
Grenzboten II. 1838.82

mir von der Thür aus; aber dies ist kein Übelstand im Süden, wo das Halb¬
dunkel Kühlung spendet. Auch bleibt er dort nur gerade so lange, als er schläft.
Für den Nest des Tages hat er einen geschlossenen oder doch fast geschlossenen
Hof, das Atrium, und einen offenen, das Peristyl. Dort hält er sich am liebsten
auf, wenn er zu Hause ist. Er trifft dort nicht nur sein Weib und seine Kinder,
er zeigt sich auch seinen Dienern, verweilt manchmal auch in deren Gesellschaft.
Trotz seiner Neigung zur Zurückgezogenheit und Einsamkeit vermeidet er nicht
den Umgang mit ihnen; die antike Familie ist eben größer als die unsrige, sie
umfaßt in ihren niedern Graden auch den Sklaven und den Freigelassenen,
sodaß der Herr, wenn er mit diesen lebt, noch immer nnter den Seinigen weilt.
Diese offenen und geschlossenen Höfe, in denen die Familie ihr Leben zubringt,
finden sich in allen pompejanischen Häusern ohne Ausnahme. Sie sind hier
unentbehrlich, um allen übrigen Räumen Licht zuzuführen. So gefällt man
sich denn, auch bei weniger reichen Leuten, darin, sie mit Geschmack, bisweilen
mit Verschwendung auszustatten. Erlaubt es der Boden, so pflanzt man ein
Paar Staudengewächse oder pflegt einige Bäume; die Sittenlehrer,"°) die Vor¬
nehmen machen sich über diese Gärten nnniiiturt!, die zwischen vier Wänden
lagen, lustig: sie haben freilich gut spotten, sie, die Besitzer prächtiger Land¬
häuser mit großen Bäumen und schattiger, zierliche Säulen umrankender Wein-
lauben. Es macht eben jeder was er kaun, und es fällt einem schwer, diese
armen Leute, die sich so gut es ging ein wenig Grün vor Augen bringen
wollten, so hart zu verurteile». Weit mehr möchte man es ihnen verdenken,
daß sie an jenen kleinen Wasserläufen, denen sie den großartigen Namen ourixu8
gaben, an Grotten aus porösem Stein oder Muschelwerk, die doch nur gezierte
Spielereien waren, so viel Gefallen fanden. Was sie einigermaßen entschuldigt,
ist die Thatsache, daß die Spießbürger aller Länder und aller Zeiten diesen
sonderbaren Geschmack geteilt haben. Die von Pompeji verdienen vor andern
immer noch bei weitem den Vorzug, denn sie sind eifrig darauf bedacht, zu ver¬
hüten, daß ihre Blicke auf etwas Häßliches fallen. Sie besitzen schöne Mosaiken,
glänzenden Stuck, marmorne Wandbekleidungen, lauter Dinge, auf denen das
Auge mit Vergnügen ruht. Der ermüdende Glanz der weißen Steine ist überall
durch eine angenehme Abtönung der Farben gemildert. Die Wände sind grau
oder schwarz bemalt, die Säulen gelb oder rot gefärbt. Längs der Gesimse
ziehen sich anmutige Arabesken hin, zusammengesetzt ans verschlungenen Blumen¬
gewinden, zwischen denen hier und da Vögel flattern, die es niemals gegeben,
und Landschaften eingefügt sind, die man nirgends gesehen hat. Diese Phan-
tasiespiele ohne besondre Bedeutung sind dem Auge wohlgefällig und strengen
den Geist nicht an. Hin und wieder gemahnt auf einer größern Wandfläche
eine anspruchslos und in großen Zügen gemalte mythologische Szene den Herrn



Vgl. Fabianus (bei Seneca, Lontrov. II, xi^ok.).
Grenzboten II. 1838.82
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153006"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1015" prev="#ID_1014" next="#ID_1016"> mir von der Thür aus; aber dies ist kein Übelstand im Süden, wo das Halb¬<lb/>
dunkel Kühlung spendet. Auch bleibt er dort nur gerade so lange, als er schläft.<lb/>
Für den Nest des Tages hat er einen geschlossenen oder doch fast geschlossenen<lb/>
Hof, das Atrium, und einen offenen, das Peristyl. Dort hält er sich am liebsten<lb/>
auf, wenn er zu Hause ist. Er trifft dort nicht nur sein Weib und seine Kinder,<lb/>
er zeigt sich auch seinen Dienern, verweilt manchmal auch in deren Gesellschaft.<lb/>
Trotz seiner Neigung zur Zurückgezogenheit und Einsamkeit vermeidet er nicht<lb/>
den Umgang mit ihnen; die antike Familie ist eben größer als die unsrige, sie<lb/>
umfaßt in ihren niedern Graden auch den Sklaven und den Freigelassenen,<lb/>
sodaß der Herr, wenn er mit diesen lebt, noch immer nnter den Seinigen weilt.<lb/>
Diese offenen und geschlossenen Höfe, in denen die Familie ihr Leben zubringt,<lb/>
finden sich in allen pompejanischen Häusern ohne Ausnahme. Sie sind hier<lb/>
unentbehrlich, um allen übrigen Räumen Licht zuzuführen. So gefällt man<lb/>
sich denn, auch bei weniger reichen Leuten, darin, sie mit Geschmack, bisweilen<lb/>
mit Verschwendung auszustatten. Erlaubt es der Boden, so pflanzt man ein<lb/>
Paar Staudengewächse oder pflegt einige Bäume; die Sittenlehrer,"°) die Vor¬<lb/>
nehmen machen sich über diese Gärten nnniiiturt!, die zwischen vier Wänden<lb/>
lagen, lustig: sie haben freilich gut spotten, sie, die Besitzer prächtiger Land¬<lb/>
häuser mit großen Bäumen und schattiger, zierliche Säulen umrankender Wein-<lb/>
lauben. Es macht eben jeder was er kaun, und es fällt einem schwer, diese<lb/>
armen Leute, die sich so gut es ging ein wenig Grün vor Augen bringen<lb/>
wollten, so hart zu verurteile». Weit mehr möchte man es ihnen verdenken,<lb/>
daß sie an jenen kleinen Wasserläufen, denen sie den großartigen Namen ourixu8<lb/>
gaben, an Grotten aus porösem Stein oder Muschelwerk, die doch nur gezierte<lb/>
Spielereien waren, so viel Gefallen fanden. Was sie einigermaßen entschuldigt,<lb/>
ist die Thatsache, daß die Spießbürger aller Länder und aller Zeiten diesen<lb/>
sonderbaren Geschmack geteilt haben. Die von Pompeji verdienen vor andern<lb/>
immer noch bei weitem den Vorzug, denn sie sind eifrig darauf bedacht, zu ver¬<lb/>
hüten, daß ihre Blicke auf etwas Häßliches fallen. Sie besitzen schöne Mosaiken,<lb/>
glänzenden Stuck, marmorne Wandbekleidungen, lauter Dinge, auf denen das<lb/>
Auge mit Vergnügen ruht. Der ermüdende Glanz der weißen Steine ist überall<lb/>
durch eine angenehme Abtönung der Farben gemildert. Die Wände sind grau<lb/>
oder schwarz bemalt, die Säulen gelb oder rot gefärbt. Längs der Gesimse<lb/>
ziehen sich anmutige Arabesken hin, zusammengesetzt ans verschlungenen Blumen¬<lb/>
gewinden, zwischen denen hier und da Vögel flattern, die es niemals gegeben,<lb/>
und Landschaften eingefügt sind, die man nirgends gesehen hat. Diese Phan-<lb/>
tasiespiele ohne besondre Bedeutung sind dem Auge wohlgefällig und strengen<lb/>
den Geist nicht an. Hin und wieder gemahnt auf einer größern Wandfläche<lb/>
eine anspruchslos und in großen Zügen gemalte mythologische Szene den Herrn</p><lb/>
          <note xml:id="FID_53" place="foot"> Vgl. Fabianus (bei Seneca, Lontrov. II, xi^ok.).</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1838.82</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257] mir von der Thür aus; aber dies ist kein Übelstand im Süden, wo das Halb¬ dunkel Kühlung spendet. Auch bleibt er dort nur gerade so lange, als er schläft. Für den Nest des Tages hat er einen geschlossenen oder doch fast geschlossenen Hof, das Atrium, und einen offenen, das Peristyl. Dort hält er sich am liebsten auf, wenn er zu Hause ist. Er trifft dort nicht nur sein Weib und seine Kinder, er zeigt sich auch seinen Dienern, verweilt manchmal auch in deren Gesellschaft. Trotz seiner Neigung zur Zurückgezogenheit und Einsamkeit vermeidet er nicht den Umgang mit ihnen; die antike Familie ist eben größer als die unsrige, sie umfaßt in ihren niedern Graden auch den Sklaven und den Freigelassenen, sodaß der Herr, wenn er mit diesen lebt, noch immer nnter den Seinigen weilt. Diese offenen und geschlossenen Höfe, in denen die Familie ihr Leben zubringt, finden sich in allen pompejanischen Häusern ohne Ausnahme. Sie sind hier unentbehrlich, um allen übrigen Räumen Licht zuzuführen. So gefällt man sich denn, auch bei weniger reichen Leuten, darin, sie mit Geschmack, bisweilen mit Verschwendung auszustatten. Erlaubt es der Boden, so pflanzt man ein Paar Staudengewächse oder pflegt einige Bäume; die Sittenlehrer,"°) die Vor¬ nehmen machen sich über diese Gärten nnniiiturt!, die zwischen vier Wänden lagen, lustig: sie haben freilich gut spotten, sie, die Besitzer prächtiger Land¬ häuser mit großen Bäumen und schattiger, zierliche Säulen umrankender Wein- lauben. Es macht eben jeder was er kaun, und es fällt einem schwer, diese armen Leute, die sich so gut es ging ein wenig Grün vor Augen bringen wollten, so hart zu verurteile». Weit mehr möchte man es ihnen verdenken, daß sie an jenen kleinen Wasserläufen, denen sie den großartigen Namen ourixu8 gaben, an Grotten aus porösem Stein oder Muschelwerk, die doch nur gezierte Spielereien waren, so viel Gefallen fanden. Was sie einigermaßen entschuldigt, ist die Thatsache, daß die Spießbürger aller Länder und aller Zeiten diesen sonderbaren Geschmack geteilt haben. Die von Pompeji verdienen vor andern immer noch bei weitem den Vorzug, denn sie sind eifrig darauf bedacht, zu ver¬ hüten, daß ihre Blicke auf etwas Häßliches fallen. Sie besitzen schöne Mosaiken, glänzenden Stuck, marmorne Wandbekleidungen, lauter Dinge, auf denen das Auge mit Vergnügen ruht. Der ermüdende Glanz der weißen Steine ist überall durch eine angenehme Abtönung der Farben gemildert. Die Wände sind grau oder schwarz bemalt, die Säulen gelb oder rot gefärbt. Längs der Gesimse ziehen sich anmutige Arabesken hin, zusammengesetzt ans verschlungenen Blumen¬ gewinden, zwischen denen hier und da Vögel flattern, die es niemals gegeben, und Landschaften eingefügt sind, die man nirgends gesehen hat. Diese Phan- tasiespiele ohne besondre Bedeutung sind dem Auge wohlgefällig und strengen den Geist nicht an. Hin und wieder gemahnt auf einer größern Wandfläche eine anspruchslos und in großen Zügen gemalte mythologische Szene den Herrn Vgl. Fabianus (bei Seneca, Lontrov. II, xi^ok.). Grenzboten II. 1838.82

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/257
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/257>, abgerufen am 24.08.2024.