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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

"Hvlzfurter Nachrichten." Die Zeitung bringe geradezu empörende Artikel. Zu
gleicher Zeit sei ihm ein Packet der Nummern der letzten vierzehn Tage zuge¬
gangen, die ihn auf der schnellen Reise nicht eher gefunden hätten, und da seien
ihm denn allerdings beim Lesen derselben die Haare zu Berge gestiegen. Er
habe sofort seiner Reise ein Ziel gesteckt und sei mit dem nächsten Schiff und
Schnellzuge zurückgekommen, und da habe er denn schon auf dem Wege vom
Bahnhof bis hierher genug gehört und gemerkt, um zu wisse", daß es
noch viel schlimmer stehe, als er mich dem Bericht seines Freundes erwartet
habe.

Und nun frage ich Sie, Mann, um Gottes Barmherzigkeit willen, so schloß
er, wie kommen Sie dazu, so etwas zu schreiben?

Dr. Glock folgte der Erzählung mit großer Spannung, und es fielen ihm
während derselben sowohl die Leitartikel als die "Gedanken eines Spaziergängers"
ein. Er mußte sich gestehen, daß er von dem, was ihm Herr Schmidt em¬
pfohlen hatte, gerade das Gegenteil gethan habe, weniger noch aus Absicht, als
in dem Gefühl der Befreiung von einem lästigen Druck und in erleichterten
Aufatmen seiner Seele, obwohl er allerdings auch von vornherein bei Herrn
Schmidts Abreise sich vorgenommen hatte, etwas Vortreffliches zu leisten, was
gar nicht zu Herrn Schmidts Ideal einer Zeitung paßte. Daß die Sache so
böse ausgefallen sein sollte, konnte er sich noch nicht recht denken. Er kannte
die Wichtigthuerei des Herrn Schmidt und glaubte vorläufig noch, daß derselbe
in gewohnter Weise seiner übertreibender Geschwätzigkeit freien Lauf ließe. Er
sprach diese Meinung in höflicher, aber ziemlich entschiedner Form aus.

Aber Herr Schmidt schüttelte den Kopf.

Niemand, der nicht Ihre Besonderheiten kennt, mein lieber Doktor, sagte
er, würde überhaupt begreifen, daß Sie da so ruhig sitzen. Mich wundert nur,
daß man der Redaktion noch nicht die Fenster eingeworfen und Sie selbst halb
tot geprügelt hat. Ich betrachte das als ein Zeichen der seinen Bildung unsrer
Bürgerschaft. Ich übertreibe durchaus nicht. Sie haben das Ärgste gethan,
was man überhaupt thun kann. Sie haben die Bevölkerung, zwischen der Sie
doch leben wollen, fast in allen ihren Sitten und Anschauungen angegriffen und
lächerlich gemacht. Wenn die Leute darüber entrüstet sind, so ist das nur na¬
türlich und gerecht. Ich muß sagen, daß ich ganz auf Seiten derer stehe, welche
Sie verurteilen. Und ich möchte wohl wissen, was Sie veranlaßt, so scharfe
Ausfälle gegen Leute zu machen, die Ihnen doch, so viel ich weiß, nichts zu
Leide gethan haben. Wenn es darunter einige giebt, auf welche Sie einen
Zahn haben, konnten Sie es denn nicht in andrer Weise auslassen? Konnten
Sie es nicht in einer Form thun, die für Sie selbst nichts nachteiliges hatte?
Mußten Sie alle, alle Menschen beleidigen? Mein Himmel, ich sollte denken,
ein geschickter Litercit könnte seinen Gegner verächtlich und lächerlich machen,
wie er Lust hat, ohne daß man ihm ein Haar darüber krümmen kann. Er


Die Grafen von Altenschwerdt,

„Hvlzfurter Nachrichten." Die Zeitung bringe geradezu empörende Artikel. Zu
gleicher Zeit sei ihm ein Packet der Nummern der letzten vierzehn Tage zuge¬
gangen, die ihn auf der schnellen Reise nicht eher gefunden hätten, und da seien
ihm denn allerdings beim Lesen derselben die Haare zu Berge gestiegen. Er
habe sofort seiner Reise ein Ziel gesteckt und sei mit dem nächsten Schiff und
Schnellzuge zurückgekommen, und da habe er denn schon auf dem Wege vom
Bahnhof bis hierher genug gehört und gemerkt, um zu wisse», daß es
noch viel schlimmer stehe, als er mich dem Bericht seines Freundes erwartet
habe.

Und nun frage ich Sie, Mann, um Gottes Barmherzigkeit willen, so schloß
er, wie kommen Sie dazu, so etwas zu schreiben?

Dr. Glock folgte der Erzählung mit großer Spannung, und es fielen ihm
während derselben sowohl die Leitartikel als die „Gedanken eines Spaziergängers"
ein. Er mußte sich gestehen, daß er von dem, was ihm Herr Schmidt em¬
pfohlen hatte, gerade das Gegenteil gethan habe, weniger noch aus Absicht, als
in dem Gefühl der Befreiung von einem lästigen Druck und in erleichterten
Aufatmen seiner Seele, obwohl er allerdings auch von vornherein bei Herrn
Schmidts Abreise sich vorgenommen hatte, etwas Vortreffliches zu leisten, was
gar nicht zu Herrn Schmidts Ideal einer Zeitung paßte. Daß die Sache so
böse ausgefallen sein sollte, konnte er sich noch nicht recht denken. Er kannte
die Wichtigthuerei des Herrn Schmidt und glaubte vorläufig noch, daß derselbe
in gewohnter Weise seiner übertreibender Geschwätzigkeit freien Lauf ließe. Er
sprach diese Meinung in höflicher, aber ziemlich entschiedner Form aus.

Aber Herr Schmidt schüttelte den Kopf.

Niemand, der nicht Ihre Besonderheiten kennt, mein lieber Doktor, sagte
er, würde überhaupt begreifen, daß Sie da so ruhig sitzen. Mich wundert nur,
daß man der Redaktion noch nicht die Fenster eingeworfen und Sie selbst halb
tot geprügelt hat. Ich betrachte das als ein Zeichen der seinen Bildung unsrer
Bürgerschaft. Ich übertreibe durchaus nicht. Sie haben das Ärgste gethan,
was man überhaupt thun kann. Sie haben die Bevölkerung, zwischen der Sie
doch leben wollen, fast in allen ihren Sitten und Anschauungen angegriffen und
lächerlich gemacht. Wenn die Leute darüber entrüstet sind, so ist das nur na¬
türlich und gerecht. Ich muß sagen, daß ich ganz auf Seiten derer stehe, welche
Sie verurteilen. Und ich möchte wohl wissen, was Sie veranlaßt, so scharfe
Ausfälle gegen Leute zu machen, die Ihnen doch, so viel ich weiß, nichts zu
Leide gethan haben. Wenn es darunter einige giebt, auf welche Sie einen
Zahn haben, konnten Sie es denn nicht in andrer Weise auslassen? Konnten
Sie es nicht in einer Form thun, die für Sie selbst nichts nachteiliges hatte?
Mußten Sie alle, alle Menschen beleidigen? Mein Himmel, ich sollte denken,
ein geschickter Litercit könnte seinen Gegner verächtlich und lächerlich machen,
wie er Lust hat, ohne daß man ihm ein Haar darüber krümmen kann. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/214>, abgerufen am 03.07.2024.