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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Unsre Handelskammerberichte.

rung, als da sind: Zölle, Handelsverträge, Erleichterungen für inländische Pro¬
duktionen u. s. w.

Ob der Deutsche in seiner Vorliebe für ausländische Produkte, die ja fast
stets das Interesse des Händlers deckt, lieber böhmische und englische als deutsche
Kohle konsumirt, ebenso wie leider auch heute noch amerikanische bez. englische
Nähmaschinen, Mähmaschinen, Dreschmaschinen, französische Konfektionen, Blumen
u. dergl. vom deutschen Publikum bevorzugt werden, ist eine Sache für sich,
die zu bekämpfen kaum im Interesse der Händler liegt. Wie gesagt, nationale
Vorliebe für die heimatliche Produktion suchen wir bei dem Händler nicht; sie
wird sich nur zeigen, wenn er dabei verdienen kann. Aber das glauben wir
annehmen zu dürfen, daß im Auslande sich niemand gefunden haben würde,
der selbst bei voller Berechtigung über eine seiner vaterländischen Produktionen
in solcher Weise öffentlich den Stab gebrochen hätte, wie dies der Bericht des
deutschen Handelstages in dem Artikel "Das Wirtschaftsjahr 1881" über den
deutschen Braunkohlenbergbau gethan hat.

Wahrscheinlich würden sich aber die Jahresberichte der Handelskammer"
uoch weit wunderlicher gestalten, wenn heute nicht die große Rute aus Berlin
winkte, und wenn nicht die Befürchtung nahe läge, daß tendenziös gefärbte Be¬
richte -- wir erinnern an Danzig, Grünberg ?c. -- von oben überwacht und
öffentlich berichtigt würden und dadurch das wahre Interesse der Handelskammern
schließlich klar dargelegt werden könnte.

Wir sind der Ansicht, daß mit unsrer neuen Wirtschaftspolitik, nachdem
unsre Industrien sich lebensfähig etablirt haben und seitdem auch die Land- und
Forstwirtschaft internationale Rücksichten verdient, das System der Handels¬
kammern sich überlebt hat und daß uns als Ersatz dafür heute Korporationen
von Nutzen sein würden, die, eventuell für die einzelnen Regierungsbezirke, sich
zusammensetzen müßten aus Mitgliedern der Land- und Forstwirtschaft, Mit¬
gliedern der Industrie und der Großgewerbe und Mitgliedern des Handels¬
standes, um, unter dem Vorsitz eines Regieruugsvertreters, die Fragen über
Produktion und Konsum objektiv erörtern zu können. Die Berichte solcher Kor¬
porationen würden ein möglichst sicheres Urteil über volkswirtschaftliche Fragen
abgeben.




Unsre Handelskammerberichte.

rung, als da sind: Zölle, Handelsverträge, Erleichterungen für inländische Pro¬
duktionen u. s. w.

Ob der Deutsche in seiner Vorliebe für ausländische Produkte, die ja fast
stets das Interesse des Händlers deckt, lieber böhmische und englische als deutsche
Kohle konsumirt, ebenso wie leider auch heute noch amerikanische bez. englische
Nähmaschinen, Mähmaschinen, Dreschmaschinen, französische Konfektionen, Blumen
u. dergl. vom deutschen Publikum bevorzugt werden, ist eine Sache für sich,
die zu bekämpfen kaum im Interesse der Händler liegt. Wie gesagt, nationale
Vorliebe für die heimatliche Produktion suchen wir bei dem Händler nicht; sie
wird sich nur zeigen, wenn er dabei verdienen kann. Aber das glauben wir
annehmen zu dürfen, daß im Auslande sich niemand gefunden haben würde,
der selbst bei voller Berechtigung über eine seiner vaterländischen Produktionen
in solcher Weise öffentlich den Stab gebrochen hätte, wie dies der Bericht des
deutschen Handelstages in dem Artikel „Das Wirtschaftsjahr 1881" über den
deutschen Braunkohlenbergbau gethan hat.

Wahrscheinlich würden sich aber die Jahresberichte der Handelskammer»
uoch weit wunderlicher gestalten, wenn heute nicht die große Rute aus Berlin
winkte, und wenn nicht die Befürchtung nahe läge, daß tendenziös gefärbte Be¬
richte — wir erinnern an Danzig, Grünberg ?c. — von oben überwacht und
öffentlich berichtigt würden und dadurch das wahre Interesse der Handelskammern
schließlich klar dargelegt werden könnte.

Wir sind der Ansicht, daß mit unsrer neuen Wirtschaftspolitik, nachdem
unsre Industrien sich lebensfähig etablirt haben und seitdem auch die Land- und
Forstwirtschaft internationale Rücksichten verdient, das System der Handels¬
kammern sich überlebt hat und daß uns als Ersatz dafür heute Korporationen
von Nutzen sein würden, die, eventuell für die einzelnen Regierungsbezirke, sich
zusammensetzen müßten aus Mitgliedern der Land- und Forstwirtschaft, Mit¬
gliedern der Industrie und der Großgewerbe und Mitgliedern des Handels¬
standes, um, unter dem Vorsitz eines Regieruugsvertreters, die Fragen über
Produktion und Konsum objektiv erörtern zu können. Die Berichte solcher Kor¬
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abgeben.




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[0208] Unsre Handelskammerberichte. rung, als da sind: Zölle, Handelsverträge, Erleichterungen für inländische Pro¬ duktionen u. s. w. Ob der Deutsche in seiner Vorliebe für ausländische Produkte, die ja fast stets das Interesse des Händlers deckt, lieber böhmische und englische als deutsche Kohle konsumirt, ebenso wie leider auch heute noch amerikanische bez. englische Nähmaschinen, Mähmaschinen, Dreschmaschinen, französische Konfektionen, Blumen u. dergl. vom deutschen Publikum bevorzugt werden, ist eine Sache für sich, die zu bekämpfen kaum im Interesse der Händler liegt. Wie gesagt, nationale Vorliebe für die heimatliche Produktion suchen wir bei dem Händler nicht; sie wird sich nur zeigen, wenn er dabei verdienen kann. Aber das glauben wir annehmen zu dürfen, daß im Auslande sich niemand gefunden haben würde, der selbst bei voller Berechtigung über eine seiner vaterländischen Produktionen in solcher Weise öffentlich den Stab gebrochen hätte, wie dies der Bericht des deutschen Handelstages in dem Artikel „Das Wirtschaftsjahr 1881" über den deutschen Braunkohlenbergbau gethan hat. Wahrscheinlich würden sich aber die Jahresberichte der Handelskammer» uoch weit wunderlicher gestalten, wenn heute nicht die große Rute aus Berlin winkte, und wenn nicht die Befürchtung nahe läge, daß tendenziös gefärbte Be¬ richte — wir erinnern an Danzig, Grünberg ?c. — von oben überwacht und öffentlich berichtigt würden und dadurch das wahre Interesse der Handelskammern schließlich klar dargelegt werden könnte. Wir sind der Ansicht, daß mit unsrer neuen Wirtschaftspolitik, nachdem unsre Industrien sich lebensfähig etablirt haben und seitdem auch die Land- und Forstwirtschaft internationale Rücksichten verdient, das System der Handels¬ kammern sich überlebt hat und daß uns als Ersatz dafür heute Korporationen von Nutzen sein würden, die, eventuell für die einzelnen Regierungsbezirke, sich zusammensetzen müßten aus Mitgliedern der Land- und Forstwirtschaft, Mit¬ gliedern der Industrie und der Großgewerbe und Mitgliedern des Handels¬ standes, um, unter dem Vorsitz eines Regieruugsvertreters, die Fragen über Produktion und Konsum objektiv erörtern zu können. Die Berichte solcher Kor¬ porationen würden ein möglichst sicheres Urteil über volkswirtschaftliche Fragen abgeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/208>, abgerufen am 01.07.2024.