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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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"Die Tripelallianz.

verhindere. Den Namen und die Form dieses Einvernehmens anzugeben, sei
nutzlos. Carraeiolo habe recht, wenn er sage, daß Italien bei seiner Annäherung
an die mitteleuropäischen Mächte niemals einen feindseligen Gedanken gegen
Frankreich gehegt habe. Das einmütige Bestreben der Mitglieder des Kabinets
sei auf Beseitigung jedes Anlasses zu Mißverständnissen mit Frankreich und
darauf gerichtet, die Beziehungen zu letzterm immer besser zu gestalten swas
von der Berliner Politik gleichfalls zu gelten hat). Die aufrichtigen Gefühle
des Wohlwollens gegen Frankreich seien aber uicht unvereinbar mit einem wach¬
samen Schutze der Jntressen Italiens. Derselbe wolle verhindern, daß voll¬
endete Thatsachen ^die Annexion von Tunis) noch größere Mißverhältnisse her¬
vorriefen, und werde nicht gleichgiltig bleiben können, wenn eine Nation eine auf
Eroberungen ausgehende Kolonialpolitik betreiben sollte, indem sie Besitzungen
am Mittelmeere zu gewinnen trachte. Jede große Seemacht würde, wenn sie
derartigem Beginnen nicht entgegenträte, einen Selbstmord begehen.

Was die letzterwähnte Erklärung betrifft, so hat wenigstens die tunesische
Sache mit dem Zwecke der Tripelallianz gewiß nichts zu schaffen. Hier wird
dieselbe an dem, was geschehen ist, nichts ändern. Italien müßte sich hier
selbst helfen, und vielleicht gestaltet sich die Zukunft einmal so, daß es dies
versuche" kaun. Daß es im italienischen Parlamente Leute giebt, die zu solchem
Wagnis drängen, ist Thatsache. An" 7. April rief der Abgeordnete Pantaleoni
aus: "Die Gegenwart Frankreichs in Tunis ist eine Bedrohung Sardiniens;
wir müssen an die Verteidigung dieser Insel denken. Frankreich wird die Beute
seiner krankhaften Begierde." Vor sechs Monaten hätte er das wohl nicht zu
sagen gewagt. Man hatte sich damals, wie es schien, über den tunesischen
Zwischenfall beruhigt, und als die Frage wegen Besetzung des italienischen Bot¬
schafterpostens in Paris zwischen dem dortigen und dem römischen Kabinet
erörtert wurde, schien sich ein recht freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden
anbahnen zu wollen. Jetzt hat sich das geändert. Italien, damals isolirt und
deshalb Frankreich gegenüber schwach, hat seitdem an Selbstgefühl gewonnen.
Es sieht Frankreich durch die Folgen der demokratischen innern Politik geschwächt
und ohne Aussicht auf Allianzen. Es hat sich selbst in seinen innern Verhält-
nissen gehoben, seine Finanzlage hat sich gebessert, es kann den Zwangskurs
des Papiergeldes aufheben, es vermag trotz Verzichts der Regierung auf die
Mahlsteuer das Gleichgewicht im Staatshaushalte herzustellen. Nicht weniger
wichtig aber ist, daß sich das Verhältnis Italiens zu Österreich-Ungarn, nnserm
Bundesgenossen, seit einiger Zeit freundlicher gestaltet hat, weshalb wir nicht recht
begreifen, warum die Aufnahme Italiens in das deutsch-österreichische Bündnis
von gewissen Blättern als ein vom Wiener Kabinet dem deutschen Reichskanzler
gebrachtes Opfer dargestellt worden ist. Gewiß gab es eine Zeit, und sie ist noch
nicht lange vorbei, wo Italien sich wenig zum Dritten im Bunde zu eignen
schien, die Zeit, wo die Jrredentn ans der Halbinsel fast ungehindert Angriffe


Greiizbvtl'n II 22
»Die Tripelallianz.

verhindere. Den Namen und die Form dieses Einvernehmens anzugeben, sei
nutzlos. Carraeiolo habe recht, wenn er sage, daß Italien bei seiner Annäherung
an die mitteleuropäischen Mächte niemals einen feindseligen Gedanken gegen
Frankreich gehegt habe. Das einmütige Bestreben der Mitglieder des Kabinets
sei auf Beseitigung jedes Anlasses zu Mißverständnissen mit Frankreich und
darauf gerichtet, die Beziehungen zu letzterm immer besser zu gestalten swas
von der Berliner Politik gleichfalls zu gelten hat). Die aufrichtigen Gefühle
des Wohlwollens gegen Frankreich seien aber uicht unvereinbar mit einem wach¬
samen Schutze der Jntressen Italiens. Derselbe wolle verhindern, daß voll¬
endete Thatsachen ^die Annexion von Tunis) noch größere Mißverhältnisse her¬
vorriefen, und werde nicht gleichgiltig bleiben können, wenn eine Nation eine auf
Eroberungen ausgehende Kolonialpolitik betreiben sollte, indem sie Besitzungen
am Mittelmeere zu gewinnen trachte. Jede große Seemacht würde, wenn sie
derartigem Beginnen nicht entgegenträte, einen Selbstmord begehen.

Was die letzterwähnte Erklärung betrifft, so hat wenigstens die tunesische
Sache mit dem Zwecke der Tripelallianz gewiß nichts zu schaffen. Hier wird
dieselbe an dem, was geschehen ist, nichts ändern. Italien müßte sich hier
selbst helfen, und vielleicht gestaltet sich die Zukunft einmal so, daß es dies
versuche» kaun. Daß es im italienischen Parlamente Leute giebt, die zu solchem
Wagnis drängen, ist Thatsache. An« 7. April rief der Abgeordnete Pantaleoni
aus: „Die Gegenwart Frankreichs in Tunis ist eine Bedrohung Sardiniens;
wir müssen an die Verteidigung dieser Insel denken. Frankreich wird die Beute
seiner krankhaften Begierde." Vor sechs Monaten hätte er das wohl nicht zu
sagen gewagt. Man hatte sich damals, wie es schien, über den tunesischen
Zwischenfall beruhigt, und als die Frage wegen Besetzung des italienischen Bot¬
schafterpostens in Paris zwischen dem dortigen und dem römischen Kabinet
erörtert wurde, schien sich ein recht freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden
anbahnen zu wollen. Jetzt hat sich das geändert. Italien, damals isolirt und
deshalb Frankreich gegenüber schwach, hat seitdem an Selbstgefühl gewonnen.
Es sieht Frankreich durch die Folgen der demokratischen innern Politik geschwächt
und ohne Aussicht auf Allianzen. Es hat sich selbst in seinen innern Verhält-
nissen gehoben, seine Finanzlage hat sich gebessert, es kann den Zwangskurs
des Papiergeldes aufheben, es vermag trotz Verzichts der Regierung auf die
Mahlsteuer das Gleichgewicht im Staatshaushalte herzustellen. Nicht weniger
wichtig aber ist, daß sich das Verhältnis Italiens zu Österreich-Ungarn, nnserm
Bundesgenossen, seit einiger Zeit freundlicher gestaltet hat, weshalb wir nicht recht
begreifen, warum die Aufnahme Italiens in das deutsch-österreichische Bündnis
von gewissen Blättern als ein vom Wiener Kabinet dem deutschen Reichskanzler
gebrachtes Opfer dargestellt worden ist. Gewiß gab es eine Zeit, und sie ist noch
nicht lange vorbei, wo Italien sich wenig zum Dritten im Bunde zu eignen
schien, die Zeit, wo die Jrredentn ans der Halbinsel fast ungehindert Angriffe


Greiizbvtl'n II 22
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[0177] »Die Tripelallianz. verhindere. Den Namen und die Form dieses Einvernehmens anzugeben, sei nutzlos. Carraeiolo habe recht, wenn er sage, daß Italien bei seiner Annäherung an die mitteleuropäischen Mächte niemals einen feindseligen Gedanken gegen Frankreich gehegt habe. Das einmütige Bestreben der Mitglieder des Kabinets sei auf Beseitigung jedes Anlasses zu Mißverständnissen mit Frankreich und darauf gerichtet, die Beziehungen zu letzterm immer besser zu gestalten swas von der Berliner Politik gleichfalls zu gelten hat). Die aufrichtigen Gefühle des Wohlwollens gegen Frankreich seien aber uicht unvereinbar mit einem wach¬ samen Schutze der Jntressen Italiens. Derselbe wolle verhindern, daß voll¬ endete Thatsachen ^die Annexion von Tunis) noch größere Mißverhältnisse her¬ vorriefen, und werde nicht gleichgiltig bleiben können, wenn eine Nation eine auf Eroberungen ausgehende Kolonialpolitik betreiben sollte, indem sie Besitzungen am Mittelmeere zu gewinnen trachte. Jede große Seemacht würde, wenn sie derartigem Beginnen nicht entgegenträte, einen Selbstmord begehen. Was die letzterwähnte Erklärung betrifft, so hat wenigstens die tunesische Sache mit dem Zwecke der Tripelallianz gewiß nichts zu schaffen. Hier wird dieselbe an dem, was geschehen ist, nichts ändern. Italien müßte sich hier selbst helfen, und vielleicht gestaltet sich die Zukunft einmal so, daß es dies versuche» kaun. Daß es im italienischen Parlamente Leute giebt, die zu solchem Wagnis drängen, ist Thatsache. An« 7. April rief der Abgeordnete Pantaleoni aus: „Die Gegenwart Frankreichs in Tunis ist eine Bedrohung Sardiniens; wir müssen an die Verteidigung dieser Insel denken. Frankreich wird die Beute seiner krankhaften Begierde." Vor sechs Monaten hätte er das wohl nicht zu sagen gewagt. Man hatte sich damals, wie es schien, über den tunesischen Zwischenfall beruhigt, und als die Frage wegen Besetzung des italienischen Bot¬ schafterpostens in Paris zwischen dem dortigen und dem römischen Kabinet erörtert wurde, schien sich ein recht freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden anbahnen zu wollen. Jetzt hat sich das geändert. Italien, damals isolirt und deshalb Frankreich gegenüber schwach, hat seitdem an Selbstgefühl gewonnen. Es sieht Frankreich durch die Folgen der demokratischen innern Politik geschwächt und ohne Aussicht auf Allianzen. Es hat sich selbst in seinen innern Verhält- nissen gehoben, seine Finanzlage hat sich gebessert, es kann den Zwangskurs des Papiergeldes aufheben, es vermag trotz Verzichts der Regierung auf die Mahlsteuer das Gleichgewicht im Staatshaushalte herzustellen. Nicht weniger wichtig aber ist, daß sich das Verhältnis Italiens zu Österreich-Ungarn, nnserm Bundesgenossen, seit einiger Zeit freundlicher gestaltet hat, weshalb wir nicht recht begreifen, warum die Aufnahme Italiens in das deutsch-österreichische Bündnis von gewissen Blättern als ein vom Wiener Kabinet dem deutschen Reichskanzler gebrachtes Opfer dargestellt worden ist. Gewiß gab es eine Zeit, und sie ist noch nicht lange vorbei, wo Italien sich wenig zum Dritten im Bunde zu eignen schien, die Zeit, wo die Jrredentn ans der Halbinsel fast ungehindert Angriffe Greiizbvtl'n II 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/177>, abgerufen am 03.07.2024.