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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Tripelallianz.

1si6ß'i'g,xK, deren Wiener Korrespondenten sich notorisch einen Teil ihrer poli¬
tischen Gedanken aus dem literarischen Bureau des k> k. auswärtigen Amtes
holen und infolge dessen "wohlunterrichtete" Korrespondenten sind. Das erst¬
genannte Blatt war überzeugt, daß Europa nicht zu befürchten habe, Deutsch¬
land und Österreich-Ungarn würden den Versuch machen, Italien zu einer feind¬
seligen Politik gegen die Franzosen zu veranlassen. Es meinte ferner, jene beiden
Mächte hätten kein Bedürfnis nach Beistand von feiten einer dritten, und der
deutsche Kanzler sei ein zu kluger Politiker, um auf Bildung von Koalitionen
gegen Frankreich bedacht zu sein, so lange dieses sich friedlich verhalte. Auch
die deutsche und die österreichische Politik sei bisher friedlicher Natur gewesen
und habe sich deshalb des Wohlwollens aller Welt erfreut. Nicht dasselbe lasse
sich von Italien behaupten, welches geraume Zeit ein unruhiges Wesen an den
Tag gelegt habe. Jetzt indeß scheine es andern Sinnes geworden, es nähere
sich Deutschland und Österreich und gebe dadurch Bürgschaft, daß es in eine
friedfertige und konservative Politik einlenken werde. Zuletzt sprach der betreffende
Artikel die Ansicht aus, daß die in Paris am Ruder stehenden Staatsmänner
alles Urteil über auswärtige Angelegenheiten eingebüßt haben müßten, falls sie
Österreich und Italien zu einer Haltung Anlaß geben wollten, welche die fran¬
zösische Republik bedrohe.

In diesem Räsonnement war viel wahres, aber der Kernpunkt der Frage,
ob die von Reuters Telegraphendraht angekündigte Tripelallianz bestehe, wurde
darin nur gestreift und dabei mehr geleugnet als bejaht. Deutlicher sprach sich
die "norddeutsche Allgemeine Zeitung" in einem augenscheinlich aus hoch¬
liegender Quelle geflossenem Artikel über die Sache aus. Sie erklärte, daß
weder Deutschland noch Österreich - Ungarn noch Italien Neigung haben könne,
Bündnisse zu feindseligen Zwecken gegen irgendeine Macht abzuschließen, da nach
allen begründeten Vermutungen die Politik jener drei Staaten nur die Er¬
haltung des Friedens im Auge habe. Am wenigsten sei die Meinung berechtigt,
daß einer von den dreien das Bedürfnis empfinde, für sich allein oder im Verein
mit andern eine Frankreich feindliche Richtung zu verfolgen, und somit seien
alle Nachrichten über Verabredungen jener drei Mächte in das Bereich der
Fabeln zu verweisen. Dieselben hätten nnr den Wert von Vermutungen, ab¬
geleitet aus den offen zu Tage liegenden Interessen jedes einzelnen dieser
Staaten, die auf Wahrung des europäischen Friedens hinwiesen, und denen
zufolge es möglich, ja vielleicht wahrscheinlich sei, daß sie sich gegen einen will¬
kürlichen Friedensbruch, komme er von der oder jener Seite, gemeinsam zur
Wehre setzen würden. Sehe man von diesem Bindemittel ab, so liege für keine
von den drei Mächten Anlaß vor, gegen Frankreich üble Absichten zu hegen,
und ebensowenig sei für eine derselben Grund vorhanden, zu vermuten, daß ihr
Friede durch Frankreich bedroht sei. Wenn, fuhr der Artikel fort, und darin
liegt zum großen Teile seine Bedeutung, wenn Gerüchte auftauchen, die zu der


Die Tripelallianz.

1si6ß'i'g,xK, deren Wiener Korrespondenten sich notorisch einen Teil ihrer poli¬
tischen Gedanken aus dem literarischen Bureau des k> k. auswärtigen Amtes
holen und infolge dessen „wohlunterrichtete" Korrespondenten sind. Das erst¬
genannte Blatt war überzeugt, daß Europa nicht zu befürchten habe, Deutsch¬
land und Österreich-Ungarn würden den Versuch machen, Italien zu einer feind¬
seligen Politik gegen die Franzosen zu veranlassen. Es meinte ferner, jene beiden
Mächte hätten kein Bedürfnis nach Beistand von feiten einer dritten, und der
deutsche Kanzler sei ein zu kluger Politiker, um auf Bildung von Koalitionen
gegen Frankreich bedacht zu sein, so lange dieses sich friedlich verhalte. Auch
die deutsche und die österreichische Politik sei bisher friedlicher Natur gewesen
und habe sich deshalb des Wohlwollens aller Welt erfreut. Nicht dasselbe lasse
sich von Italien behaupten, welches geraume Zeit ein unruhiges Wesen an den
Tag gelegt habe. Jetzt indeß scheine es andern Sinnes geworden, es nähere
sich Deutschland und Österreich und gebe dadurch Bürgschaft, daß es in eine
friedfertige und konservative Politik einlenken werde. Zuletzt sprach der betreffende
Artikel die Ansicht aus, daß die in Paris am Ruder stehenden Staatsmänner
alles Urteil über auswärtige Angelegenheiten eingebüßt haben müßten, falls sie
Österreich und Italien zu einer Haltung Anlaß geben wollten, welche die fran¬
zösische Republik bedrohe.

In diesem Räsonnement war viel wahres, aber der Kernpunkt der Frage,
ob die von Reuters Telegraphendraht angekündigte Tripelallianz bestehe, wurde
darin nur gestreift und dabei mehr geleugnet als bejaht. Deutlicher sprach sich
die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" in einem augenscheinlich aus hoch¬
liegender Quelle geflossenem Artikel über die Sache aus. Sie erklärte, daß
weder Deutschland noch Österreich - Ungarn noch Italien Neigung haben könne,
Bündnisse zu feindseligen Zwecken gegen irgendeine Macht abzuschließen, da nach
allen begründeten Vermutungen die Politik jener drei Staaten nur die Er¬
haltung des Friedens im Auge habe. Am wenigsten sei die Meinung berechtigt,
daß einer von den dreien das Bedürfnis empfinde, für sich allein oder im Verein
mit andern eine Frankreich feindliche Richtung zu verfolgen, und somit seien
alle Nachrichten über Verabredungen jener drei Mächte in das Bereich der
Fabeln zu verweisen. Dieselben hätten nnr den Wert von Vermutungen, ab¬
geleitet aus den offen zu Tage liegenden Interessen jedes einzelnen dieser
Staaten, die auf Wahrung des europäischen Friedens hinwiesen, und denen
zufolge es möglich, ja vielleicht wahrscheinlich sei, daß sie sich gegen einen will¬
kürlichen Friedensbruch, komme er von der oder jener Seite, gemeinsam zur
Wehre setzen würden. Sehe man von diesem Bindemittel ab, so liege für keine
von den drei Mächten Anlaß vor, gegen Frankreich üble Absichten zu hegen,
und ebensowenig sei für eine derselben Grund vorhanden, zu vermuten, daß ihr
Friede durch Frankreich bedroht sei. Wenn, fuhr der Artikel fort, und darin
liegt zum großen Teile seine Bedeutung, wenn Gerüchte auftauchen, die zu der


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[0170] Die Tripelallianz. 1si6ß'i'g,xK, deren Wiener Korrespondenten sich notorisch einen Teil ihrer poli¬ tischen Gedanken aus dem literarischen Bureau des k> k. auswärtigen Amtes holen und infolge dessen „wohlunterrichtete" Korrespondenten sind. Das erst¬ genannte Blatt war überzeugt, daß Europa nicht zu befürchten habe, Deutsch¬ land und Österreich-Ungarn würden den Versuch machen, Italien zu einer feind¬ seligen Politik gegen die Franzosen zu veranlassen. Es meinte ferner, jene beiden Mächte hätten kein Bedürfnis nach Beistand von feiten einer dritten, und der deutsche Kanzler sei ein zu kluger Politiker, um auf Bildung von Koalitionen gegen Frankreich bedacht zu sein, so lange dieses sich friedlich verhalte. Auch die deutsche und die österreichische Politik sei bisher friedlicher Natur gewesen und habe sich deshalb des Wohlwollens aller Welt erfreut. Nicht dasselbe lasse sich von Italien behaupten, welches geraume Zeit ein unruhiges Wesen an den Tag gelegt habe. Jetzt indeß scheine es andern Sinnes geworden, es nähere sich Deutschland und Österreich und gebe dadurch Bürgschaft, daß es in eine friedfertige und konservative Politik einlenken werde. Zuletzt sprach der betreffende Artikel die Ansicht aus, daß die in Paris am Ruder stehenden Staatsmänner alles Urteil über auswärtige Angelegenheiten eingebüßt haben müßten, falls sie Österreich und Italien zu einer Haltung Anlaß geben wollten, welche die fran¬ zösische Republik bedrohe. In diesem Räsonnement war viel wahres, aber der Kernpunkt der Frage, ob die von Reuters Telegraphendraht angekündigte Tripelallianz bestehe, wurde darin nur gestreift und dabei mehr geleugnet als bejaht. Deutlicher sprach sich die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" in einem augenscheinlich aus hoch¬ liegender Quelle geflossenem Artikel über die Sache aus. Sie erklärte, daß weder Deutschland noch Österreich - Ungarn noch Italien Neigung haben könne, Bündnisse zu feindseligen Zwecken gegen irgendeine Macht abzuschließen, da nach allen begründeten Vermutungen die Politik jener drei Staaten nur die Er¬ haltung des Friedens im Auge habe. Am wenigsten sei die Meinung berechtigt, daß einer von den dreien das Bedürfnis empfinde, für sich allein oder im Verein mit andern eine Frankreich feindliche Richtung zu verfolgen, und somit seien alle Nachrichten über Verabredungen jener drei Mächte in das Bereich der Fabeln zu verweisen. Dieselben hätten nnr den Wert von Vermutungen, ab¬ geleitet aus den offen zu Tage liegenden Interessen jedes einzelnen dieser Staaten, die auf Wahrung des europäischen Friedens hinwiesen, und denen zufolge es möglich, ja vielleicht wahrscheinlich sei, daß sie sich gegen einen will¬ kürlichen Friedensbruch, komme er von der oder jener Seite, gemeinsam zur Wehre setzen würden. Sehe man von diesem Bindemittel ab, so liege für keine von den drei Mächten Anlaß vor, gegen Frankreich üble Absichten zu hegen, und ebensowenig sei für eine derselben Grund vorhanden, zu vermuten, daß ihr Friede durch Frankreich bedroht sei. Wenn, fuhr der Artikel fort, und darin liegt zum großen Teile seine Bedeutung, wenn Gerüchte auftauchen, die zu der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/170>, abgerufen am 01.07.2024.