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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

sondern nur eine Folge des Schlages war, welcher Nasenbluten verursacht hatte,
und der Baron fing an, während die Muskeln seines Gesichts vor innerer
Bewegung zuckten, seine Weichheit mit polterndem Schelten zu bemänteln.

So etwas komme davon her, sagte er, wenn junge Mädchen über Gegen¬
stände räsonnirten, die sie nicht verstünden. Und in frühern Zeiten wäre es
auch nicht Mode gewesen, daß die Töchter gleich zu Boden stürzten, wenn sie
von den Eltern nur mit der Fingerspitze berührt würden.

Aber indem er so sprach und brummte, setzte er sich allmählich zu Doro¬
thea auf das Sopha und faßte sie mit dem Arm um den Leib, wobei er zu
wiederholten malen fragte, ob ihr auch nichts weh thäte.

Dorothea sah bald, daß er sich in dieser Lage gar unbehaglich fühlte,
indem er zwischen seiner durch Reue erweckten Zärtlichkeit und einer gewissen
Unbeholfenheit gegenüber dem weiblichen Geschlechte schwankte. Sein Arm lag
hart und regungslos in ihrer Seite, und er saß kerzengerade neben ihr. Sie
gab einem Antrieb kindlicher Liebe, die so rege in ihr war und nur immer
wieder zurückgedrängt wurde, in plötzlicher Aufwallung nach und schlang beide
Arme um seinen Hals, während sie ihr Gesicht an seine bärtige Wange drängte.
So saßen Vater und Tochter lange Zeit stumm neben einander, wie sie noch
niemals vereinigt gesessen hatten, und ein paar vereinzelte Thränen, die langsam
über den grauen Bart hinwegrollte", mischten sich mit der Flut aus Dvrotheens
Augen.

Wiederum überlegte sie, ob sie in diesem glücklichen Augenblicke dem Vater
ihr Herz öffnen sollte. Aber ihre Seligkeit über die jetzige, nie vorher gekannte
innige Vereinigung mit ihm war so groß, daß sie nicht Gefahr laufen wollte,
sie zu zerstören. Schweigend hing sie an seinem Halse und vergaß alle Schmerzen,
die ihr seine gewöhnliche Zurückhaltung gemacht hatten, in der Wonne dieser
teuer erkauften Spanne Zeit.

Höre, du naseweises Ding, sagte der Baron endlich. Was wir über die
unangenehme Geschichte da vorhin gesprochen haben -- ich habe mir das über¬
legt und bin entschlossen, die Sache vorläufig ruhen zu lassen, bis ich die
Gräfin noch einmal recht gründlich gesprochen habe. Bist du nun zufrieden,
du leibhaftiges Pulverfäßchen?

Dorothea antwortete mit einem dankbaren Blick und drückte den Kopf
noch fester an den Vater an. Fast fühlte sie jetzt Beschämung, indem sie be¬
dachte, daß sie nicht offen gegen ihren Vater sei, ja daß sie in ihrer Vertei¬
digung Eberhardts wohl eigentlich den Sieg von seiner Gutmütigkeit erschlichen
habe, indem es im letzten Grunde wohl mehr ihre heimliche Liebe zu der Person
als ihre offen ausgesprochene Liebe zur Gerechtigkeit selbst gewesen war, welche
sie geleitet hatte. Aber sie wußte, daß zuviel auf dem Spiele stand, als daß
sie unvorsichtig hätte sein dürfen, und obwohl gedemütigt in dem Bewußtsein,
daß ihr argloser Vater die eigentliche Ursache ihrer Parteinahme nicht erraten


Die Grafen von Altenschwerdt.

sondern nur eine Folge des Schlages war, welcher Nasenbluten verursacht hatte,
und der Baron fing an, während die Muskeln seines Gesichts vor innerer
Bewegung zuckten, seine Weichheit mit polterndem Schelten zu bemänteln.

So etwas komme davon her, sagte er, wenn junge Mädchen über Gegen¬
stände räsonnirten, die sie nicht verstünden. Und in frühern Zeiten wäre es
auch nicht Mode gewesen, daß die Töchter gleich zu Boden stürzten, wenn sie
von den Eltern nur mit der Fingerspitze berührt würden.

Aber indem er so sprach und brummte, setzte er sich allmählich zu Doro¬
thea auf das Sopha und faßte sie mit dem Arm um den Leib, wobei er zu
wiederholten malen fragte, ob ihr auch nichts weh thäte.

Dorothea sah bald, daß er sich in dieser Lage gar unbehaglich fühlte,
indem er zwischen seiner durch Reue erweckten Zärtlichkeit und einer gewissen
Unbeholfenheit gegenüber dem weiblichen Geschlechte schwankte. Sein Arm lag
hart und regungslos in ihrer Seite, und er saß kerzengerade neben ihr. Sie
gab einem Antrieb kindlicher Liebe, die so rege in ihr war und nur immer
wieder zurückgedrängt wurde, in plötzlicher Aufwallung nach und schlang beide
Arme um seinen Hals, während sie ihr Gesicht an seine bärtige Wange drängte.
So saßen Vater und Tochter lange Zeit stumm neben einander, wie sie noch
niemals vereinigt gesessen hatten, und ein paar vereinzelte Thränen, die langsam
über den grauen Bart hinwegrollte», mischten sich mit der Flut aus Dvrotheens
Augen.

Wiederum überlegte sie, ob sie in diesem glücklichen Augenblicke dem Vater
ihr Herz öffnen sollte. Aber ihre Seligkeit über die jetzige, nie vorher gekannte
innige Vereinigung mit ihm war so groß, daß sie nicht Gefahr laufen wollte,
sie zu zerstören. Schweigend hing sie an seinem Halse und vergaß alle Schmerzen,
die ihr seine gewöhnliche Zurückhaltung gemacht hatten, in der Wonne dieser
teuer erkauften Spanne Zeit.

Höre, du naseweises Ding, sagte der Baron endlich. Was wir über die
unangenehme Geschichte da vorhin gesprochen haben — ich habe mir das über¬
legt und bin entschlossen, die Sache vorläufig ruhen zu lassen, bis ich die
Gräfin noch einmal recht gründlich gesprochen habe. Bist du nun zufrieden,
du leibhaftiges Pulverfäßchen?

Dorothea antwortete mit einem dankbaren Blick und drückte den Kopf
noch fester an den Vater an. Fast fühlte sie jetzt Beschämung, indem sie be¬
dachte, daß sie nicht offen gegen ihren Vater sei, ja daß sie in ihrer Vertei¬
digung Eberhardts wohl eigentlich den Sieg von seiner Gutmütigkeit erschlichen
habe, indem es im letzten Grunde wohl mehr ihre heimliche Liebe zu der Person
als ihre offen ausgesprochene Liebe zur Gerechtigkeit selbst gewesen war, welche
sie geleitet hatte. Aber sie wußte, daß zuviel auf dem Spiele stand, als daß
sie unvorsichtig hätte sein dürfen, und obwohl gedemütigt in dem Bewußtsein,
daß ihr argloser Vater die eigentliche Ursache ihrer Parteinahme nicht erraten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/157>, abgerufen am 03.07.2024.