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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Baron Sextus ward mehr und mehr von Erstaunen und Unwillen erfüllt.
Er hatte seine Tochter noch nie so scharf und so gewissermaßen revolutionär
reden hören. Er runzelte die Stirn und sah Dorothea sehr böse an.

Was fällt dir ein? fragte er. Wie kannst du deinem Vater so entgegen¬
treten? Es scheint, daß die Moden der Neuzeit dich angesteckt haben. Ich
hätte mir in meiner Jugend nicht erlauben dürfen, meinen Eltern derart in die
Parade zu fahren.

Aber Dorothea ließ sich nicht einschüchtern. Sie war im eigentlichen Kern¬
punkt ihres Wesens getroffen worden und setzte sich über viele Bedenken hinweg,
denen sie bei andern Gelegenheiten wohl nachgab.

Es scheint mir deinen eignen Grundsätzen zu widersprechen, Papa, sagte
sie mit glühenden Wangen, daß du ohne Untersuchung dem Bürgerlichen Un¬
recht giebst gegenüber der Dame von alter Familie. Hast du nicht oft in meiner
Gegenwart gesagt, daß du den Menschen schätztest und nicht das Kleid? Und
hier weichst du von einem so richtigen Grundsatze ab? Was thut der Name
Altenschwerdt in diesem Falle? Kann er eine Verleumdung legitimiren?

Wenn es eine Verleumdung wäre, könnte es der Name allerdings nicht
legitimiren, rief der Baron heftig. Aber es ist nicht anzunehmen, daß eine
Gräfin Altenschwerdt sich herbeilassen sollte, gegen einen namenlosen, unbekannten
und unbedeutenden Bürgerlichen eine Verleumdung zu begehen!

Ich bezweifle sehr, ob das den Ausschlag geben kann, sagte Dorothea.
Ich setze sehr starke Zweifel in die Richtigkeit der Anschauung, daß die gute
Familie eine Bürgschaft des guten Charakters sei. Ich habe Bürgerliche kennen
gelernt, die weit achtungswerter waren als die Sprossen der ältesten Geschlechter.
Ich denke, daß der stolzeste Name doch einmal einen Anfang genommen hat,
und daß der erste Chef des ältesten Hauses doch einen unbekannten Namen
hatte, den er erst durch seine Thaten berühmt machte. Deshalb scheint es mir
durchaus nicht erlaubt zu sein, einen unbekannten bürgerlichen Namen ohne
Grund zu beschimpfen. Wenn ich nach der Gegenwart auf die Vergangenheit
schließe, so komme ich sogar zu der Vermutung, daß die meisten alten Ge¬
schlechter keinen sehr ehrenvollen Ursprung gehabt haben. Denn ich sehe alle Tage,
daß auf zwei oder drei brave Männer Hunderte von zweifelhaftem Werte ge¬
adelt werden.

Das ist stark! rief der Baron, fast ganz ohne Fassung. Mädchen, was
sind das für Ideen! Und die wagst du mir ins Gesicht zu schleudern? Bei¬
läufig bemerkt, du hast gar keinen Begriff von dem, worüber du sprichst. Habe
ich nicht tausendmal auseinandergesetzt, erklärt und breitgetreten, daß der er¬
nannte Adel gar kein echter Adel ist, sondern nur der erbgesessene?

Das ist in diesem Falle ganz einerlei. Einer ist immer der erste gewesen,
der den Besitz gehabt hat, und der muß doch ein Parvenü gewesen sein. Du
weißt aber sogut wie ich, daß gerade die Leute, welche zu Vermögen kommen,


Die Grafen von Altenschwerdt.

Baron Sextus ward mehr und mehr von Erstaunen und Unwillen erfüllt.
Er hatte seine Tochter noch nie so scharf und so gewissermaßen revolutionär
reden hören. Er runzelte die Stirn und sah Dorothea sehr böse an.

Was fällt dir ein? fragte er. Wie kannst du deinem Vater so entgegen¬
treten? Es scheint, daß die Moden der Neuzeit dich angesteckt haben. Ich
hätte mir in meiner Jugend nicht erlauben dürfen, meinen Eltern derart in die
Parade zu fahren.

Aber Dorothea ließ sich nicht einschüchtern. Sie war im eigentlichen Kern¬
punkt ihres Wesens getroffen worden und setzte sich über viele Bedenken hinweg,
denen sie bei andern Gelegenheiten wohl nachgab.

Es scheint mir deinen eignen Grundsätzen zu widersprechen, Papa, sagte
sie mit glühenden Wangen, daß du ohne Untersuchung dem Bürgerlichen Un¬
recht giebst gegenüber der Dame von alter Familie. Hast du nicht oft in meiner
Gegenwart gesagt, daß du den Menschen schätztest und nicht das Kleid? Und
hier weichst du von einem so richtigen Grundsatze ab? Was thut der Name
Altenschwerdt in diesem Falle? Kann er eine Verleumdung legitimiren?

Wenn es eine Verleumdung wäre, könnte es der Name allerdings nicht
legitimiren, rief der Baron heftig. Aber es ist nicht anzunehmen, daß eine
Gräfin Altenschwerdt sich herbeilassen sollte, gegen einen namenlosen, unbekannten
und unbedeutenden Bürgerlichen eine Verleumdung zu begehen!

Ich bezweifle sehr, ob das den Ausschlag geben kann, sagte Dorothea.
Ich setze sehr starke Zweifel in die Richtigkeit der Anschauung, daß die gute
Familie eine Bürgschaft des guten Charakters sei. Ich habe Bürgerliche kennen
gelernt, die weit achtungswerter waren als die Sprossen der ältesten Geschlechter.
Ich denke, daß der stolzeste Name doch einmal einen Anfang genommen hat,
und daß der erste Chef des ältesten Hauses doch einen unbekannten Namen
hatte, den er erst durch seine Thaten berühmt machte. Deshalb scheint es mir
durchaus nicht erlaubt zu sein, einen unbekannten bürgerlichen Namen ohne
Grund zu beschimpfen. Wenn ich nach der Gegenwart auf die Vergangenheit
schließe, so komme ich sogar zu der Vermutung, daß die meisten alten Ge¬
schlechter keinen sehr ehrenvollen Ursprung gehabt haben. Denn ich sehe alle Tage,
daß auf zwei oder drei brave Männer Hunderte von zweifelhaftem Werte ge¬
adelt werden.

Das ist stark! rief der Baron, fast ganz ohne Fassung. Mädchen, was
sind das für Ideen! Und die wagst du mir ins Gesicht zu schleudern? Bei¬
läufig bemerkt, du hast gar keinen Begriff von dem, worüber du sprichst. Habe
ich nicht tausendmal auseinandergesetzt, erklärt und breitgetreten, daß der er¬
nannte Adel gar kein echter Adel ist, sondern nur der erbgesessene?

Das ist in diesem Falle ganz einerlei. Einer ist immer der erste gewesen,
der den Besitz gehabt hat, und der muß doch ein Parvenü gewesen sein. Du
weißt aber sogut wie ich, daß gerade die Leute, welche zu Vermögen kommen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/155>, abgerufen am 03.07.2024.