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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

Welcher Art die von der Kommission vorgenommenen Änderungen sind,
ist schon oben im einzelnen gezeigt worden. Alle die Übersetzungen, welche dort
an Stelle des fehlerhaften oder mißverständlichen Lutherischen Textes angegeben
werden, sind bereits dem revidirten Texte entnommen. Allen diesen Änderungen,
welche von bewährten Bibelforschern vorgeschlagen und gebilligt worden sind,
wird man rückhaltlos zustimmen können. Fraglich ist es dagegen, ob die Kom¬
mission überall da das Richtige getroffen hat, wo sie von einer Änderung absehen
zu müssen meinte, sei es wegen der auch heutzutage noch mangelnden Überein¬
stimmung der Auslegung, sei es, weil sich einzelne Stellen in Luthers Fassung
allzutief in das Gemeindegedächtnis eingeprägt haben. Während im letztern
Falle streng genommen stets eine Durchbrechung des Prinzips stattfindet, ist
im erstem Falle im allgemeinen die Berechtigung zum Festhalten an Luthers
Auffassung zuzugestehen. Vielfach scheint die Kommission jedoch gar zu konser¬
vativ gehandelt zu haben. 1. Mose 49, 10 z. B. hat Luther übersetzt: "Es
wird das Szepter von Juda nicht entwendet werden, noch ein Meister von seinen
Füßen, bis daß der Held komme, und demselben werden die Völker anhangen."
Schon der Parallelismus der Satzglieder lehrt, daß an Stelle des "Meisters"
die andre Bedeutung des hebräischen Wortes, "Herrscherstab," einzusetzen ist,
welche dasselbe sicher 4. Mose 21. 18, und Ps. 60, 9 hat. Da die Be¬
deutung "Meister" heutzutage von niemand, wenigstens nicht von irgend
einem maßgebenden Exegeten, mehr festgehalten wird, so ist nicht einzusehen,
warum hier nicht Luthers Übersetzung verbessert worden ist. Ebenso verhält
es sich aber mit dem Satze: "bis daß der Held komme." Die einzig richtige,
jetzt auch fast allgemein anerkannte Übersetzung ist: "bis daß er, Juda (gemeint
ist der Stamm Juda), nach Silv kommt," d. h. nach der Stadt Silv im
Stamme Ephraim, welche nach Beendigung der Eroberungskriege unter Josua
der Sitz des Gemeindeheiligtums wurde und während der Richterzeit blieb.
Früher, als man diese Stelle rein messianisch faßte, sah man in dem Worte
ferne den Namen des Messias und deutete ihn meist im Sinne von "Friede-
bringer" oder "Friedfertiger." Ähnliches will auch Luther mit seinem Ausdruck
"der Heil" sagen, denn er erklärt: "der dem es glücklich von Statt gehet,
der es frei hinausführet." Aber abgesehen davon, daß wir in dem Ausdrucke
"Held" einen solchen Sinn nicht mehr finden, ist eben diese und alle analogen
Auffassungen des Wortes sicher nicht richtig; es war also auch kein Grund
vorhanden, hier unter Hinweis auf die Meinungsverschiedenheit der Ausleger
von einer Verbesserung abzusehen. Hoffentlich entschließen sich die Mitglieder
der Kommission im Interesse der Konsequenz an dieser und ähnlichen Stellen
bei der letzten Revision noch zu einer Änderung.




Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

Welcher Art die von der Kommission vorgenommenen Änderungen sind,
ist schon oben im einzelnen gezeigt worden. Alle die Übersetzungen, welche dort
an Stelle des fehlerhaften oder mißverständlichen Lutherischen Textes angegeben
werden, sind bereits dem revidirten Texte entnommen. Allen diesen Änderungen,
welche von bewährten Bibelforschern vorgeschlagen und gebilligt worden sind,
wird man rückhaltlos zustimmen können. Fraglich ist es dagegen, ob die Kom¬
mission überall da das Richtige getroffen hat, wo sie von einer Änderung absehen
zu müssen meinte, sei es wegen der auch heutzutage noch mangelnden Überein¬
stimmung der Auslegung, sei es, weil sich einzelne Stellen in Luthers Fassung
allzutief in das Gemeindegedächtnis eingeprägt haben. Während im letztern
Falle streng genommen stets eine Durchbrechung des Prinzips stattfindet, ist
im erstem Falle im allgemeinen die Berechtigung zum Festhalten an Luthers
Auffassung zuzugestehen. Vielfach scheint die Kommission jedoch gar zu konser¬
vativ gehandelt zu haben. 1. Mose 49, 10 z. B. hat Luther übersetzt: „Es
wird das Szepter von Juda nicht entwendet werden, noch ein Meister von seinen
Füßen, bis daß der Held komme, und demselben werden die Völker anhangen."
Schon der Parallelismus der Satzglieder lehrt, daß an Stelle des „Meisters"
die andre Bedeutung des hebräischen Wortes, „Herrscherstab," einzusetzen ist,
welche dasselbe sicher 4. Mose 21. 18, und Ps. 60, 9 hat. Da die Be¬
deutung „Meister" heutzutage von niemand, wenigstens nicht von irgend
einem maßgebenden Exegeten, mehr festgehalten wird, so ist nicht einzusehen,
warum hier nicht Luthers Übersetzung verbessert worden ist. Ebenso verhält
es sich aber mit dem Satze: „bis daß der Held komme." Die einzig richtige,
jetzt auch fast allgemein anerkannte Übersetzung ist: „bis daß er, Juda (gemeint
ist der Stamm Juda), nach Silv kommt," d. h. nach der Stadt Silv im
Stamme Ephraim, welche nach Beendigung der Eroberungskriege unter Josua
der Sitz des Gemeindeheiligtums wurde und während der Richterzeit blieb.
Früher, als man diese Stelle rein messianisch faßte, sah man in dem Worte
ferne den Namen des Messias und deutete ihn meist im Sinne von „Friede-
bringer" oder „Friedfertiger." Ähnliches will auch Luther mit seinem Ausdruck
„der Heil" sagen, denn er erklärt: „der dem es glücklich von Statt gehet,
der es frei hinausführet." Aber abgesehen davon, daß wir in dem Ausdrucke
„Held" einen solchen Sinn nicht mehr finden, ist eben diese und alle analogen
Auffassungen des Wortes sicher nicht richtig; es war also auch kein Grund
vorhanden, hier unter Hinweis auf die Meinungsverschiedenheit der Ausleger
von einer Verbesserung abzusehen. Hoffentlich entschließen sich die Mitglieder
der Kommission im Interesse der Konsequenz an dieser und ähnlichen Stellen
bei der letzten Revision noch zu einer Änderung.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/138>, abgerufen am 01.07.2024.