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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Pflichte" des Reiches gegen die deutsche Auswanderung,

in ihrer Absicht höchst ehrenwerten und tüchtige" Beamten irgendwie zu nahe
treten zu wollen, läßt sich doch, wenn man die Verhältnisse im Auslande selbst
kennen gelernt hat, nicht in Abrede stellen, daß dieselben meist viel zu sehr
Theoretiker und Büreaukraten sind. Fast immer nur mit juristischer Bildung
ausgestattet, bleibt ihnen häufig das Wirtschafts- und sonstige Leben fremder
Völker und Länder in seinen Grundbedingungen fremd. Häufig fehlt ihnen
auch die Fähigkeit oder die Lust, sich eingehender, als ihre formellen Pflichten
es verlangen, in diese Verhältnisse zu vertiefen. Und nun gar ein wenig prak¬
tische Kolonisationspolitik zu treiben würde der Mehrzahl dieser sonst mit Recht
allgemein geachteten Herren vollends unmöglich sein.

Es bedarf also neuer Organe zu den gedachten Zwecke" wenigstens an den be¬
stimmten Territorien, findiger, energischer nud praktischer Agenten, welche am besten
aus den Ständen der Land- und Forstwirte gewählt werden würden. Selbst¬
verständlich würde" auch die zuerst besprochenen Reisenden hierzu sich vorzüglich
eignem Teils in den Landes- und Prvvinzialhauptstädten, teils in den Hafen¬
städten stationirt, würden diese Konsularagenten die doppelte Verbindung der
Auswanderer sowohl mit der Landesregierung als mit dem Vaterlande zu ver¬
mitteln haben. So schwierig und verantwortlich dies Amt erscheint, so segens¬
reich und bedeutungsvoll könnte es sein, wenn es gelänge, nicht nur tausende"
unsrer Landeskinder ein besseres und befriedigenderes Los zu verschaffe", sondern
auch dem Vaterlande in andren Weltteilen gewissermaßen neue Provinzen zu
erwerben, welche, wenn auch politisch getrennt, doch durch die festesten Baude
der Dankbarkeit und Pietät, sowie durch mannigfache materielle Verbindungen
an Deutschland gefesselt blieben.

Alles, was im vorstehenden vorgeschlagen ist, beschränkt sich auf eine rein
objektive, fast möchten wir sagen passive Thätigkeit des Reiches gegenüber der
deutschen Auswanderung. Nichts weiter wird gefordert, als daß das Vaterland
seinen mit schwerem Herzen auswandernden Kindern, welche es selbst nicht mehr
zu erhalten vermag, die Möglichkeit biete, von den bis jetzt so nnaufgehellt vor
ihnen liegenden Pfaden den richtigen auszuwählen, einzuschlagen und festzu¬
halten.

Nun könnte man sagen, daß die damit dem Reiche vindizirten Funktionen
ebensogut oder noch besser, jedenfalls politisch bequemer, von einer großen Privat¬
gesellschaft ausgeübt werden könnten. Ließe sich in Deutschland eine Gesellschaft
bilden, wie einst die ostindische Kompagnie war, so würde eine solche allerdings
die Initiative des Staates für bestimmte Gebiete unnötig machen. Indessen
abgesehen davon, daß solche Gesellschaften stets nur einzelne Länder zu ihrem
Objekt wählen können und vorwiegend die Interessen des Handels und weniger
die der Kolonisation Pflegen werden, so ist zur Zeit uoch nicht einmal die Aus¬
sicht auf Gründung solcher Unternehmungen vorhanden.


Die Pflichte» des Reiches gegen die deutsche Auswanderung,

in ihrer Absicht höchst ehrenwerten und tüchtige» Beamten irgendwie zu nahe
treten zu wollen, läßt sich doch, wenn man die Verhältnisse im Auslande selbst
kennen gelernt hat, nicht in Abrede stellen, daß dieselben meist viel zu sehr
Theoretiker und Büreaukraten sind. Fast immer nur mit juristischer Bildung
ausgestattet, bleibt ihnen häufig das Wirtschafts- und sonstige Leben fremder
Völker und Länder in seinen Grundbedingungen fremd. Häufig fehlt ihnen
auch die Fähigkeit oder die Lust, sich eingehender, als ihre formellen Pflichten
es verlangen, in diese Verhältnisse zu vertiefen. Und nun gar ein wenig prak¬
tische Kolonisationspolitik zu treiben würde der Mehrzahl dieser sonst mit Recht
allgemein geachteten Herren vollends unmöglich sein.

Es bedarf also neuer Organe zu den gedachten Zwecke» wenigstens an den be¬
stimmten Territorien, findiger, energischer nud praktischer Agenten, welche am besten
aus den Ständen der Land- und Forstwirte gewählt werden würden. Selbst¬
verständlich würde» auch die zuerst besprochenen Reisenden hierzu sich vorzüglich
eignem Teils in den Landes- und Prvvinzialhauptstädten, teils in den Hafen¬
städten stationirt, würden diese Konsularagenten die doppelte Verbindung der
Auswanderer sowohl mit der Landesregierung als mit dem Vaterlande zu ver¬
mitteln haben. So schwierig und verantwortlich dies Amt erscheint, so segens¬
reich und bedeutungsvoll könnte es sein, wenn es gelänge, nicht nur tausende»
unsrer Landeskinder ein besseres und befriedigenderes Los zu verschaffe», sondern
auch dem Vaterlande in andren Weltteilen gewissermaßen neue Provinzen zu
erwerben, welche, wenn auch politisch getrennt, doch durch die festesten Baude
der Dankbarkeit und Pietät, sowie durch mannigfache materielle Verbindungen
an Deutschland gefesselt blieben.

Alles, was im vorstehenden vorgeschlagen ist, beschränkt sich auf eine rein
objektive, fast möchten wir sagen passive Thätigkeit des Reiches gegenüber der
deutschen Auswanderung. Nichts weiter wird gefordert, als daß das Vaterland
seinen mit schwerem Herzen auswandernden Kindern, welche es selbst nicht mehr
zu erhalten vermag, die Möglichkeit biete, von den bis jetzt so nnaufgehellt vor
ihnen liegenden Pfaden den richtigen auszuwählen, einzuschlagen und festzu¬
halten.

Nun könnte man sagen, daß die damit dem Reiche vindizirten Funktionen
ebensogut oder noch besser, jedenfalls politisch bequemer, von einer großen Privat¬
gesellschaft ausgeübt werden könnten. Ließe sich in Deutschland eine Gesellschaft
bilden, wie einst die ostindische Kompagnie war, so würde eine solche allerdings
die Initiative des Staates für bestimmte Gebiete unnötig machen. Indessen
abgesehen davon, daß solche Gesellschaften stets nur einzelne Länder zu ihrem
Objekt wählen können und vorwiegend die Interessen des Handels und weniger
die der Kolonisation Pflegen werden, so ist zur Zeit uoch nicht einmal die Aus¬
sicht auf Gründung solcher Unternehmungen vorhanden.


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[0128] Die Pflichte» des Reiches gegen die deutsche Auswanderung, in ihrer Absicht höchst ehrenwerten und tüchtige» Beamten irgendwie zu nahe treten zu wollen, läßt sich doch, wenn man die Verhältnisse im Auslande selbst kennen gelernt hat, nicht in Abrede stellen, daß dieselben meist viel zu sehr Theoretiker und Büreaukraten sind. Fast immer nur mit juristischer Bildung ausgestattet, bleibt ihnen häufig das Wirtschafts- und sonstige Leben fremder Völker und Länder in seinen Grundbedingungen fremd. Häufig fehlt ihnen auch die Fähigkeit oder die Lust, sich eingehender, als ihre formellen Pflichten es verlangen, in diese Verhältnisse zu vertiefen. Und nun gar ein wenig prak¬ tische Kolonisationspolitik zu treiben würde der Mehrzahl dieser sonst mit Recht allgemein geachteten Herren vollends unmöglich sein. Es bedarf also neuer Organe zu den gedachten Zwecke» wenigstens an den be¬ stimmten Territorien, findiger, energischer nud praktischer Agenten, welche am besten aus den Ständen der Land- und Forstwirte gewählt werden würden. Selbst¬ verständlich würde» auch die zuerst besprochenen Reisenden hierzu sich vorzüglich eignem Teils in den Landes- und Prvvinzialhauptstädten, teils in den Hafen¬ städten stationirt, würden diese Konsularagenten die doppelte Verbindung der Auswanderer sowohl mit der Landesregierung als mit dem Vaterlande zu ver¬ mitteln haben. So schwierig und verantwortlich dies Amt erscheint, so segens¬ reich und bedeutungsvoll könnte es sein, wenn es gelänge, nicht nur tausende» unsrer Landeskinder ein besseres und befriedigenderes Los zu verschaffe», sondern auch dem Vaterlande in andren Weltteilen gewissermaßen neue Provinzen zu erwerben, welche, wenn auch politisch getrennt, doch durch die festesten Baude der Dankbarkeit und Pietät, sowie durch mannigfache materielle Verbindungen an Deutschland gefesselt blieben. Alles, was im vorstehenden vorgeschlagen ist, beschränkt sich auf eine rein objektive, fast möchten wir sagen passive Thätigkeit des Reiches gegenüber der deutschen Auswanderung. Nichts weiter wird gefordert, als daß das Vaterland seinen mit schwerem Herzen auswandernden Kindern, welche es selbst nicht mehr zu erhalten vermag, die Möglichkeit biete, von den bis jetzt so nnaufgehellt vor ihnen liegenden Pfaden den richtigen auszuwählen, einzuschlagen und festzu¬ halten. Nun könnte man sagen, daß die damit dem Reiche vindizirten Funktionen ebensogut oder noch besser, jedenfalls politisch bequemer, von einer großen Privat¬ gesellschaft ausgeübt werden könnten. Ließe sich in Deutschland eine Gesellschaft bilden, wie einst die ostindische Kompagnie war, so würde eine solche allerdings die Initiative des Staates für bestimmte Gebiete unnötig machen. Indessen abgesehen davon, daß solche Gesellschaften stets nur einzelne Länder zu ihrem Objekt wählen können und vorwiegend die Interessen des Handels und weniger die der Kolonisation Pflegen werden, so ist zur Zeit uoch nicht einmal die Aus¬ sicht auf Gründung solcher Unternehmungen vorhanden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/128>, abgerufen am 01.10.2024.