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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Alexandras Rumniidin'os.

Fragen, die größte Vorsicht bei folgenreichen Entschlüssen waren die Eigenschaften
seines patriotischen Herzens, das voll Unruhe, aber auch voll Hoffnung für die
Vergrößerung Griechenlands schlug. Die spartanische Devise "Mit ihm oder
auf ihm!" hat er oftmals seinem Volke entgegengerufen, aber in richtiger Er¬
wägung der unzureichenden Kräfte der Nation wagte er in der letzten Krisis
nicht die Würfel fallen zu lassen.

Wenn schon in andern Staaten, wo langjährige politische Erziehung und
Erfahrung den Fortbestand der Partei nicht in Frage stellt, der Tod eines
Parteiführers stets ein Verlust ist, so ist er es doppelt für Griechenland, wo die
Entwicklung des Staatswesens noch in den Windeln liegt. Wenn den Staats¬
männern großer Mächte gleich beim Antritt ihrer Stellung eine gewisse Aner¬
kennung bei Ausführung ihres Amtes von den fremden Staaten zu Teil wird,
so verbreiten die Staatsmänner kleiner Mächte nur nach langjährigen und er¬
folgreichen Diensten ihren Namen auch außerhalb der Nation. Zu dieser Höhe
gelangte Kumunduros, und der Verlust des Mannes, der in gegebenen Fällen
auf das Vertrauen Europas rechnen konnte, damit er seine Nation in schweren
Momenten leite, ist ein unberechenbares Unglück für ein Land, das beständig
von unvorhergesehenen Ereignissen bedroht wird und genötigt ist, Gefahren ent¬
gegenzusehen, welche es nicht nur durch seine eignen materiellen Kräfte be¬
siegen kann. Kumunduros nützte dem Vaterlande ebensosehr, wenn er in der
Regierung seinen gewandten Geist und die Früchte seiner langjährigen Erfahrung
der Nation zur Verfügung stellte, als wenn er als Führer der Opposition die
Sicherheit der Nachfolge in der Regierung garantirte.

Kumunduros hinterläßt aber nicht nur eine unausfüllbare Lücke, sondern
auch unsterbliche Thaten, denen die Geschichte Gerechtigkeit wiederfahren lassen
wird. Seine letzte That ist nicht die kleinste. Er hat seine Landsleute vor
dem Kampfe mit dem stärkern Feinde bewahrt, der leicht zur Vernichtung des
Hellenismus hätte führen können und wobei Griechenland keinen Helfer in
Europa gefunden hätte. Durch Biegsamkeit, gepaart mit patriotischer Stand-
haftigkeit, erreichte er die Anuektirung von fast ganz Thessalien und eines Teiles
von Epirus, d. h. des größten Teiles der vom Berliner Kongreß Griechenland
zugeteilten Länder. Trikupis, der dem Kumunduros seine Besonnenheit als
Verbrechen vorgeworfen hatte, wurde allerdings sein Nachfolger, konnte aber
keine andre Politik treiben als die seines Vorgängers, der heute von allen
Freunden und Feinden beweint wird. Die wortreichen Phrasen, welche Trikupis
als Führer der Opposition gemacht hatte, waren von ihm vergessen, als er
die Regierung übernahm; die kalte Wirklichkeit machte ihm klar, daß es nicht
genüge, zu schreien "Krieg gegen die Türken," um das byzantinische Reich wieder¬
herzustellen, sondern daß zur Verwirklichung dieser großen That Kraft, Ge¬
legenheit und die Hilfe Europas erforderlich ist. Kumunduros war nicht weniger
Anhänger der "großen Idee" als seine politischen Gegner, welche ihn stürzten.


Alexandras Rumniidin'os.

Fragen, die größte Vorsicht bei folgenreichen Entschlüssen waren die Eigenschaften
seines patriotischen Herzens, das voll Unruhe, aber auch voll Hoffnung für die
Vergrößerung Griechenlands schlug. Die spartanische Devise „Mit ihm oder
auf ihm!" hat er oftmals seinem Volke entgegengerufen, aber in richtiger Er¬
wägung der unzureichenden Kräfte der Nation wagte er in der letzten Krisis
nicht die Würfel fallen zu lassen.

Wenn schon in andern Staaten, wo langjährige politische Erziehung und
Erfahrung den Fortbestand der Partei nicht in Frage stellt, der Tod eines
Parteiführers stets ein Verlust ist, so ist er es doppelt für Griechenland, wo die
Entwicklung des Staatswesens noch in den Windeln liegt. Wenn den Staats¬
männern großer Mächte gleich beim Antritt ihrer Stellung eine gewisse Aner¬
kennung bei Ausführung ihres Amtes von den fremden Staaten zu Teil wird,
so verbreiten die Staatsmänner kleiner Mächte nur nach langjährigen und er¬
folgreichen Diensten ihren Namen auch außerhalb der Nation. Zu dieser Höhe
gelangte Kumunduros, und der Verlust des Mannes, der in gegebenen Fällen
auf das Vertrauen Europas rechnen konnte, damit er seine Nation in schweren
Momenten leite, ist ein unberechenbares Unglück für ein Land, das beständig
von unvorhergesehenen Ereignissen bedroht wird und genötigt ist, Gefahren ent¬
gegenzusehen, welche es nicht nur durch seine eignen materiellen Kräfte be¬
siegen kann. Kumunduros nützte dem Vaterlande ebensosehr, wenn er in der
Regierung seinen gewandten Geist und die Früchte seiner langjährigen Erfahrung
der Nation zur Verfügung stellte, als wenn er als Führer der Opposition die
Sicherheit der Nachfolge in der Regierung garantirte.

Kumunduros hinterläßt aber nicht nur eine unausfüllbare Lücke, sondern
auch unsterbliche Thaten, denen die Geschichte Gerechtigkeit wiederfahren lassen
wird. Seine letzte That ist nicht die kleinste. Er hat seine Landsleute vor
dem Kampfe mit dem stärkern Feinde bewahrt, der leicht zur Vernichtung des
Hellenismus hätte führen können und wobei Griechenland keinen Helfer in
Europa gefunden hätte. Durch Biegsamkeit, gepaart mit patriotischer Stand-
haftigkeit, erreichte er die Anuektirung von fast ganz Thessalien und eines Teiles
von Epirus, d. h. des größten Teiles der vom Berliner Kongreß Griechenland
zugeteilten Länder. Trikupis, der dem Kumunduros seine Besonnenheit als
Verbrechen vorgeworfen hatte, wurde allerdings sein Nachfolger, konnte aber
keine andre Politik treiben als die seines Vorgängers, der heute von allen
Freunden und Feinden beweint wird. Die wortreichen Phrasen, welche Trikupis
als Führer der Opposition gemacht hatte, waren von ihm vergessen, als er
die Regierung übernahm; die kalte Wirklichkeit machte ihm klar, daß es nicht
genüge, zu schreien „Krieg gegen die Türken," um das byzantinische Reich wieder¬
herzustellen, sondern daß zur Verwirklichung dieser großen That Kraft, Ge¬
legenheit und die Hilfe Europas erforderlich ist. Kumunduros war nicht weniger
Anhänger der „großen Idee" als seine politischen Gegner, welche ihn stürzten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/119>, abgerufen am 01.07.2024.