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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbiirdungsfrage,

weisen: es war, eilf Ritschl von Bonn nach Leipzig berufen wurde, wenn ich
mich recht erinnere, zu Michaeli 1865. Bis zu diesem Zeitpunkte war von
Spezialistentum in Leipzig noch keine Rede. Zwar war zu den beiden Leiter"
des philologischen Seminars, Reinhold Klotz und Anton Westerman", die
das philologische Studium durchaus in den guten, alten Traditionen der Gott¬
fried Hermannschen Schule hielte", schon seit Ostern 1862 Georg Curtius
getreten, mit dem zum erstenmale die junge Disziplin der vergleichenden
Sprachwissenschaft in Leipzig erschien. Aber Curtius hatte sich, wie er seiner
Zeit vom Gymnasium hergekommen war, stets das wärmste Interesse für
das Gymnasium und ein lebendiges Gefühl für seine Bedürfnisse bewahrt, und
wie er bei seinen sprachwissenschaftlichen Vorlesungen immer die zukünftigen
Gymnasiallehrer im Auge hatte, so schmiegte er sich auch den beiden ältern
Leitern des Seminars in selbstlosester Weise an. Daß Zarncke daneben
den größten Teil der jungen Philologen für das germanistische Studium zu
begeistern wußte, daß Overbeck eine stattliche Schaar in seine archäologischen
Kollegien zog und namentlich in seiner anregenden Erklärung des akademischen
Gypsmuseums nicht bloß alles, was Philologie studirte, sondern anch zahlreiche
Studenten andrer Fakultäten um sich versammelte, führte noch lange zu keinem
gefährlichen Spezialismus. Im Gegenteil, was wären das für Philologen
gewesen, die nicht auch in diesen Disziplinen sich damals umgesehen hätten!

Mit Ritschls Erscheinen in Leipzig begann sofort das Spezialistentum.
Auch Ritschl sorgte ja in seiner Weise für das Gymnasium, dadurch nämlich,
daß er diejenigen, die zu ihm hielten, immer möglichst bald in möglichst gute
Stellen brachte. Ob aber damit immer dem Gymnasium gedient war? Ritschl
wollte vor allen Dingen "Schule machen." Er setzte es durch, daß an der
Leipziger Universität der Druck der Doktordissertationen eingeführt wurde. Dies
brachte eine vollständige Umwälzung in die Examina und in die ganze Art des
Studiums. Eine Doktordissertation konnte natürlich nur dann für druckfähig
erklärt werden, wenn sie "etwas neues" enthielt, Studienresultate, durch welche
"die Wissenschaft gefördert" wurde, sei es auch auf einem noch so kleinen Ge¬
biete und um noch fo wenige Schritte. Von Stund an wurde das Doktorexamen,
welches doch lediglich zu der äußern Zierde eines Titels verhilft, das Haupt¬
ziel, das Kandidatenexamen, welches zum Lehramte verhilft, das Nebenziel der
Studenten. Bis zu Ritschls Zeit war es gerade umgekehrt gewesen. Das
ganze Bestreben eines guten Studenten war dahin gegangen, sich in allen
Zweigen der Philologie und Altertumswissenschaft gründlich umzusehen und
dann ein gutes Kandidateilexamen zu machen. Waren die schriftlichen Arbeiten
beim Kandidatenexamen, die deutsche und die lateinische, oder auch uur eine von
beiden, so ausgefallen, daß sie mindestens die Zensur Ha erhielten, so galten
sie zugleich mit für das Doktorexamen, und dieses bestand dann nur noch in
einer mündlichen Prüfung, der sich der Doktorand in der Regel ein paar


Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbiirdungsfrage,

weisen: es war, eilf Ritschl von Bonn nach Leipzig berufen wurde, wenn ich
mich recht erinnere, zu Michaeli 1865. Bis zu diesem Zeitpunkte war von
Spezialistentum in Leipzig noch keine Rede. Zwar war zu den beiden Leiter»
des philologischen Seminars, Reinhold Klotz und Anton Westerman», die
das philologische Studium durchaus in den guten, alten Traditionen der Gott¬
fried Hermannschen Schule hielte«, schon seit Ostern 1862 Georg Curtius
getreten, mit dem zum erstenmale die junge Disziplin der vergleichenden
Sprachwissenschaft in Leipzig erschien. Aber Curtius hatte sich, wie er seiner
Zeit vom Gymnasium hergekommen war, stets das wärmste Interesse für
das Gymnasium und ein lebendiges Gefühl für seine Bedürfnisse bewahrt, und
wie er bei seinen sprachwissenschaftlichen Vorlesungen immer die zukünftigen
Gymnasiallehrer im Auge hatte, so schmiegte er sich auch den beiden ältern
Leitern des Seminars in selbstlosester Weise an. Daß Zarncke daneben
den größten Teil der jungen Philologen für das germanistische Studium zu
begeistern wußte, daß Overbeck eine stattliche Schaar in seine archäologischen
Kollegien zog und namentlich in seiner anregenden Erklärung des akademischen
Gypsmuseums nicht bloß alles, was Philologie studirte, sondern anch zahlreiche
Studenten andrer Fakultäten um sich versammelte, führte noch lange zu keinem
gefährlichen Spezialismus. Im Gegenteil, was wären das für Philologen
gewesen, die nicht auch in diesen Disziplinen sich damals umgesehen hätten!

Mit Ritschls Erscheinen in Leipzig begann sofort das Spezialistentum.
Auch Ritschl sorgte ja in seiner Weise für das Gymnasium, dadurch nämlich,
daß er diejenigen, die zu ihm hielten, immer möglichst bald in möglichst gute
Stellen brachte. Ob aber damit immer dem Gymnasium gedient war? Ritschl
wollte vor allen Dingen „Schule machen." Er setzte es durch, daß an der
Leipziger Universität der Druck der Doktordissertationen eingeführt wurde. Dies
brachte eine vollständige Umwälzung in die Examina und in die ganze Art des
Studiums. Eine Doktordissertation konnte natürlich nur dann für druckfähig
erklärt werden, wenn sie „etwas neues" enthielt, Studienresultate, durch welche
„die Wissenschaft gefördert" wurde, sei es auch auf einem noch so kleinen Ge¬
biete und um noch fo wenige Schritte. Von Stund an wurde das Doktorexamen,
welches doch lediglich zu der äußern Zierde eines Titels verhilft, das Haupt¬
ziel, das Kandidatenexamen, welches zum Lehramte verhilft, das Nebenziel der
Studenten. Bis zu Ritschls Zeit war es gerade umgekehrt gewesen. Das
ganze Bestreben eines guten Studenten war dahin gegangen, sich in allen
Zweigen der Philologie und Altertumswissenschaft gründlich umzusehen und
dann ein gutes Kandidateilexamen zu machen. Waren die schriftlichen Arbeiten
beim Kandidatenexamen, die deutsche und die lateinische, oder auch uur eine von
beiden, so ausgefallen, daß sie mindestens die Zensur Ha erhielten, so galten
sie zugleich mit für das Doktorexamen, und dieses bestand dann nur noch in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/95>, abgerufen am 23.07.2024.