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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbürduiigsfrage,

Zusatz der Redaktion, An den vorstehenden Artikel schließen wir noch
einen Zusatz aus andrer Feder an, derselben, die bereits im Mai vorigen
Jahres in diesen Blättern über die Überbürdungsfrage, soweit die sächsischen
Gymnasien von ihr berührt werden, sich ausgesprochen hat. Der Verfasser jenes
Maiartikels schreibt uns folgendes:

Mit dem vorliegende": Aufsätze bin ich im großen und ganzen einverstanden.
Nur glaube ich, daß der Verfasser sich mit seinen Ausstellungen an der neuen
sächsischen Gymnasialverordnnng nicht an die richtige Adresse wendet, Herr von
Gerber ist ohne Zweifel von den besten Absichten beseelt. Aber auf dem weiten
Wege aus dem Kopfe des Ministers durch eine zweitägige Dircktorenkonfcrenz
in die ministerielle Verordnung hinein -- wieviel geht da verloren!

Ich benutze die dargebotne Gelegenheit, jetzt, wo die Überbürdnngsfrage
wieder lebhafter denn je in der Presse erörtert wird -- und mit vollem Recht,
denn etwas Positives zu ihrer Beseitigung ist ja noch gar nicht geschehen --,
den Ausführungen des obigen Artikels noch einige wenige Sätze anzuschließen.

Über zwei Thatsachen ist wohl, mit Ausnahme einer Anzahl von Schul¬
meistern, die den Wald vor Bäumen nicht sehen, alle Welt einig: daß die klas¬
sische Bildung, die das Gymnasium gegenwärtig gewährt, gegen früher zurück¬
gegangen ist, und zweitens, daß unsre Ghmnasialjugend den Eindruck der
Ermüdung und Abgetriebenheit macht. In die Alltagssprache des Schülervaters
übersetzt: Es wird zuviel verlangt, und es wird nichts ordentliches mehr ge¬
leistet. Auch darüber ist wohl im allgemeinen kein Zweifel, daß diese beiden
Thatsachen sich nicht bloß neben einander, sondern in ursachlichen Zusammen¬
hange mit einander entwickelt haben. Es ist ja klar, daß jede Verschiebung der
Anforderungen auch eine Verschiebung der Leistungen nach sich ziehen muß.

Weniger Einverständnis herrscht über die Ursache dieser betrübenden Er¬
scheinung und über die Mittel zu ihrer Wiederbescitigung. Die einen schieben
die Hauptschuld auf den Umstand, daß das Gymnasium aus Furcht vor der
Realschule seinem ehemaligen Charakter und damit seinem eigentlichen Berufe
untreu geworden sei; andre sehen den Hauptgrund in dem auf den Universitäten
jetzt gepflegten und auf die Gymnasien übertragenen Spezialistentum, noch andre
-- wie der Verfasser des obigen Aufsatzes -- in dem Mangel an pädagogischer
Erfahrung bei der jüngeren Lehrcrgeneration, Demgemäß rufen die einen, und
diese Forderung ist in den letzten Wochen ganz besonders laut erhoben worden,
nach pädagogischen Seminarien an den Universitäten und nach Verlängerung der
Probezeit, andre fordern eine Umgestaltung des Universitätsstudiums für die
zukünftigen Gymnasiallehrer, noch andre meinen, daß schon eine Rückkehr des
Gymnasiums zu seinem ehemaligen Charakter hinreichen werde, um alles wieder
ins rechte Gleis zu bringen.

Ich glaube, daß alle drei Recht haben. Alle Dinge haben ein paar Ur¬
sachen, sagt Liebetraut, und so haben auch verschiedne Umstände zusammengewirkt,


Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbürduiigsfrage,

Zusatz der Redaktion, An den vorstehenden Artikel schließen wir noch
einen Zusatz aus andrer Feder an, derselben, die bereits im Mai vorigen
Jahres in diesen Blättern über die Überbürdungsfrage, soweit die sächsischen
Gymnasien von ihr berührt werden, sich ausgesprochen hat. Der Verfasser jenes
Maiartikels schreibt uns folgendes:

Mit dem vorliegende«: Aufsätze bin ich im großen und ganzen einverstanden.
Nur glaube ich, daß der Verfasser sich mit seinen Ausstellungen an der neuen
sächsischen Gymnasialverordnnng nicht an die richtige Adresse wendet, Herr von
Gerber ist ohne Zweifel von den besten Absichten beseelt. Aber auf dem weiten
Wege aus dem Kopfe des Ministers durch eine zweitägige Dircktorenkonfcrenz
in die ministerielle Verordnung hinein — wieviel geht da verloren!

Ich benutze die dargebotne Gelegenheit, jetzt, wo die Überbürdnngsfrage
wieder lebhafter denn je in der Presse erörtert wird — und mit vollem Recht,
denn etwas Positives zu ihrer Beseitigung ist ja noch gar nicht geschehen —,
den Ausführungen des obigen Artikels noch einige wenige Sätze anzuschließen.

Über zwei Thatsachen ist wohl, mit Ausnahme einer Anzahl von Schul¬
meistern, die den Wald vor Bäumen nicht sehen, alle Welt einig: daß die klas¬
sische Bildung, die das Gymnasium gegenwärtig gewährt, gegen früher zurück¬
gegangen ist, und zweitens, daß unsre Ghmnasialjugend den Eindruck der
Ermüdung und Abgetriebenheit macht. In die Alltagssprache des Schülervaters
übersetzt: Es wird zuviel verlangt, und es wird nichts ordentliches mehr ge¬
leistet. Auch darüber ist wohl im allgemeinen kein Zweifel, daß diese beiden
Thatsachen sich nicht bloß neben einander, sondern in ursachlichen Zusammen¬
hange mit einander entwickelt haben. Es ist ja klar, daß jede Verschiebung der
Anforderungen auch eine Verschiebung der Leistungen nach sich ziehen muß.

Weniger Einverständnis herrscht über die Ursache dieser betrübenden Er¬
scheinung und über die Mittel zu ihrer Wiederbescitigung. Die einen schieben
die Hauptschuld auf den Umstand, daß das Gymnasium aus Furcht vor der
Realschule seinem ehemaligen Charakter und damit seinem eigentlichen Berufe
untreu geworden sei; andre sehen den Hauptgrund in dem auf den Universitäten
jetzt gepflegten und auf die Gymnasien übertragenen Spezialistentum, noch andre
— wie der Verfasser des obigen Aufsatzes — in dem Mangel an pädagogischer
Erfahrung bei der jüngeren Lehrcrgeneration, Demgemäß rufen die einen, und
diese Forderung ist in den letzten Wochen ganz besonders laut erhoben worden,
nach pädagogischen Seminarien an den Universitäten und nach Verlängerung der
Probezeit, andre fordern eine Umgestaltung des Universitätsstudiums für die
zukünftigen Gymnasiallehrer, noch andre meinen, daß schon eine Rückkehr des
Gymnasiums zu seinem ehemaligen Charakter hinreichen werde, um alles wieder
ins rechte Gleis zu bringen.

Ich glaube, daß alle drei Recht haben. Alle Dinge haben ein paar Ur¬
sachen, sagt Liebetraut, und so haben auch verschiedne Umstände zusammengewirkt,


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[0092] Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbürduiigsfrage, Zusatz der Redaktion, An den vorstehenden Artikel schließen wir noch einen Zusatz aus andrer Feder an, derselben, die bereits im Mai vorigen Jahres in diesen Blättern über die Überbürdungsfrage, soweit die sächsischen Gymnasien von ihr berührt werden, sich ausgesprochen hat. Der Verfasser jenes Maiartikels schreibt uns folgendes: Mit dem vorliegende«: Aufsätze bin ich im großen und ganzen einverstanden. Nur glaube ich, daß der Verfasser sich mit seinen Ausstellungen an der neuen sächsischen Gymnasialverordnnng nicht an die richtige Adresse wendet, Herr von Gerber ist ohne Zweifel von den besten Absichten beseelt. Aber auf dem weiten Wege aus dem Kopfe des Ministers durch eine zweitägige Dircktorenkonfcrenz in die ministerielle Verordnung hinein — wieviel geht da verloren! Ich benutze die dargebotne Gelegenheit, jetzt, wo die Überbürdnngsfrage wieder lebhafter denn je in der Presse erörtert wird — und mit vollem Recht, denn etwas Positives zu ihrer Beseitigung ist ja noch gar nicht geschehen —, den Ausführungen des obigen Artikels noch einige wenige Sätze anzuschließen. Über zwei Thatsachen ist wohl, mit Ausnahme einer Anzahl von Schul¬ meistern, die den Wald vor Bäumen nicht sehen, alle Welt einig: daß die klas¬ sische Bildung, die das Gymnasium gegenwärtig gewährt, gegen früher zurück¬ gegangen ist, und zweitens, daß unsre Ghmnasialjugend den Eindruck der Ermüdung und Abgetriebenheit macht. In die Alltagssprache des Schülervaters übersetzt: Es wird zuviel verlangt, und es wird nichts ordentliches mehr ge¬ leistet. Auch darüber ist wohl im allgemeinen kein Zweifel, daß diese beiden Thatsachen sich nicht bloß neben einander, sondern in ursachlichen Zusammen¬ hange mit einander entwickelt haben. Es ist ja klar, daß jede Verschiebung der Anforderungen auch eine Verschiebung der Leistungen nach sich ziehen muß. Weniger Einverständnis herrscht über die Ursache dieser betrübenden Er¬ scheinung und über die Mittel zu ihrer Wiederbescitigung. Die einen schieben die Hauptschuld auf den Umstand, daß das Gymnasium aus Furcht vor der Realschule seinem ehemaligen Charakter und damit seinem eigentlichen Berufe untreu geworden sei; andre sehen den Hauptgrund in dem auf den Universitäten jetzt gepflegten und auf die Gymnasien übertragenen Spezialistentum, noch andre — wie der Verfasser des obigen Aufsatzes — in dem Mangel an pädagogischer Erfahrung bei der jüngeren Lehrcrgeneration, Demgemäß rufen die einen, und diese Forderung ist in den letzten Wochen ganz besonders laut erhoben worden, nach pädagogischen Seminarien an den Universitäten und nach Verlängerung der Probezeit, andre fordern eine Umgestaltung des Universitätsstudiums für die zukünftigen Gymnasiallehrer, noch andre meinen, daß schon eine Rückkehr des Gymnasiums zu seinem ehemaligen Charakter hinreichen werde, um alles wieder ins rechte Gleis zu bringen. Ich glaube, daß alle drei Recht haben. Alle Dinge haben ein paar Ur¬ sachen, sagt Liebetraut, und so haben auch verschiedne Umstände zusammengewirkt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/92>, abgerufen am 23.07.2024.