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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbürdungsfrage,

ins Deutsche sind bei weitem die Hauptsache. Sie geben nicht nur ein leben¬
diges Verständnis für die griechische und römische Vorzeit, sondern fördern auch,
wenn sie mit Geschmack geleitet werden, den deutschen Ausdruck.

Die falsche Auffassung von dem Wesen des altklassischer Unterrichtes ist es aber,
die zum guten Teil die Überbürdung verursacht hatte und auch weiterhin, wie wir
fürchten müssen, verursachen wird. Daß nämlich in Sachsen wenig Aussicht ist, die
Überhäufnng mit häuslichen Arbeiten schwinden zu sehen, das lehrt die Übersicht,
welche neuerdings in der erwähnten Verordnung für die außerhalb der Prüfungen
zu fertigenden schriftlichen Arbeiten aufgestellt worden ist. Nach dieser Übersicht
wird nämlich an schriftlichen Arbeiten mehr gefordert, als wohl an den meisten
Gymnasien bisher verlangt worden ist. Greifen wir z. B. die mittelste Klasse,
die Obertertia, heraus. Hier ist vorgeschrieben monatlich 1 deutscher Aufsatz,
4 Skripta bez. Extemporalien im Latein, 4 Skripta bez. Extemporalien im
Griechischen, 1 Skriptum und 1 Extemporale im Französischen, 1 Arbeit in
der Mathematik, nicht eingerechnet die Menge von Präparationen und RePe¬
titionen in diesen und den andern Fächern. Rechnet man das Schuljahr, wie
es gewöhnlich geschieht, zu 40 Wochen, so giebt das 10 deutsche, 40 lateinische,
40 griechische, 20 französische und 10 mathematische Aufgaben. Die schriftlichen
Arbeiten in den klassischen Sprache,? nehmen also einen außerordentlich großen
Teil des häuslichen Fleißes in Anspruch. Aber die allzuhäufig geforderten
Skripta und Extemporalien berauben auch den Lehrer seiner kostbaren Unter¬
richtszeit. Wir können dies wieder an dem Beispiele der Obertertia zeigen.
Hier sind neun Stunden für den lateinischen Unterricht angesetzt; zwei davon
kommen auf Ovid, zwei auf Grammatik; zwei Stunden werden gebraucht, um
das Extemporale oder Skriptum sorgfältig zu diktiren und mit Erfolg zu
emendiren. So bleiben dann für die Hauptsache, die Lektüre Cäsars, nur drei
Stunden übrig. Ähnlich ist es in den obern Klassen. Zwei Stunden werden
mindestens in jeder Woche der Klassikerlcktüre entzogen.

Wir halten, um es nochmals kurz zu sagen, die einseitige Betonung der
klassischen Sprachen als formalen Bildnngselementes und die hierdurch ver¬
anlaßte Forderung zahlreicher schriftlicher Übersetzungen und fortgesetzter gram¬
matischer Übungen für keinen Fortschritt und hätten hierin lieber einen vollen
Anschluß der sächsischen Verordnung an die preußische Zirkularverfügung ge¬
wünscht. Und noch eins: Auch die genaue Vorschrift über die zu liefernden
wöchentlichen Arbeiten will uns nicht behagen. Mit Recht hebt Jürgen
Vom Meyer (Die Schulübcrbürdungsfrage, S. 17) hervor, daß unser Schul-
leiter zum großen Teil an einem übermäßigen Schablonisiren und Büreau-
kratisiren liegt. Hätte man nicht diesem Leiden abhelfen, nicht den pflicht-
getrenen Lehrern und Lehrerkollegien ruhig die Anzahl der zu liefernden
schriftlichen Arbeiten, wie es früher geschah, überlassen und damit den Viel¬
geplagten etwas Freiheit der Bewegung geben können?


Die neue sächsische Gymnasial-Verordnung und die Überbürdungsfrage,

ins Deutsche sind bei weitem die Hauptsache. Sie geben nicht nur ein leben¬
diges Verständnis für die griechische und römische Vorzeit, sondern fördern auch,
wenn sie mit Geschmack geleitet werden, den deutschen Ausdruck.

Die falsche Auffassung von dem Wesen des altklassischer Unterrichtes ist es aber,
die zum guten Teil die Überbürdung verursacht hatte und auch weiterhin, wie wir
fürchten müssen, verursachen wird. Daß nämlich in Sachsen wenig Aussicht ist, die
Überhäufnng mit häuslichen Arbeiten schwinden zu sehen, das lehrt die Übersicht,
welche neuerdings in der erwähnten Verordnung für die außerhalb der Prüfungen
zu fertigenden schriftlichen Arbeiten aufgestellt worden ist. Nach dieser Übersicht
wird nämlich an schriftlichen Arbeiten mehr gefordert, als wohl an den meisten
Gymnasien bisher verlangt worden ist. Greifen wir z. B. die mittelste Klasse,
die Obertertia, heraus. Hier ist vorgeschrieben monatlich 1 deutscher Aufsatz,
4 Skripta bez. Extemporalien im Latein, 4 Skripta bez. Extemporalien im
Griechischen, 1 Skriptum und 1 Extemporale im Französischen, 1 Arbeit in
der Mathematik, nicht eingerechnet die Menge von Präparationen und RePe¬
titionen in diesen und den andern Fächern. Rechnet man das Schuljahr, wie
es gewöhnlich geschieht, zu 40 Wochen, so giebt das 10 deutsche, 40 lateinische,
40 griechische, 20 französische und 10 mathematische Aufgaben. Die schriftlichen
Arbeiten in den klassischen Sprache,? nehmen also einen außerordentlich großen
Teil des häuslichen Fleißes in Anspruch. Aber die allzuhäufig geforderten
Skripta und Extemporalien berauben auch den Lehrer seiner kostbaren Unter¬
richtszeit. Wir können dies wieder an dem Beispiele der Obertertia zeigen.
Hier sind neun Stunden für den lateinischen Unterricht angesetzt; zwei davon
kommen auf Ovid, zwei auf Grammatik; zwei Stunden werden gebraucht, um
das Extemporale oder Skriptum sorgfältig zu diktiren und mit Erfolg zu
emendiren. So bleiben dann für die Hauptsache, die Lektüre Cäsars, nur drei
Stunden übrig. Ähnlich ist es in den obern Klassen. Zwei Stunden werden
mindestens in jeder Woche der Klassikerlcktüre entzogen.

Wir halten, um es nochmals kurz zu sagen, die einseitige Betonung der
klassischen Sprachen als formalen Bildnngselementes und die hierdurch ver¬
anlaßte Forderung zahlreicher schriftlicher Übersetzungen und fortgesetzter gram¬
matischer Übungen für keinen Fortschritt und hätten hierin lieber einen vollen
Anschluß der sächsischen Verordnung an die preußische Zirkularverfügung ge¬
wünscht. Und noch eins: Auch die genaue Vorschrift über die zu liefernden
wöchentlichen Arbeiten will uns nicht behagen. Mit Recht hebt Jürgen
Vom Meyer (Die Schulübcrbürdungsfrage, S. 17) hervor, daß unser Schul-
leiter zum großen Teil an einem übermäßigen Schablonisiren und Büreau-
kratisiren liegt. Hätte man nicht diesem Leiden abhelfen, nicht den pflicht-
getrenen Lehrern und Lehrerkollegien ruhig die Anzahl der zu liefernden
schriftlichen Arbeiten, wie es früher geschah, überlassen und damit den Viel¬
geplagten etwas Freiheit der Bewegung geben können?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/91>, abgerufen am 23.07.2024.