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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Über nationale Geschichtschreibung,

geschmiedete Schwert preußischer Wehrhaftigkeit den aussichtslos verschlungenen
Knoten der deutschen Frage mutig durchhicb, der schließlich die siegreichen Heere
des geeinigten Deutschlands wie im Fluge bis unter und in die Mauern von
Paris getragen.

Nicht bloß den Sieger in den größten Schlachten, welche deutsche Waffen
geschlagen, nicht bloß den Begründer des neuen Reiches, den Hort des Friedens
und den Hüter unsrer nationalen Wohlfahrt verehren wir in unserm greisen
Kaiser -- in ihm verkörpert sich gleichsam die ganze deutsche Geschichte während
der letzten drei Menschenalter. Der hehrste aus der immer kleiner werdenden Zahl
derer, welche Deutschland noch in seiner tiefsten Erniedrigung gesehen, der
treuesten einer in der unentmutigten Wahrung der nationalen Hoffnungen in
trüber Zeit ist er endlich das auserwählte Werkzeug geworden, das die Wieder¬
geburt Deutschlands vollendete.

Wohl liegt da die Versuchung nahe, anknüpfend an die neuere Geschichte
Deutschlands eines der Probleme, die sich aus derselben für die Gegenwart er¬
geben, vom Standpunkte des Wünschenswerten und des Möglichen aus zu be¬
handeln, um an der Hand der Geschichte vielleicht einen Blick in die Zukunft
zu thun. Aber das hieße doch hinabsteigen in die stanberfüllte Arena der Tages¬
politik und wäre nicht möglich, ohne auf die in der Gegenwart mit einander
ringenden Gegensätze einzugehen und zu ihnen für und wider Stellung zu nehmen.
Wäre aber ein solches Verfahren schon nicht in Einklang zu bringen mit dem
alten, wohlbegründeten Brauche, welcher an dieser Stelle nur die über dem
Wandel der Tagesmeinungen und über dem Streite der Parteien stehende
Wissenschaft zum Worte gelangen läßt, so wäre es vollends unangemessen gerade
an dem heutigen Tage. Denn was auch in der Mühsal der politischen All¬
tagsarbeit trennend zwischen den einzelnen Gliedern des Staates stehen mag,
heute wird es zum Schweigen gebracht und vergessen. Ohne Ausnahme finden
sich heute alle zusammen in dem einen Gefühle dankbarer Verehrung für unsern
greisen Kaiser, und fern bleibt der Feier des ihm geweihten Tages alles, was
auf den lichten Festesglanz desselben auch nur den leisesten Schatten werfen könnte.

Künftigen Geschlechtern bleibt es vorbehalten, das Zeitalter Kaiser Wilhelms I.
von dem Standpunkte der historischen Wissenschaft aus zu betrachten. Aber fast
möchte man denjenigen beneiden, dem diesen herrlichen Stoff zu behandeln dereinst
das köstliche Recht gewährt sein wird. Denn sicherlich kann der nationalen Ge¬
schichtschreibung keine dankbarere Aufgabe geboten werden als diese, deren Wert
und Bedeutung für das gesamte deutsche Volk völlig zweifellos ist und von
allen ohne Ausnahme anerkannt wird. So wird der Schöpfer des nationalen
deutschen Staates dereinst auch in den Mittelpunkt der nationalen Geschichte
gerückt sein, und wie er durch seine Thaten die deutsche Nation als solche hat
erstehen lassen, so wird an und in der Behandlung derselben endlich auch eine
nationale deutsche Geschichtschreibung entstehen und groß werden.


Über nationale Geschichtschreibung,

geschmiedete Schwert preußischer Wehrhaftigkeit den aussichtslos verschlungenen
Knoten der deutschen Frage mutig durchhicb, der schließlich die siegreichen Heere
des geeinigten Deutschlands wie im Fluge bis unter und in die Mauern von
Paris getragen.

Nicht bloß den Sieger in den größten Schlachten, welche deutsche Waffen
geschlagen, nicht bloß den Begründer des neuen Reiches, den Hort des Friedens
und den Hüter unsrer nationalen Wohlfahrt verehren wir in unserm greisen
Kaiser — in ihm verkörpert sich gleichsam die ganze deutsche Geschichte während
der letzten drei Menschenalter. Der hehrste aus der immer kleiner werdenden Zahl
derer, welche Deutschland noch in seiner tiefsten Erniedrigung gesehen, der
treuesten einer in der unentmutigten Wahrung der nationalen Hoffnungen in
trüber Zeit ist er endlich das auserwählte Werkzeug geworden, das die Wieder¬
geburt Deutschlands vollendete.

Wohl liegt da die Versuchung nahe, anknüpfend an die neuere Geschichte
Deutschlands eines der Probleme, die sich aus derselben für die Gegenwart er¬
geben, vom Standpunkte des Wünschenswerten und des Möglichen aus zu be¬
handeln, um an der Hand der Geschichte vielleicht einen Blick in die Zukunft
zu thun. Aber das hieße doch hinabsteigen in die stanberfüllte Arena der Tages¬
politik und wäre nicht möglich, ohne auf die in der Gegenwart mit einander
ringenden Gegensätze einzugehen und zu ihnen für und wider Stellung zu nehmen.
Wäre aber ein solches Verfahren schon nicht in Einklang zu bringen mit dem
alten, wohlbegründeten Brauche, welcher an dieser Stelle nur die über dem
Wandel der Tagesmeinungen und über dem Streite der Parteien stehende
Wissenschaft zum Worte gelangen läßt, so wäre es vollends unangemessen gerade
an dem heutigen Tage. Denn was auch in der Mühsal der politischen All¬
tagsarbeit trennend zwischen den einzelnen Gliedern des Staates stehen mag,
heute wird es zum Schweigen gebracht und vergessen. Ohne Ausnahme finden
sich heute alle zusammen in dem einen Gefühle dankbarer Verehrung für unsern
greisen Kaiser, und fern bleibt der Feier des ihm geweihten Tages alles, was
auf den lichten Festesglanz desselben auch nur den leisesten Schatten werfen könnte.

Künftigen Geschlechtern bleibt es vorbehalten, das Zeitalter Kaiser Wilhelms I.
von dem Standpunkte der historischen Wissenschaft aus zu betrachten. Aber fast
möchte man denjenigen beneiden, dem diesen herrlichen Stoff zu behandeln dereinst
das köstliche Recht gewährt sein wird. Denn sicherlich kann der nationalen Ge¬
schichtschreibung keine dankbarere Aufgabe geboten werden als diese, deren Wert
und Bedeutung für das gesamte deutsche Volk völlig zweifellos ist und von
allen ohne Ausnahme anerkannt wird. So wird der Schöpfer des nationalen
deutschen Staates dereinst auch in den Mittelpunkt der nationalen Geschichte
gerückt sein, und wie er durch seine Thaten die deutsche Nation als solche hat
erstehen lassen, so wird an und in der Behandlung derselben endlich auch eine
nationale deutsche Geschichtschreibung entstehen und groß werden.


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[0676] Über nationale Geschichtschreibung, geschmiedete Schwert preußischer Wehrhaftigkeit den aussichtslos verschlungenen Knoten der deutschen Frage mutig durchhicb, der schließlich die siegreichen Heere des geeinigten Deutschlands wie im Fluge bis unter und in die Mauern von Paris getragen. Nicht bloß den Sieger in den größten Schlachten, welche deutsche Waffen geschlagen, nicht bloß den Begründer des neuen Reiches, den Hort des Friedens und den Hüter unsrer nationalen Wohlfahrt verehren wir in unserm greisen Kaiser — in ihm verkörpert sich gleichsam die ganze deutsche Geschichte während der letzten drei Menschenalter. Der hehrste aus der immer kleiner werdenden Zahl derer, welche Deutschland noch in seiner tiefsten Erniedrigung gesehen, der treuesten einer in der unentmutigten Wahrung der nationalen Hoffnungen in trüber Zeit ist er endlich das auserwählte Werkzeug geworden, das die Wieder¬ geburt Deutschlands vollendete. Wohl liegt da die Versuchung nahe, anknüpfend an die neuere Geschichte Deutschlands eines der Probleme, die sich aus derselben für die Gegenwart er¬ geben, vom Standpunkte des Wünschenswerten und des Möglichen aus zu be¬ handeln, um an der Hand der Geschichte vielleicht einen Blick in die Zukunft zu thun. Aber das hieße doch hinabsteigen in die stanberfüllte Arena der Tages¬ politik und wäre nicht möglich, ohne auf die in der Gegenwart mit einander ringenden Gegensätze einzugehen und zu ihnen für und wider Stellung zu nehmen. Wäre aber ein solches Verfahren schon nicht in Einklang zu bringen mit dem alten, wohlbegründeten Brauche, welcher an dieser Stelle nur die über dem Wandel der Tagesmeinungen und über dem Streite der Parteien stehende Wissenschaft zum Worte gelangen läßt, so wäre es vollends unangemessen gerade an dem heutigen Tage. Denn was auch in der Mühsal der politischen All¬ tagsarbeit trennend zwischen den einzelnen Gliedern des Staates stehen mag, heute wird es zum Schweigen gebracht und vergessen. Ohne Ausnahme finden sich heute alle zusammen in dem einen Gefühle dankbarer Verehrung für unsern greisen Kaiser, und fern bleibt der Feier des ihm geweihten Tages alles, was auf den lichten Festesglanz desselben auch nur den leisesten Schatten werfen könnte. Künftigen Geschlechtern bleibt es vorbehalten, das Zeitalter Kaiser Wilhelms I. von dem Standpunkte der historischen Wissenschaft aus zu betrachten. Aber fast möchte man denjenigen beneiden, dem diesen herrlichen Stoff zu behandeln dereinst das köstliche Recht gewährt sein wird. Denn sicherlich kann der nationalen Ge¬ schichtschreibung keine dankbarere Aufgabe geboten werden als diese, deren Wert und Bedeutung für das gesamte deutsche Volk völlig zweifellos ist und von allen ohne Ausnahme anerkannt wird. So wird der Schöpfer des nationalen deutschen Staates dereinst auch in den Mittelpunkt der nationalen Geschichte gerückt sein, und wie er durch seine Thaten die deutsche Nation als solche hat erstehen lassen, so wird an und in der Behandlung derselben endlich auch eine nationale deutsche Geschichtschreibung entstehen und groß werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/676>, abgerufen am 23.07.2024.