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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Das kleine Buch des Herrn von Bismarck.

Weise entwickelten, die den europäischen Frieden zu bedrohen schien, stieg sofort
auch in Deutschland der Wert, welchen Preußen vermöge seiner militärischen
Kräfte und seiner sonstigen Hilfsmittel für das Ausland hatte; nicht minder
wurden die Hoffnungen mit in Rechnung gezogen, mit welchen die wesentlichsten
Elemente der öffentlichen Meinung in Deutschland auf Preußen blickten, wo¬
gegen diese Hoffnungen in friedlichen Zeiten nur das Mißtrauen und die Ab¬
neigung der kleinstaatlichen Regierungen gegen dasselbe verstärkten. Immer
aber stellte sich bei kritischer Lage heraus, daß der Glaube der letztern an den
Bund und seine Verfassung auf schwachen Füßen stand. Man war vollständig
darauf gefaßt, daß jede deutsche Regierung zu Gunsten auswärtiger Verbin¬
dungen, falls sie Vorteile versprachen, dem Bunde den Rücken kehren werde.
Man war davon überzeugt, weil man selber entschlossen war, so zu handeln.
Es gab unter den mit einer Virilstimme bedachten deutschen Fürsten leinen
einzigen, der aus Bundestreue seine eigne Stellung ernstlich aufs Spiel gesetzt
haben würde. Der etwaige Kampf sich widersprechender Pflichten würde nicht
lange gewährt haben, da jeder dieser kleinen Potentaten samt seinen Räten ganz
ehrlich der Meinung war, daß die Verpflichtungen gegen seine Dynastie, dann
die gegen seine Unterthanen viel dringender seien als die gegen den Bund.
Dieser selbst hatte niemals eine andre Auffassung von seiner Bestimmung gehabt,
als die, daß er sich in festem Bündnisse mit Österreich, Preußen und Nußland
gegen Augriffe Frankreichs oder gegen innere Gegner zu verteidigen habe. So
lange er sicher war, die drei östlichen Großmächte als Deckung hinter sich zu
haben, konnte er auf Haltbarkeit rechnen. Sobald aber Rußland aus solchem
Zusammenhange schied, ohne daß Frankreich sich ihm anschloß -- was nach dem
Krimkriege eingetreten war --, verlor die Bundesakte jeden Halt und Wert.
Wurde Deutschland von Frankreich und Rußland zugleich bedroht, so hätten
Preußen und Österreich so fest zusammenhalten mögen, als nur denkbar war,
sie Hütten doch nur diejenigen Buudesstciaten in ihrem Lager gesehen, welche
sie dazu zwingen konnten, oder welche außer Stande waren, mit den Gegnern
ein vorteilhaftes Abkommen zu treffen. Es wäre somit ein verhängnisvoller
Irrtum gewesen, wenn Preußen seiner Politik für die Zuknifft die Annahme
zu Grunde gelegt hätte, daß die Mittel- und Kleinstaaten die Bundesverträge
unter allen Umständen halten würden, und daß es in dem Falle eines Krieges
mit Frankreich, in welchem Österreich und Rußland nicht an seiner Seite wären,
auf erheblichen Beistand von Bundestruppen hoffen dürfte. Vielmehr war mit
Sicherheit anzunehmen, daß ein Bündnis Frankreichs mit Rußland oder mit
Österreich den Bund im Kriegsfalle ohne weiteres sprengen würde.

Die österreichische Regierung verfolgte in Deutschland nur den einen Zweck,
die Verfügung über die Gesamtkraft des Bundes für ihre auswärtige Politik
und für die Kräftigung ihrer Finanzen, sowie für die Förderung ihrer Wer¬
ke hrsinteresseu zu erlangen, für letztere aber den Zollverein in die Hand zu be-


Das kleine Buch des Herrn von Bismarck.

Weise entwickelten, die den europäischen Frieden zu bedrohen schien, stieg sofort
auch in Deutschland der Wert, welchen Preußen vermöge seiner militärischen
Kräfte und seiner sonstigen Hilfsmittel für das Ausland hatte; nicht minder
wurden die Hoffnungen mit in Rechnung gezogen, mit welchen die wesentlichsten
Elemente der öffentlichen Meinung in Deutschland auf Preußen blickten, wo¬
gegen diese Hoffnungen in friedlichen Zeiten nur das Mißtrauen und die Ab¬
neigung der kleinstaatlichen Regierungen gegen dasselbe verstärkten. Immer
aber stellte sich bei kritischer Lage heraus, daß der Glaube der letztern an den
Bund und seine Verfassung auf schwachen Füßen stand. Man war vollständig
darauf gefaßt, daß jede deutsche Regierung zu Gunsten auswärtiger Verbin¬
dungen, falls sie Vorteile versprachen, dem Bunde den Rücken kehren werde.
Man war davon überzeugt, weil man selber entschlossen war, so zu handeln.
Es gab unter den mit einer Virilstimme bedachten deutschen Fürsten leinen
einzigen, der aus Bundestreue seine eigne Stellung ernstlich aufs Spiel gesetzt
haben würde. Der etwaige Kampf sich widersprechender Pflichten würde nicht
lange gewährt haben, da jeder dieser kleinen Potentaten samt seinen Räten ganz
ehrlich der Meinung war, daß die Verpflichtungen gegen seine Dynastie, dann
die gegen seine Unterthanen viel dringender seien als die gegen den Bund.
Dieser selbst hatte niemals eine andre Auffassung von seiner Bestimmung gehabt,
als die, daß er sich in festem Bündnisse mit Österreich, Preußen und Nußland
gegen Augriffe Frankreichs oder gegen innere Gegner zu verteidigen habe. So
lange er sicher war, die drei östlichen Großmächte als Deckung hinter sich zu
haben, konnte er auf Haltbarkeit rechnen. Sobald aber Rußland aus solchem
Zusammenhange schied, ohne daß Frankreich sich ihm anschloß — was nach dem
Krimkriege eingetreten war —, verlor die Bundesakte jeden Halt und Wert.
Wurde Deutschland von Frankreich und Rußland zugleich bedroht, so hätten
Preußen und Österreich so fest zusammenhalten mögen, als nur denkbar war,
sie Hütten doch nur diejenigen Buudesstciaten in ihrem Lager gesehen, welche
sie dazu zwingen konnten, oder welche außer Stande waren, mit den Gegnern
ein vorteilhaftes Abkommen zu treffen. Es wäre somit ein verhängnisvoller
Irrtum gewesen, wenn Preußen seiner Politik für die Zuknifft die Annahme
zu Grunde gelegt hätte, daß die Mittel- und Kleinstaaten die Bundesverträge
unter allen Umständen halten würden, und daß es in dem Falle eines Krieges
mit Frankreich, in welchem Österreich und Rußland nicht an seiner Seite wären,
auf erheblichen Beistand von Bundestruppen hoffen dürfte. Vielmehr war mit
Sicherheit anzunehmen, daß ein Bündnis Frankreichs mit Rußland oder mit
Österreich den Bund im Kriegsfalle ohne weiteres sprengen würde.

Die österreichische Regierung verfolgte in Deutschland nur den einen Zweck,
die Verfügung über die Gesamtkraft des Bundes für ihre auswärtige Politik
und für die Kräftigung ihrer Finanzen, sowie für die Förderung ihrer Wer¬
ke hrsinteresseu zu erlangen, für letztere aber den Zollverein in die Hand zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/67>, abgerufen am 25.08.2024.