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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Das kleine Lues des Herrn von Lismarck.

Buch" genannt (sie nimmt nicht weniger als 26 Druckseiten ein), gehört zu
dem inhaltreichsten und wertvollsten, was Bismarck an seine Regierung von
Frankfurt aus geschrieben hat. Aus dem März 1838 stammend, vom Heraus¬
geber aber an den Schluß der Sammlung gestellt, ist sie gleichsam der Edelstein
im Ringe.

Die Gegenstande, durch die Bismarck in den Jahren 1856 bis 1359 am
meisten beschäftigt wurde, waren die schweizerische Frage, die sich um die Be¬
freiung der Royalisten drehte, welche bei dem Neuenburger Pulses unterlegen
waren und von den Behörden der Schweiz gefangen gehalten wurden, die Hol-
stein-Lauenburgische Verfassung, der Vorschlag Bensts, der eine Abänderung der
Bundesverfassung bezweckte, und der Ausbau sowie die Besetzung der Bnndes-
festungen, über welche in Frankfurt mit verdrießlichster Weitläufigkeit und allen
möglichen Ränken verhandelt wurde. Denn die Zeiten hatten sich seit dem Krim¬
kriege wesentlich anders gestaltet. Die Minister der Kleinstaaten und die Ge¬
sandten der letzter" beim Bunde nahmen jetzt eine abwehrende, ja auf Angriff
gerichtete Stellung zu Preußen ein, unter dessen Fittichen sie während jenes
Konflikts wiederholt Schutz gegen Österreichs Ansprüche gesucht hatten. Die
Periode der orientalischen Wirren, in welcher die Mehrheit der deutschen Staaten
in deren eignem Interesse sich in einem gewissen Zusammenhange mit der preu¬
ßischen Politik gehalten hatte, war geeignet gewesen, die Täuschung hervorzu¬
rufen, daß die Gemeinsamkeit der rein deutschen Interessen ein natürliches Band
bilde. Daß dieses nur ein lockeres war, wußte man in Berlin, und jetzt be¬
stätigte sich dies, indem die Mittelstaaten die Mißachtung der Stellung, zu der
Preußen berechtigt war, soweit trieben, daß man ihm selbst wenigbedeuteude
Zugeständnisse verweigerte.

Im Vergleich mit frühern Verhandlungen des Bnndesansschusses über
Fragen der europäischen Politik und im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die
man in Wien, München und Dresden anfänglich zu macheu geneigt schien, war
die rasche Erledigung des preußischen Antrages in der Neuenburger Angelegen¬
heit anscheinend ein günstiges Zeichen. Näher betrachtet aber war sie der
Meinung zuzuschreiben, daß sich die Beziehungen Preußens zu Frankreich in
der damaligen Zeit freundlicher gestaltet hätten. Die Bundesverfassung an sich
und besonders die Richtung, nach welcher Österreich und die Mittclstaate" sie
auszubilden bestrebt waren, bot Preußen kein Mittel, seinen Einfluß in Deutsch¬
land über das Maß der ihm zustehenden einen Stimme unter siebzehn zu ver¬
mehren. Hätte mau von auswärtigen Beziehungen in der deutschen Politik
absehe" können, so würden die Gründe, welche die Bundesgenossen Preußens
zum Widerstände gegen dasselbe zu haben glaubten, Preußen ohne Zweifel in
allen Stücken in den Zustand einer Minderheit am Bunde versetzt, und das Be¬
streben, die Befugnis der Mehrheit zu erweitern, würde bald Erfolge zu ver¬
zeichnen gehabt haben. Sobald aber die auswärtigen Verhältnisse sich in einer


Das kleine Lues des Herrn von Lismarck.

Buch" genannt (sie nimmt nicht weniger als 26 Druckseiten ein), gehört zu
dem inhaltreichsten und wertvollsten, was Bismarck an seine Regierung von
Frankfurt aus geschrieben hat. Aus dem März 1838 stammend, vom Heraus¬
geber aber an den Schluß der Sammlung gestellt, ist sie gleichsam der Edelstein
im Ringe.

Die Gegenstande, durch die Bismarck in den Jahren 1856 bis 1359 am
meisten beschäftigt wurde, waren die schweizerische Frage, die sich um die Be¬
freiung der Royalisten drehte, welche bei dem Neuenburger Pulses unterlegen
waren und von den Behörden der Schweiz gefangen gehalten wurden, die Hol-
stein-Lauenburgische Verfassung, der Vorschlag Bensts, der eine Abänderung der
Bundesverfassung bezweckte, und der Ausbau sowie die Besetzung der Bnndes-
festungen, über welche in Frankfurt mit verdrießlichster Weitläufigkeit und allen
möglichen Ränken verhandelt wurde. Denn die Zeiten hatten sich seit dem Krim¬
kriege wesentlich anders gestaltet. Die Minister der Kleinstaaten und die Ge¬
sandten der letzter» beim Bunde nahmen jetzt eine abwehrende, ja auf Angriff
gerichtete Stellung zu Preußen ein, unter dessen Fittichen sie während jenes
Konflikts wiederholt Schutz gegen Österreichs Ansprüche gesucht hatten. Die
Periode der orientalischen Wirren, in welcher die Mehrheit der deutschen Staaten
in deren eignem Interesse sich in einem gewissen Zusammenhange mit der preu¬
ßischen Politik gehalten hatte, war geeignet gewesen, die Täuschung hervorzu¬
rufen, daß die Gemeinsamkeit der rein deutschen Interessen ein natürliches Band
bilde. Daß dieses nur ein lockeres war, wußte man in Berlin, und jetzt be¬
stätigte sich dies, indem die Mittelstaaten die Mißachtung der Stellung, zu der
Preußen berechtigt war, soweit trieben, daß man ihm selbst wenigbedeuteude
Zugeständnisse verweigerte.

Im Vergleich mit frühern Verhandlungen des Bnndesansschusses über
Fragen der europäischen Politik und im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die
man in Wien, München und Dresden anfänglich zu macheu geneigt schien, war
die rasche Erledigung des preußischen Antrages in der Neuenburger Angelegen¬
heit anscheinend ein günstiges Zeichen. Näher betrachtet aber war sie der
Meinung zuzuschreiben, daß sich die Beziehungen Preußens zu Frankreich in
der damaligen Zeit freundlicher gestaltet hätten. Die Bundesverfassung an sich
und besonders die Richtung, nach welcher Österreich und die Mittclstaate» sie
auszubilden bestrebt waren, bot Preußen kein Mittel, seinen Einfluß in Deutsch¬
land über das Maß der ihm zustehenden einen Stimme unter siebzehn zu ver¬
mehren. Hätte mau von auswärtigen Beziehungen in der deutschen Politik
absehe» können, so würden die Gründe, welche die Bundesgenossen Preußens
zum Widerstände gegen dasselbe zu haben glaubten, Preußen ohne Zweifel in
allen Stücken in den Zustand einer Minderheit am Bunde versetzt, und das Be¬
streben, die Befugnis der Mehrheit zu erweitern, würde bald Erfolge zu ver¬
zeichnen gehabt haben. Sobald aber die auswärtigen Verhältnisse sich in einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/66>, abgerufen am 23.07.2024.