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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altmschwerdt.

beschäftigte, als er noch einmal durch das Hereinkommen der Magd gestört
wurde, welche ihm meldete, daß ihn eine feine Dame, wie sie sich ausdrückte,
zu sprechen wünsche.

Unwillkürlich durchzuckte ihn bei dieser Ankündigung die Vermutung, daß
es jene Dame sein müsse, deren werkthätige Liebe für die Armen einen so ganz
besondern Einfluß auf ihn ausübte, und deren reizende Gestalt sich nur zu deutlich
seinem Herzen eingeprägt hatte. Er fuhr in die Höhe, bestürzt an sich selbst
heruntersehend und in der Überlegung, ob er die Zeit haben werde, seinen mit
Tinte befleckten Schlafrock gegen ein passenderes Kleidungsstück zu vertauschen,
als bereits die Dame in das Zimmer trat und ihm entgegenkam. Aber mit
einer gewissen Beschämung über die schüchtern gehegte Erwartung, es werde das
Fräulein von Sextus sein, erblickte er ein ihm ganz fremdes Gesicht vor sich.
Dunkle, funkelnde Augen unter schön geschwungenen Brauen, ein scharf ge¬
schnittenes Gesicht mit stolzer Nase und von blühenden Farben sahen ihm ent¬
gegen, und die Haltung der Dame, ihr leise rauschender, elegant gearbeiteter
Anzug von schwarzer Seide, ihr Hut von ganz besondrer Form, alles zeigte
dem Geistlichen, obwohl er nicht eben weltkundig war, deutlich die Dame aus
der guten Gesellschaft.

Sie kam mit liebenswürdiger Gewandtheit und Offenheit lächelnd auf ihn
zu, indem sie ihren Besuch mit dem hohen Interesse entschuldigte, das seine
Predigten ihr eingeflößt hätten, und ihn bat, nur für kurze Minuten seine
Aufmerksamkeit einem Anliegen christlicher Natur ihrerseits zu schenken. Sie
kam seiner Verlegenheit und Unbeholfenheit sehr geschickt zu Hilfe, indem sich
unter ihren Händen fast wie von selbst zwei Sitze zurecht fanden, auf deren
einem sie, den Rücken nach dem Licht gewandt, sich niederließ, während sie ihn
auf dem andern sich zu setzen nötigte. Aber den Kindern gleich, die mit un¬
verfälschten Instinkt die guten von den bösen Personen zu unterscheiden wissen,
fühlte das einfache ehrliche und ideal gestimmte Gemüt des Geistlichen eine un¬
behagliche Luft durch diesen Raum wehen, der, wenn auch nicht von den Grazien
der Häuslichkeit, so doch von den Heroen des Geistes geweiht war.

Ich bin die Gräfin von Altmschwerdt, sagte die Dame, sich ihm vorstellend.
Und dann erzählte sie ihm, daß sie im benachbarten Fischbeck zur Kur sei und
zu ihrer geistlichen Erbauung Sonntags nach Scholldorf zu kommen pflege, wo
sie zur wahren Freude ihres Herzens einen echten und wahren Verkündiger der
reinen Lehre gefunden habe.

Der Pfarrer war nicht ganz unempfindlich für diese Schmeichelei, und der
erste Eindruck, den die Dame auf ihn gemacht hatte, verschwand allmählich unter
der Meinung, daß es nicht richtig sei, vorschnell über einen Menschen zu urteilen.
Doch war es ihm rätselhaft, daß er noch nie etwas von der Dame in der kleinen
Kirche bemerkt hatte und daß ihm auch weder der Küster noch sonst ein Ge¬
meindemitglied etwas darüber gesagt hatte, während doch eine so glänzende Er-


Die Grafen von Altmschwerdt.

beschäftigte, als er noch einmal durch das Hereinkommen der Magd gestört
wurde, welche ihm meldete, daß ihn eine feine Dame, wie sie sich ausdrückte,
zu sprechen wünsche.

Unwillkürlich durchzuckte ihn bei dieser Ankündigung die Vermutung, daß
es jene Dame sein müsse, deren werkthätige Liebe für die Armen einen so ganz
besondern Einfluß auf ihn ausübte, und deren reizende Gestalt sich nur zu deutlich
seinem Herzen eingeprägt hatte. Er fuhr in die Höhe, bestürzt an sich selbst
heruntersehend und in der Überlegung, ob er die Zeit haben werde, seinen mit
Tinte befleckten Schlafrock gegen ein passenderes Kleidungsstück zu vertauschen,
als bereits die Dame in das Zimmer trat und ihm entgegenkam. Aber mit
einer gewissen Beschämung über die schüchtern gehegte Erwartung, es werde das
Fräulein von Sextus sein, erblickte er ein ihm ganz fremdes Gesicht vor sich.
Dunkle, funkelnde Augen unter schön geschwungenen Brauen, ein scharf ge¬
schnittenes Gesicht mit stolzer Nase und von blühenden Farben sahen ihm ent¬
gegen, und die Haltung der Dame, ihr leise rauschender, elegant gearbeiteter
Anzug von schwarzer Seide, ihr Hut von ganz besondrer Form, alles zeigte
dem Geistlichen, obwohl er nicht eben weltkundig war, deutlich die Dame aus
der guten Gesellschaft.

Sie kam mit liebenswürdiger Gewandtheit und Offenheit lächelnd auf ihn
zu, indem sie ihren Besuch mit dem hohen Interesse entschuldigte, das seine
Predigten ihr eingeflößt hätten, und ihn bat, nur für kurze Minuten seine
Aufmerksamkeit einem Anliegen christlicher Natur ihrerseits zu schenken. Sie
kam seiner Verlegenheit und Unbeholfenheit sehr geschickt zu Hilfe, indem sich
unter ihren Händen fast wie von selbst zwei Sitze zurecht fanden, auf deren
einem sie, den Rücken nach dem Licht gewandt, sich niederließ, während sie ihn
auf dem andern sich zu setzen nötigte. Aber den Kindern gleich, die mit un¬
verfälschten Instinkt die guten von den bösen Personen zu unterscheiden wissen,
fühlte das einfache ehrliche und ideal gestimmte Gemüt des Geistlichen eine un¬
behagliche Luft durch diesen Raum wehen, der, wenn auch nicht von den Grazien
der Häuslichkeit, so doch von den Heroen des Geistes geweiht war.

Ich bin die Gräfin von Altmschwerdt, sagte die Dame, sich ihm vorstellend.
Und dann erzählte sie ihm, daß sie im benachbarten Fischbeck zur Kur sei und
zu ihrer geistlichen Erbauung Sonntags nach Scholldorf zu kommen pflege, wo
sie zur wahren Freude ihres Herzens einen echten und wahren Verkündiger der
reinen Lehre gefunden habe.

Der Pfarrer war nicht ganz unempfindlich für diese Schmeichelei, und der
erste Eindruck, den die Dame auf ihn gemacht hatte, verschwand allmählich unter
der Meinung, daß es nicht richtig sei, vorschnell über einen Menschen zu urteilen.
Doch war es ihm rätselhaft, daß er noch nie etwas von der Dame in der kleinen
Kirche bemerkt hatte und daß ihm auch weder der Küster noch sonst ein Ge¬
meindemitglied etwas darüber gesagt hatte, während doch eine so glänzende Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/659>, abgerufen am 23.07.2024.