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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerbt,

stehen, die Empfindung hätte, in der die Liebe für das Göttliche lebendig wäre,
und die den Worten ihres Lehrers mit Verständnis lauschte!

Sein Blick irrte unter den Bäumen und Sträuchern von kümmerlichem
Wachstum und schlechter Pflege umher, die er durch das niedrig gelegene Fenster
auf dem kleinen Grundstück der Pfarrei übersehen konnte, und kehrte dann zu
dem Tische zurück, indem er von einem farbig ausgeführten Plane angezogen
wurde, der mit kleinen Nägeln an der Schrankthür angeheftet war. Es war
der Plan zu Dorotheeus Kolonie, und ein schwärmerisches Licht entzündete sich
in den Augen des Geistlichen, als er dies Blatt Papier betrachtete,

ZuHörerinnen, wie diese da, dachte er, ihnen das Evangelium zu predigen,
müßte eine Lust sein, ihnen, denen die heilige Flamme der christlichen Wahrheit
im Herzen brennt!

Tief versunken in seine weitab schwärmenden Ideen, die ihn von der lastenden
Alltäglichkeit der Gegenwart hinwegführten, achtete er kaum darauf, daß ein
Frauenzimmer von nicht sehr sauberem Aussehen in das Studirzimmer trat
und unter dem Vorwande des Abstäubens mit einem Wischtuch über die be¬
scheidnen Möbel von polirtem gelblichem Holze hinwegfuhr, wobei sie mehr
Geräusch machte und mehr Ungeschicklichkeit entwickelte, als die sechs Stühle,
das Sopha und zwei große Bücherregale notwendig erscheinen ließen. Erst als
diese Magd, der die Sorge für das leibliche Wohl des Pfarrers anvertraut
war, zwei schwere Bücher laut schallend zu Boden warf, die auf einem der
Stühle in seiner Nähe lagen, wandte er sich mit einer unmutigen Bewegung
zur Seite.

Ich dächte, meine Liebe, sagte er, Sie könnten mit etwas mehr Rücksicht
verfahren. Und überhaupt habe ich, wie mir däucht, schon einigemale den Wunsch
geäußert, daß diese Reinigung des Zimmers während meiner Abwesenheit ge- -
Seschen solle.

Die Magd war von derber Beschaffenheit und zeigte im allgemeinen wenig
Verständnis für die Worte des Pfarrers. Sie hatte eine Neigung, seine Er¬
mahnungen übelzunehmen, während ihr die gelegentlichen Püffe und Fußtritte
ihres frühern Herrn, eines Ökonomen, als etwas den Verhältnissen entsprechendes
nicht aufgefallen waren. Sie schielte noch einmal nach dem Tische hin, auf
welchem seit mehreren Stunden das Frühstück unberührt stand, und schlug dann
im Hinausgehen die Thür hinter sich zu. Bei aller Achtung vor der geistlichen
Würde konnte sie sich zweifelhafter Gedanken über die Zurechnungsfähigkeit eines
Herrn nicht enthalten, der sein Essen über seinen Büchern vergaß.

Dem Pfarrer entging die üble Laune des Frauenzimmers nicht, und er
ward unangenehm dadurch berührt. Sollte ich etwa zu hart mit diesem Mädchen
verfahren, fragte er sich, daß sie sich so wenig in meine Wünsche schicken mag?
Dann vertiefte er sich wieder in seine Arbeit und steckte eben tief in Baurs
Werke über den großen Apostel, dessen zweiter Brief an die Thessalonicher ihn


Die Grafen von Altenschwerbt,

stehen, die Empfindung hätte, in der die Liebe für das Göttliche lebendig wäre,
und die den Worten ihres Lehrers mit Verständnis lauschte!

Sein Blick irrte unter den Bäumen und Sträuchern von kümmerlichem
Wachstum und schlechter Pflege umher, die er durch das niedrig gelegene Fenster
auf dem kleinen Grundstück der Pfarrei übersehen konnte, und kehrte dann zu
dem Tische zurück, indem er von einem farbig ausgeführten Plane angezogen
wurde, der mit kleinen Nägeln an der Schrankthür angeheftet war. Es war
der Plan zu Dorotheeus Kolonie, und ein schwärmerisches Licht entzündete sich
in den Augen des Geistlichen, als er dies Blatt Papier betrachtete,

ZuHörerinnen, wie diese da, dachte er, ihnen das Evangelium zu predigen,
müßte eine Lust sein, ihnen, denen die heilige Flamme der christlichen Wahrheit
im Herzen brennt!

Tief versunken in seine weitab schwärmenden Ideen, die ihn von der lastenden
Alltäglichkeit der Gegenwart hinwegführten, achtete er kaum darauf, daß ein
Frauenzimmer von nicht sehr sauberem Aussehen in das Studirzimmer trat
und unter dem Vorwande des Abstäubens mit einem Wischtuch über die be¬
scheidnen Möbel von polirtem gelblichem Holze hinwegfuhr, wobei sie mehr
Geräusch machte und mehr Ungeschicklichkeit entwickelte, als die sechs Stühle,
das Sopha und zwei große Bücherregale notwendig erscheinen ließen. Erst als
diese Magd, der die Sorge für das leibliche Wohl des Pfarrers anvertraut
war, zwei schwere Bücher laut schallend zu Boden warf, die auf einem der
Stühle in seiner Nähe lagen, wandte er sich mit einer unmutigen Bewegung
zur Seite.

Ich dächte, meine Liebe, sagte er, Sie könnten mit etwas mehr Rücksicht
verfahren. Und überhaupt habe ich, wie mir däucht, schon einigemale den Wunsch
geäußert, daß diese Reinigung des Zimmers während meiner Abwesenheit ge- -
Seschen solle.

Die Magd war von derber Beschaffenheit und zeigte im allgemeinen wenig
Verständnis für die Worte des Pfarrers. Sie hatte eine Neigung, seine Er¬
mahnungen übelzunehmen, während ihr die gelegentlichen Püffe und Fußtritte
ihres frühern Herrn, eines Ökonomen, als etwas den Verhältnissen entsprechendes
nicht aufgefallen waren. Sie schielte noch einmal nach dem Tische hin, auf
welchem seit mehreren Stunden das Frühstück unberührt stand, und schlug dann
im Hinausgehen die Thür hinter sich zu. Bei aller Achtung vor der geistlichen
Würde konnte sie sich zweifelhafter Gedanken über die Zurechnungsfähigkeit eines
Herrn nicht enthalten, der sein Essen über seinen Büchern vergaß.

Dem Pfarrer entging die üble Laune des Frauenzimmers nicht, und er
ward unangenehm dadurch berührt. Sollte ich etwa zu hart mit diesem Mädchen
verfahren, fragte er sich, daß sie sich so wenig in meine Wünsche schicken mag?
Dann vertiefte er sich wieder in seine Arbeit und steckte eben tief in Baurs
Werke über den großen Apostel, dessen zweiter Brief an die Thessalonicher ihn


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[0658] Die Grafen von Altenschwerbt, stehen, die Empfindung hätte, in der die Liebe für das Göttliche lebendig wäre, und die den Worten ihres Lehrers mit Verständnis lauschte! Sein Blick irrte unter den Bäumen und Sträuchern von kümmerlichem Wachstum und schlechter Pflege umher, die er durch das niedrig gelegene Fenster auf dem kleinen Grundstück der Pfarrei übersehen konnte, und kehrte dann zu dem Tische zurück, indem er von einem farbig ausgeführten Plane angezogen wurde, der mit kleinen Nägeln an der Schrankthür angeheftet war. Es war der Plan zu Dorotheeus Kolonie, und ein schwärmerisches Licht entzündete sich in den Augen des Geistlichen, als er dies Blatt Papier betrachtete, ZuHörerinnen, wie diese da, dachte er, ihnen das Evangelium zu predigen, müßte eine Lust sein, ihnen, denen die heilige Flamme der christlichen Wahrheit im Herzen brennt! Tief versunken in seine weitab schwärmenden Ideen, die ihn von der lastenden Alltäglichkeit der Gegenwart hinwegführten, achtete er kaum darauf, daß ein Frauenzimmer von nicht sehr sauberem Aussehen in das Studirzimmer trat und unter dem Vorwande des Abstäubens mit einem Wischtuch über die be¬ scheidnen Möbel von polirtem gelblichem Holze hinwegfuhr, wobei sie mehr Geräusch machte und mehr Ungeschicklichkeit entwickelte, als die sechs Stühle, das Sopha und zwei große Bücherregale notwendig erscheinen ließen. Erst als diese Magd, der die Sorge für das leibliche Wohl des Pfarrers anvertraut war, zwei schwere Bücher laut schallend zu Boden warf, die auf einem der Stühle in seiner Nähe lagen, wandte er sich mit einer unmutigen Bewegung zur Seite. Ich dächte, meine Liebe, sagte er, Sie könnten mit etwas mehr Rücksicht verfahren. Und überhaupt habe ich, wie mir däucht, schon einigemale den Wunsch geäußert, daß diese Reinigung des Zimmers während meiner Abwesenheit ge- - Seschen solle. Die Magd war von derber Beschaffenheit und zeigte im allgemeinen wenig Verständnis für die Worte des Pfarrers. Sie hatte eine Neigung, seine Er¬ mahnungen übelzunehmen, während ihr die gelegentlichen Püffe und Fußtritte ihres frühern Herrn, eines Ökonomen, als etwas den Verhältnissen entsprechendes nicht aufgefallen waren. Sie schielte noch einmal nach dem Tische hin, auf welchem seit mehreren Stunden das Frühstück unberührt stand, und schlug dann im Hinausgehen die Thür hinter sich zu. Bei aller Achtung vor der geistlichen Würde konnte sie sich zweifelhafter Gedanken über die Zurechnungsfähigkeit eines Herrn nicht enthalten, der sein Essen über seinen Büchern vergaß. Dem Pfarrer entging die üble Laune des Frauenzimmers nicht, und er ward unangenehm dadurch berührt. Sollte ich etwa zu hart mit diesem Mädchen verfahren, fragte er sich, daß sie sich so wenig in meine Wünsche schicken mag? Dann vertiefte er sich wieder in seine Arbeit und steckte eben tief in Baurs Werke über den großen Apostel, dessen zweiter Brief an die Thessalonicher ihn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/658>, abgerufen am 23.07.2024.