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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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"österreichisches.

Verdächtigung. Felouie, Korruption, Verschwendung des Staatsvermögeus,
Bedrückung, Reaktion schleudert man sich gegenseitig ins Gesicht, und das Fazit
ist, daß die Mehrheit mehr oder minder unumwunden ausspricht: Was ihr
früher gethan habt, als ihr die Macht besaßet, das thun wir jetzt, wo wir sie
haben, und wir werden das äußerste aufbieten, um euch nicht wieder zur
Macht gelange" zu lassen, den" wir wissen, das; ihr sie gebrauchen würdet wie
früher. Könnte man sie in dem letztern Punkt nur Lügner heißen! Aber die
Liberalen wollen in der That nichts lernen. Mit allen parlamentarischen und
publizistischen Mitteln haben sie vor vier Jahren das Zustandekommen eines
liberalen und deutschfeindlichen Ministeriums verhindert, dann den Grafen Taasfe
genötigt, sich auf die Rechte zu stützen, und so geraten sie heute wieder in die
blinde Wut gegen eine kleine Gruppe von Abgeordneten, welche vermitteln, eine
Ausgleichung der Gegensätze versuchen möchten. Und doch könnte durch diese
Fraktion allein die Linke aus der hoffnungslosen Lage errettet werden, da das
eine, was allerdings von rechtswegen geschehen sollte, vorderhand aus taktischen
Gründen unterbleiben wird: eine völlige Sonderstellung Galiziens.

Das jetzige Verhältnis dieses Landes zum Reiche ist wirklich ein so eigen--
tümliches, daß man nicht faßt, wie es Dauer haben solle. Nicht viel, nur die
äußere Form mangelt noch, und Galizien würde das dritte Glied einer Trias
sein; doch dieser Mangel wird durch Vorteile aufgewogen, auf welche die Polen
nicht werden verzichten wollen: die Überschüsse der deutschen Kronländer müssen
den Haushalt Galiziens bestreikn, dabei üben die Polen in allen gemeinsamen
Angelegenheiten einen maßgebenden Einfluß aus, setzen durch, was die Tschechen
und die Ultramontanen wünschen, und erwirken schließlich, daß die Gesetze,
welche sie den andern aufgezwungen haben, für Galizien keine Giltigkeit haben.
Weshalb sollten sie eine so beispiellos vorteilhafte Position freiwillig aufgeben,
und wie sollte" ihre Bundesgenossen in eine Änderung willigen, welche eine
Verschiebung der Machtverhältnisse zur Folge haben würde? Aber wohin soll alles
dies führen?

Vorläufig sehen wir eine deutliche Wirkung der polnischen Präponderanz
in Österreich: allen übrigen Polen schwillt der Kamm, und das mag unerfreulich
sein, begreiflich ist es gewiß.




«österreichisches.

Verdächtigung. Felouie, Korruption, Verschwendung des Staatsvermögeus,
Bedrückung, Reaktion schleudert man sich gegenseitig ins Gesicht, und das Fazit
ist, daß die Mehrheit mehr oder minder unumwunden ausspricht: Was ihr
früher gethan habt, als ihr die Macht besaßet, das thun wir jetzt, wo wir sie
haben, und wir werden das äußerste aufbieten, um euch nicht wieder zur
Macht gelange» zu lassen, den» wir wissen, das; ihr sie gebrauchen würdet wie
früher. Könnte man sie in dem letztern Punkt nur Lügner heißen! Aber die
Liberalen wollen in der That nichts lernen. Mit allen parlamentarischen und
publizistischen Mitteln haben sie vor vier Jahren das Zustandekommen eines
liberalen und deutschfeindlichen Ministeriums verhindert, dann den Grafen Taasfe
genötigt, sich auf die Rechte zu stützen, und so geraten sie heute wieder in die
blinde Wut gegen eine kleine Gruppe von Abgeordneten, welche vermitteln, eine
Ausgleichung der Gegensätze versuchen möchten. Und doch könnte durch diese
Fraktion allein die Linke aus der hoffnungslosen Lage errettet werden, da das
eine, was allerdings von rechtswegen geschehen sollte, vorderhand aus taktischen
Gründen unterbleiben wird: eine völlige Sonderstellung Galiziens.

Das jetzige Verhältnis dieses Landes zum Reiche ist wirklich ein so eigen--
tümliches, daß man nicht faßt, wie es Dauer haben solle. Nicht viel, nur die
äußere Form mangelt noch, und Galizien würde das dritte Glied einer Trias
sein; doch dieser Mangel wird durch Vorteile aufgewogen, auf welche die Polen
nicht werden verzichten wollen: die Überschüsse der deutschen Kronländer müssen
den Haushalt Galiziens bestreikn, dabei üben die Polen in allen gemeinsamen
Angelegenheiten einen maßgebenden Einfluß aus, setzen durch, was die Tschechen
und die Ultramontanen wünschen, und erwirken schließlich, daß die Gesetze,
welche sie den andern aufgezwungen haben, für Galizien keine Giltigkeit haben.
Weshalb sollten sie eine so beispiellos vorteilhafte Position freiwillig aufgeben,
und wie sollte» ihre Bundesgenossen in eine Änderung willigen, welche eine
Verschiebung der Machtverhältnisse zur Folge haben würde? Aber wohin soll alles
dies führen?

Vorläufig sehen wir eine deutliche Wirkung der polnischen Präponderanz
in Österreich: allen übrigen Polen schwillt der Kamm, und das mag unerfreulich
sein, begreiflich ist es gewiß.




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[0590] «österreichisches. Verdächtigung. Felouie, Korruption, Verschwendung des Staatsvermögeus, Bedrückung, Reaktion schleudert man sich gegenseitig ins Gesicht, und das Fazit ist, daß die Mehrheit mehr oder minder unumwunden ausspricht: Was ihr früher gethan habt, als ihr die Macht besaßet, das thun wir jetzt, wo wir sie haben, und wir werden das äußerste aufbieten, um euch nicht wieder zur Macht gelange» zu lassen, den» wir wissen, das; ihr sie gebrauchen würdet wie früher. Könnte man sie in dem letztern Punkt nur Lügner heißen! Aber die Liberalen wollen in der That nichts lernen. Mit allen parlamentarischen und publizistischen Mitteln haben sie vor vier Jahren das Zustandekommen eines liberalen und deutschfeindlichen Ministeriums verhindert, dann den Grafen Taasfe genötigt, sich auf die Rechte zu stützen, und so geraten sie heute wieder in die blinde Wut gegen eine kleine Gruppe von Abgeordneten, welche vermitteln, eine Ausgleichung der Gegensätze versuchen möchten. Und doch könnte durch diese Fraktion allein die Linke aus der hoffnungslosen Lage errettet werden, da das eine, was allerdings von rechtswegen geschehen sollte, vorderhand aus taktischen Gründen unterbleiben wird: eine völlige Sonderstellung Galiziens. Das jetzige Verhältnis dieses Landes zum Reiche ist wirklich ein so eigen-- tümliches, daß man nicht faßt, wie es Dauer haben solle. Nicht viel, nur die äußere Form mangelt noch, und Galizien würde das dritte Glied einer Trias sein; doch dieser Mangel wird durch Vorteile aufgewogen, auf welche die Polen nicht werden verzichten wollen: die Überschüsse der deutschen Kronländer müssen den Haushalt Galiziens bestreikn, dabei üben die Polen in allen gemeinsamen Angelegenheiten einen maßgebenden Einfluß aus, setzen durch, was die Tschechen und die Ultramontanen wünschen, und erwirken schließlich, daß die Gesetze, welche sie den andern aufgezwungen haben, für Galizien keine Giltigkeit haben. Weshalb sollten sie eine so beispiellos vorteilhafte Position freiwillig aufgeben, und wie sollte» ihre Bundesgenossen in eine Änderung willigen, welche eine Verschiebung der Machtverhältnisse zur Folge haben würde? Aber wohin soll alles dies führen? Vorläufig sehen wir eine deutliche Wirkung der polnischen Präponderanz in Österreich: allen übrigen Polen schwillt der Kamm, und das mag unerfreulich sein, begreiflich ist es gewiß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/590>, abgerufen am 03.07.2024.