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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Auswanderung des Jahres ^332

erst mit Beginn der dreißiger Jahre, Skandinavien seit Anfang der sechziger
Jahre. Seitdem liefern diese drei Länder Jahr für Jahr unter fünf Aus¬
wanderern mehr als vier. Eine eigentümliche Stellung nimmt Frankreich ein,
welches mit Deutschland zugleich als Auswanderungsstaat auftrat, aber in so
mäßigen Ziffern, daß sich die jährliche Auswanderung selten höher als auf
6000 belief. Der Franzose ist geborner Politiker, daher spielt bei ihm, wie in
keinem andern Lande, die Politik bei der Auswanderung eine bedeutende Rolle.
Die Franzosen verlassen ihr Vaterland in Menge, wenn es ihnen aus poli¬
tischen Gründen zu eng oder wenn ihnen das Verbleiben in der Heimat poli¬
tisch unmöglich wird. Nur dreimal kann man daher Auswanderungen in grö¬
ßerer Menge konstatiren: im Jahre 1847, sodann nach dem Rückgange der
achtundvierziger Republik und nach dem Staatsstreiche Louis Napoleons, endlich
zum drittenmale nach dem deutsch-französischen Kriege. Seitdem setzt sich mit
einer gewissen Monotonie die Auswanderung wieder in Ziffern von 4000 bis
5000 Köpfen fort. In ganz ähnlicher Lage befindet sich Belgien, welches schon
in den dreißiger Jahren eine Auswanderung hatte, die aber spärlich und unter¬
brochen war, bis sie in den vierziger Jahren regelmäßiger wurde, aber auch
kaum jemals die Höhe von 2000 Köpfen erreichte. Auch Spanien und Por¬
tugal, diese alten Länder der transozeanischen Eroberungen und Kolonien, haben
zwar schon zu Anfang der zwanziger Jahre eine Auswanderung gehabt, aber
in so bescheidenem Umfange, daß sie bei Portugal kaum jährlich über 100 stieg,
Spanien sich etwa um ein halbes Tausend bewegte. Hierbei ist es bis in die
neueste Zeit geblieben, und seit Mitte der siebziger Jahre fängt selbst diese
mäßige Auswanderung an zurückzugehen. Jedenfalls ist die Auswanderung aus
diesen Ländern nach Zentral- und Südamerika allezeit und auch in den letzten
Jahren eine viel bedeutendere gewesen.

Bei Österreich und Ungarn gehört die Auswanderung zu den durchaus
neuen Erscheinungen. Bis zum Jahre 1860 ist keine einzige Person ausge¬
wandert ^. Erst vom Jahre 1861 an zeigen sich die ersten unerheblichen Spuren.
In dem ganzen Jahrzehnt bis 1870 kommen aber auf Österreich durchschnitt¬
lich jährlich nicht mehr als 940, auf Ungarn sogar nur 49 Köpfe. Das be¬
deutendste Auswauderungsjahr für Ungarn war das Jahr 186S mit 322 Aus¬
wanderern, das bedeutendste für Österreich 1870 mit etwa 5300 Köpfen. Das
ganze zweite Jahrzehnt hindurch hielt sich Österreich auf der Höhe von 5000,
Ungarn auf der von 680 Köpfen jährlich, bis in beiden Ländern plötzlich 1880
ein überaus lebhaftes Tempo in die Auswanderung kam. In Österreich sprang
die Auswanderung 1880 auf 18252 und 1881 auf 21437 Köpfe, in Ungarn
auf 6668 und 6756. Das Jahr 1882 bezeichnet für Österreich wieder einen
Rückgang auf 12 301. Wie es mit Ungarn steht, ist noch nicht klar ersichtlich.

Dänemark, Italien, die Schweiz, Rußland, Russisch-Polen und die Nieder¬
lande haben schon seit 1820 eine Auswanderung gehabt, die bei allen, ramene-


Die Auswanderung des Jahres ^332

erst mit Beginn der dreißiger Jahre, Skandinavien seit Anfang der sechziger
Jahre. Seitdem liefern diese drei Länder Jahr für Jahr unter fünf Aus¬
wanderern mehr als vier. Eine eigentümliche Stellung nimmt Frankreich ein,
welches mit Deutschland zugleich als Auswanderungsstaat auftrat, aber in so
mäßigen Ziffern, daß sich die jährliche Auswanderung selten höher als auf
6000 belief. Der Franzose ist geborner Politiker, daher spielt bei ihm, wie in
keinem andern Lande, die Politik bei der Auswanderung eine bedeutende Rolle.
Die Franzosen verlassen ihr Vaterland in Menge, wenn es ihnen aus poli¬
tischen Gründen zu eng oder wenn ihnen das Verbleiben in der Heimat poli¬
tisch unmöglich wird. Nur dreimal kann man daher Auswanderungen in grö¬
ßerer Menge konstatiren: im Jahre 1847, sodann nach dem Rückgange der
achtundvierziger Republik und nach dem Staatsstreiche Louis Napoleons, endlich
zum drittenmale nach dem deutsch-französischen Kriege. Seitdem setzt sich mit
einer gewissen Monotonie die Auswanderung wieder in Ziffern von 4000 bis
5000 Köpfen fort. In ganz ähnlicher Lage befindet sich Belgien, welches schon
in den dreißiger Jahren eine Auswanderung hatte, die aber spärlich und unter¬
brochen war, bis sie in den vierziger Jahren regelmäßiger wurde, aber auch
kaum jemals die Höhe von 2000 Köpfen erreichte. Auch Spanien und Por¬
tugal, diese alten Länder der transozeanischen Eroberungen und Kolonien, haben
zwar schon zu Anfang der zwanziger Jahre eine Auswanderung gehabt, aber
in so bescheidenem Umfange, daß sie bei Portugal kaum jährlich über 100 stieg,
Spanien sich etwa um ein halbes Tausend bewegte. Hierbei ist es bis in die
neueste Zeit geblieben, und seit Mitte der siebziger Jahre fängt selbst diese
mäßige Auswanderung an zurückzugehen. Jedenfalls ist die Auswanderung aus
diesen Ländern nach Zentral- und Südamerika allezeit und auch in den letzten
Jahren eine viel bedeutendere gewesen.

Bei Österreich und Ungarn gehört die Auswanderung zu den durchaus
neuen Erscheinungen. Bis zum Jahre 1860 ist keine einzige Person ausge¬
wandert ^. Erst vom Jahre 1861 an zeigen sich die ersten unerheblichen Spuren.
In dem ganzen Jahrzehnt bis 1870 kommen aber auf Österreich durchschnitt¬
lich jährlich nicht mehr als 940, auf Ungarn sogar nur 49 Köpfe. Das be¬
deutendste Auswauderungsjahr für Ungarn war das Jahr 186S mit 322 Aus¬
wanderern, das bedeutendste für Österreich 1870 mit etwa 5300 Köpfen. Das
ganze zweite Jahrzehnt hindurch hielt sich Österreich auf der Höhe von 5000,
Ungarn auf der von 680 Köpfen jährlich, bis in beiden Ländern plötzlich 1880
ein überaus lebhaftes Tempo in die Auswanderung kam. In Österreich sprang
die Auswanderung 1880 auf 18252 und 1881 auf 21437 Köpfe, in Ungarn
auf 6668 und 6756. Das Jahr 1882 bezeichnet für Österreich wieder einen
Rückgang auf 12 301. Wie es mit Ungarn steht, ist noch nicht klar ersichtlich.

Dänemark, Italien, die Schweiz, Rußland, Russisch-Polen und die Nieder¬
lande haben schon seit 1820 eine Auswanderung gehabt, die bei allen, ramene-


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[0564] Die Auswanderung des Jahres ^332 erst mit Beginn der dreißiger Jahre, Skandinavien seit Anfang der sechziger Jahre. Seitdem liefern diese drei Länder Jahr für Jahr unter fünf Aus¬ wanderern mehr als vier. Eine eigentümliche Stellung nimmt Frankreich ein, welches mit Deutschland zugleich als Auswanderungsstaat auftrat, aber in so mäßigen Ziffern, daß sich die jährliche Auswanderung selten höher als auf 6000 belief. Der Franzose ist geborner Politiker, daher spielt bei ihm, wie in keinem andern Lande, die Politik bei der Auswanderung eine bedeutende Rolle. Die Franzosen verlassen ihr Vaterland in Menge, wenn es ihnen aus poli¬ tischen Gründen zu eng oder wenn ihnen das Verbleiben in der Heimat poli¬ tisch unmöglich wird. Nur dreimal kann man daher Auswanderungen in grö¬ ßerer Menge konstatiren: im Jahre 1847, sodann nach dem Rückgange der achtundvierziger Republik und nach dem Staatsstreiche Louis Napoleons, endlich zum drittenmale nach dem deutsch-französischen Kriege. Seitdem setzt sich mit einer gewissen Monotonie die Auswanderung wieder in Ziffern von 4000 bis 5000 Köpfen fort. In ganz ähnlicher Lage befindet sich Belgien, welches schon in den dreißiger Jahren eine Auswanderung hatte, die aber spärlich und unter¬ brochen war, bis sie in den vierziger Jahren regelmäßiger wurde, aber auch kaum jemals die Höhe von 2000 Köpfen erreichte. Auch Spanien und Por¬ tugal, diese alten Länder der transozeanischen Eroberungen und Kolonien, haben zwar schon zu Anfang der zwanziger Jahre eine Auswanderung gehabt, aber in so bescheidenem Umfange, daß sie bei Portugal kaum jährlich über 100 stieg, Spanien sich etwa um ein halbes Tausend bewegte. Hierbei ist es bis in die neueste Zeit geblieben, und seit Mitte der siebziger Jahre fängt selbst diese mäßige Auswanderung an zurückzugehen. Jedenfalls ist die Auswanderung aus diesen Ländern nach Zentral- und Südamerika allezeit und auch in den letzten Jahren eine viel bedeutendere gewesen. Bei Österreich und Ungarn gehört die Auswanderung zu den durchaus neuen Erscheinungen. Bis zum Jahre 1860 ist keine einzige Person ausge¬ wandert ^. Erst vom Jahre 1861 an zeigen sich die ersten unerheblichen Spuren. In dem ganzen Jahrzehnt bis 1870 kommen aber auf Österreich durchschnitt¬ lich jährlich nicht mehr als 940, auf Ungarn sogar nur 49 Köpfe. Das be¬ deutendste Auswauderungsjahr für Ungarn war das Jahr 186S mit 322 Aus¬ wanderern, das bedeutendste für Österreich 1870 mit etwa 5300 Köpfen. Das ganze zweite Jahrzehnt hindurch hielt sich Österreich auf der Höhe von 5000, Ungarn auf der von 680 Köpfen jährlich, bis in beiden Ländern plötzlich 1880 ein überaus lebhaftes Tempo in die Auswanderung kam. In Österreich sprang die Auswanderung 1880 auf 18252 und 1881 auf 21437 Köpfe, in Ungarn auf 6668 und 6756. Das Jahr 1882 bezeichnet für Österreich wieder einen Rückgang auf 12 301. Wie es mit Ungarn steht, ist noch nicht klar ersichtlich. Dänemark, Italien, die Schweiz, Rußland, Russisch-Polen und die Nieder¬ lande haben schon seit 1820 eine Auswanderung gehabt, die bei allen, ramene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/564>, abgerufen am 26.06.2024.