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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich.

ist es von großer Wichtigkeit, Europa das Schauspiel einer Regierung zu geben,
die auch über den nächsten Tag hinaus gesichert ist, das Schauspiel einer starken
Verwaltung, die Achtung genießt, das Schauspiel einer parlamentarischen Re¬
publik, die sich auf jene drei Dinge stützt, welche wesentliche Eigenschaften des
französischen Volkes sind: auf gesunden Menschenverstand, Arbeitslust und Liebe
zum Fortschritt."

Man kann aus diesen Sätzen nicht viel schließen. Aber der Ton ist in
der That friedlich, und wenn die englische Presse den neuen Minister des Aus¬
wärtigen abenteuerlustig genannt und angedeutet hat, er könne auf kriegerische Unter¬
nehmungen von Bedeutung sinnen, so teilt man in den Kreisen der deutsche"
Regierung diese Meinung nicht. Herr Challemel-Lacour mag für seine Person
recht geneigt sein, da oder dort einen Streit zu beginnen, aber die persönliche
Auffassung und Absicht eines Ministers giebt im heutigen Frankreich nicht den
Grundton für das an, was in der Praxis geschieht. Die Politik Frankreichs
ist gegenwärtig notwendig eine friedliche und wird allem Anscheine nach noch
lange eine solche bleiben. Wollte der Minister des Auswärtigen andre Wege
einschlagen, so würde er die große Mehrheit seiner Kollegen und den Präsidenten
gegen sich haben und zu Falle komme". Es würde bei einem Versuche bleiben,
die französische Politik in andre Bahnen zu lenken; denn hinter der Mehrheit
der Minister und Herrn Grevy stünde in solchem Falle nicht bloß die Mehrheit
der gesetzgebenden Gewalten, sondern die bei weitem größere Hälfte des ganzen
französischen Volkes. Das hat Gambetta erfahren, der sich doch eines bedeuten¬
deren Ansehens und Einflusses erfreute, als seine jetzt ans Ruder gelangten
Epigone". Daß Grevy durchaus friedfertig gesinnt ist, steht fest. Erst vor
wenigen Tagen äußerte der Präsident der Republik gegenüber "dem Vertreter
einer fremden Macht" (wir glauben, es war der Botschafter Österreich-Ungarns)
sich sehr entschieden dahin, zwar drängten Notwendigkeiten der innern Lage die
Regierung zu Maßregeln, welche, soweit es sich dabei um Personen handle,
ihn selbst schmerzlich berührten, aber solange er den Prüsidentenstuhl innehabe,
werde kein Ministerium, gleichviel welchen Namen es trage und wie es zusammen¬
gesetzt sei, an der auswärtigen Politik rütteln dürfen, die er als Grundlage der
Haltung Frankreichs ehrlich angenommen habe und zu jeder Zeit ehrlich zur Gel¬
tung zu bringen entschlossen sei.

So der Präsident, und wir glauben ihm und sind überzeugt, daß er auch
die Macht besitzen würde, etwaige kriegerische Velleitäten des einen oder des
andern seiner Räte schon im Anfang ihrer Verwirklichung zu vereiteln. Wir
sind aber zugleich ziemlich sicher, daß solche Velleitäten bei keinem der neuen
französischen Minister existiren, also auch bei Herrn Challemel-Lacour nicht.
Dies wird namentlich in Betreff Englands mich durch Thaisachen ausgeschlossen.
Ein Londoner Blatt hatte die Nachricht gebracht, Challemel-Lacour habe Tissot,
dem französischen Gesandten in England, Weisungen zukommen lassen, welche


Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich.

ist es von großer Wichtigkeit, Europa das Schauspiel einer Regierung zu geben,
die auch über den nächsten Tag hinaus gesichert ist, das Schauspiel einer starken
Verwaltung, die Achtung genießt, das Schauspiel einer parlamentarischen Re¬
publik, die sich auf jene drei Dinge stützt, welche wesentliche Eigenschaften des
französischen Volkes sind: auf gesunden Menschenverstand, Arbeitslust und Liebe
zum Fortschritt."

Man kann aus diesen Sätzen nicht viel schließen. Aber der Ton ist in
der That friedlich, und wenn die englische Presse den neuen Minister des Aus¬
wärtigen abenteuerlustig genannt und angedeutet hat, er könne auf kriegerische Unter¬
nehmungen von Bedeutung sinnen, so teilt man in den Kreisen der deutsche»
Regierung diese Meinung nicht. Herr Challemel-Lacour mag für seine Person
recht geneigt sein, da oder dort einen Streit zu beginnen, aber die persönliche
Auffassung und Absicht eines Ministers giebt im heutigen Frankreich nicht den
Grundton für das an, was in der Praxis geschieht. Die Politik Frankreichs
ist gegenwärtig notwendig eine friedliche und wird allem Anscheine nach noch
lange eine solche bleiben. Wollte der Minister des Auswärtigen andre Wege
einschlagen, so würde er die große Mehrheit seiner Kollegen und den Präsidenten
gegen sich haben und zu Falle komme». Es würde bei einem Versuche bleiben,
die französische Politik in andre Bahnen zu lenken; denn hinter der Mehrheit
der Minister und Herrn Grevy stünde in solchem Falle nicht bloß die Mehrheit
der gesetzgebenden Gewalten, sondern die bei weitem größere Hälfte des ganzen
französischen Volkes. Das hat Gambetta erfahren, der sich doch eines bedeuten¬
deren Ansehens und Einflusses erfreute, als seine jetzt ans Ruder gelangten
Epigone». Daß Grevy durchaus friedfertig gesinnt ist, steht fest. Erst vor
wenigen Tagen äußerte der Präsident der Republik gegenüber „dem Vertreter
einer fremden Macht" (wir glauben, es war der Botschafter Österreich-Ungarns)
sich sehr entschieden dahin, zwar drängten Notwendigkeiten der innern Lage die
Regierung zu Maßregeln, welche, soweit es sich dabei um Personen handle,
ihn selbst schmerzlich berührten, aber solange er den Prüsidentenstuhl innehabe,
werde kein Ministerium, gleichviel welchen Namen es trage und wie es zusammen¬
gesetzt sei, an der auswärtigen Politik rütteln dürfen, die er als Grundlage der
Haltung Frankreichs ehrlich angenommen habe und zu jeder Zeit ehrlich zur Gel¬
tung zu bringen entschlossen sei.

So der Präsident, und wir glauben ihm und sind überzeugt, daß er auch
die Macht besitzen würde, etwaige kriegerische Velleitäten des einen oder des
andern seiner Räte schon im Anfang ihrer Verwirklichung zu vereiteln. Wir
sind aber zugleich ziemlich sicher, daß solche Velleitäten bei keinem der neuen
französischen Minister existiren, also auch bei Herrn Challemel-Lacour nicht.
Dies wird namentlich in Betreff Englands mich durch Thaisachen ausgeschlossen.
Ein Londoner Blatt hatte die Nachricht gebracht, Challemel-Lacour habe Tissot,
dem französischen Gesandten in England, Weisungen zukommen lassen, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/560>, abgerufen am 23.07.2024.