Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altenschwerdt.

um den gnädigen Herrn überall hin zu führen, wohin dieser selbst zu gehen sich
getraue, Und bei diesen Worten blickten die grauen Augen in dem gelbbraunen,
von tausend Runzeln gefalteten Gesicht so hell und sicher, daß man darüber
wohl das schneeweiße Haar vergessen konnte. Er ging richtig voran, schnell
genug und vielleicht schneller als nötig die zahlreichen Stufen hinan, und wenn
auch droben seine Knie zitterten und sein Atem sich nur mühsam wieder ein¬
stellte, war er doch in höflicher Positur und zeigte sich bereit, Auskunft über
die Punkte zu geben, die von hier aus zu erblicken waren.

Gewiß habe ich die Ehre, von einem alten Soldaten geführt zu werden,
sagte Eberhard: lächelnd.

Der Haushofmeister versuchte sich noch gerader aufzurichten, und seiue
Augen blitzten, indem er erwiederte: Wachtmeister Dcgenhard von der ersten
Kompagnie des königlichen Regiments Gendarmes.

Regiment Gendarmes! rief Eberhard: verwundert. Das war ein altes
vornehmes Regiment.

Es hatte den zweiten Rang in der Armee und formirte im Felde mit der
Garde du Corps eine Brigade.

Das ist sehr lange her, mein Freund, sagte Eberhardt, und es werden
nicht viele Kameraden mehr ihre Knochen selbständig rühre"? können, die in der
Uniform der Gendarmes geritten sind.

Wohl keiner mehr außer mir, sagte der Alte, schwermütig den Kopf
schüttelnd. Schon im Jahre achtzehnhundertundsechs, als wir die verdammten
Windhunde von Franzosen im Lande hatten, gingen gar viele unter die Erde.
Das war eine schlimme Zeit, und damals bekam auch der selige Herr Vater
Seiner Exzellenz des Herrn Grafen seine Wunde, an der er nachmals sterben
mußte, weil ihm der Gram ins Innere schlug. Wenn doch der selige Herr
das noch hätte erleben können, daß die Geschichte so gekommen ist und die
Kerls, die uns damals wie die Heuschrecken im Lande saßen, so klein werden
sollten!

- Er schüttelte seine dürre Faust mit triumphirender Gebärde, indem die vor
mehr als sechzig Jahren erlittene Unbill wieder lebhaft vor ihm aufstieg.

Eberhardt nickte und trat an den Rand des Thurmes vor, wo er über die
steinerne Brüstung hinweg auf die Besitzung des Grafen hinabsah. Unwillkür¬
lich wandte sich sein Blick hinab auf das Haus, in welchem er Dorothea an¬
wesend wußte, und es schien ihm, als sei dies einfache Gebäude mit einem
wunderbaren und unbeschreiblichen Reiz ausgestattet, sodaß es den wichtigsten
und sehenswertesten Punkt des ganzen Landes, ja ein Stück Zauberpalast, von
dem aus Himmel und Erde ihr Licht erhielten.

Der alte Haushofmeister war indessen dnrch die Erinnerungen der alten
Zeit warm geworden, und Eberhardts freundliche Art und Weise ermutigte ihn
zu fernerem Gespräch.


Die Grafen von Altenschwerdt.

um den gnädigen Herrn überall hin zu führen, wohin dieser selbst zu gehen sich
getraue, Und bei diesen Worten blickten die grauen Augen in dem gelbbraunen,
von tausend Runzeln gefalteten Gesicht so hell und sicher, daß man darüber
wohl das schneeweiße Haar vergessen konnte. Er ging richtig voran, schnell
genug und vielleicht schneller als nötig die zahlreichen Stufen hinan, und wenn
auch droben seine Knie zitterten und sein Atem sich nur mühsam wieder ein¬
stellte, war er doch in höflicher Positur und zeigte sich bereit, Auskunft über
die Punkte zu geben, die von hier aus zu erblicken waren.

Gewiß habe ich die Ehre, von einem alten Soldaten geführt zu werden,
sagte Eberhard: lächelnd.

Der Haushofmeister versuchte sich noch gerader aufzurichten, und seiue
Augen blitzten, indem er erwiederte: Wachtmeister Dcgenhard von der ersten
Kompagnie des königlichen Regiments Gendarmes.

Regiment Gendarmes! rief Eberhard: verwundert. Das war ein altes
vornehmes Regiment.

Es hatte den zweiten Rang in der Armee und formirte im Felde mit der
Garde du Corps eine Brigade.

Das ist sehr lange her, mein Freund, sagte Eberhardt, und es werden
nicht viele Kameraden mehr ihre Knochen selbständig rühre«? können, die in der
Uniform der Gendarmes geritten sind.

Wohl keiner mehr außer mir, sagte der Alte, schwermütig den Kopf
schüttelnd. Schon im Jahre achtzehnhundertundsechs, als wir die verdammten
Windhunde von Franzosen im Lande hatten, gingen gar viele unter die Erde.
Das war eine schlimme Zeit, und damals bekam auch der selige Herr Vater
Seiner Exzellenz des Herrn Grafen seine Wunde, an der er nachmals sterben
mußte, weil ihm der Gram ins Innere schlug. Wenn doch der selige Herr
das noch hätte erleben können, daß die Geschichte so gekommen ist und die
Kerls, die uns damals wie die Heuschrecken im Lande saßen, so klein werden
sollten!

- Er schüttelte seine dürre Faust mit triumphirender Gebärde, indem die vor
mehr als sechzig Jahren erlittene Unbill wieder lebhaft vor ihm aufstieg.

Eberhardt nickte und trat an den Rand des Thurmes vor, wo er über die
steinerne Brüstung hinweg auf die Besitzung des Grafen hinabsah. Unwillkür¬
lich wandte sich sein Blick hinab auf das Haus, in welchem er Dorothea an¬
wesend wußte, und es schien ihm, als sei dies einfache Gebäude mit einem
wunderbaren und unbeschreiblichen Reiz ausgestattet, sodaß es den wichtigsten
und sehenswertesten Punkt des ganzen Landes, ja ein Stück Zauberpalast, von
dem aus Himmel und Erde ihr Licht erhielten.

Der alte Haushofmeister war indessen dnrch die Erinnerungen der alten
Zeit warm geworden, und Eberhardts freundliche Art und Weise ermutigte ihn
zu fernerem Gespräch.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152392"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwerdt.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2029" prev="#ID_2028"> um den gnädigen Herrn überall hin zu führen, wohin dieser selbst zu gehen sich<lb/>
getraue, Und bei diesen Worten blickten die grauen Augen in dem gelbbraunen,<lb/>
von tausend Runzeln gefalteten Gesicht so hell und sicher, daß man darüber<lb/>
wohl das schneeweiße Haar vergessen konnte. Er ging richtig voran, schnell<lb/>
genug und vielleicht schneller als nötig die zahlreichen Stufen hinan, und wenn<lb/>
auch droben seine Knie zitterten und sein Atem sich nur mühsam wieder ein¬<lb/>
stellte, war er doch in höflicher Positur und zeigte sich bereit, Auskunft über<lb/>
die Punkte zu geben, die von hier aus zu erblicken waren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2030"> Gewiß habe ich die Ehre, von einem alten Soldaten geführt zu werden,<lb/>
sagte Eberhard: lächelnd.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2031"> Der Haushofmeister versuchte sich noch gerader aufzurichten, und seiue<lb/>
Augen blitzten, indem er erwiederte: Wachtmeister Dcgenhard von der ersten<lb/>
Kompagnie des königlichen Regiments Gendarmes.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2032"> Regiment Gendarmes! rief Eberhard: verwundert. Das war ein altes<lb/>
vornehmes Regiment.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2033"> Es hatte den zweiten Rang in der Armee und formirte im Felde mit der<lb/>
Garde du Corps eine Brigade.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2034"> Das ist sehr lange her, mein Freund, sagte Eberhardt, und es werden<lb/>
nicht viele Kameraden mehr ihre Knochen selbständig rühre«? können, die in der<lb/>
Uniform der Gendarmes geritten sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2035"> Wohl keiner mehr außer mir, sagte der Alte, schwermütig den Kopf<lb/>
schüttelnd. Schon im Jahre achtzehnhundertundsechs, als wir die verdammten<lb/>
Windhunde von Franzosen im Lande hatten, gingen gar viele unter die Erde.<lb/>
Das war eine schlimme Zeit, und damals bekam auch der selige Herr Vater<lb/>
Seiner Exzellenz des Herrn Grafen seine Wunde, an der er nachmals sterben<lb/>
mußte, weil ihm der Gram ins Innere schlug. Wenn doch der selige Herr<lb/>
das noch hätte erleben können, daß die Geschichte so gekommen ist und die<lb/>
Kerls, die uns damals wie die Heuschrecken im Lande saßen, so klein werden<lb/>
sollten!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2036"> - Er schüttelte seine dürre Faust mit triumphirender Gebärde, indem die vor<lb/>
mehr als sechzig Jahren erlittene Unbill wieder lebhaft vor ihm aufstieg.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2037"> Eberhardt nickte und trat an den Rand des Thurmes vor, wo er über die<lb/>
steinerne Brüstung hinweg auf die Besitzung des Grafen hinabsah. Unwillkür¬<lb/>
lich wandte sich sein Blick hinab auf das Haus, in welchem er Dorothea an¬<lb/>
wesend wußte, und es schien ihm, als sei dies einfache Gebäude mit einem<lb/>
wunderbaren und unbeschreiblichen Reiz ausgestattet, sodaß es den wichtigsten<lb/>
und sehenswertesten Punkt des ganzen Landes, ja ein Stück Zauberpalast, von<lb/>
dem aus Himmel und Erde ihr Licht erhielten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2038"> Der alte Haushofmeister war indessen dnrch die Erinnerungen der alten<lb/>
Zeit warm geworden, und Eberhardts freundliche Art und Weise ermutigte ihn<lb/>
zu fernerem Gespräch.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0541] Die Grafen von Altenschwerdt. um den gnädigen Herrn überall hin zu führen, wohin dieser selbst zu gehen sich getraue, Und bei diesen Worten blickten die grauen Augen in dem gelbbraunen, von tausend Runzeln gefalteten Gesicht so hell und sicher, daß man darüber wohl das schneeweiße Haar vergessen konnte. Er ging richtig voran, schnell genug und vielleicht schneller als nötig die zahlreichen Stufen hinan, und wenn auch droben seine Knie zitterten und sein Atem sich nur mühsam wieder ein¬ stellte, war er doch in höflicher Positur und zeigte sich bereit, Auskunft über die Punkte zu geben, die von hier aus zu erblicken waren. Gewiß habe ich die Ehre, von einem alten Soldaten geführt zu werden, sagte Eberhard: lächelnd. Der Haushofmeister versuchte sich noch gerader aufzurichten, und seiue Augen blitzten, indem er erwiederte: Wachtmeister Dcgenhard von der ersten Kompagnie des königlichen Regiments Gendarmes. Regiment Gendarmes! rief Eberhard: verwundert. Das war ein altes vornehmes Regiment. Es hatte den zweiten Rang in der Armee und formirte im Felde mit der Garde du Corps eine Brigade. Das ist sehr lange her, mein Freund, sagte Eberhardt, und es werden nicht viele Kameraden mehr ihre Knochen selbständig rühre«? können, die in der Uniform der Gendarmes geritten sind. Wohl keiner mehr außer mir, sagte der Alte, schwermütig den Kopf schüttelnd. Schon im Jahre achtzehnhundertundsechs, als wir die verdammten Windhunde von Franzosen im Lande hatten, gingen gar viele unter die Erde. Das war eine schlimme Zeit, und damals bekam auch der selige Herr Vater Seiner Exzellenz des Herrn Grafen seine Wunde, an der er nachmals sterben mußte, weil ihm der Gram ins Innere schlug. Wenn doch der selige Herr das noch hätte erleben können, daß die Geschichte so gekommen ist und die Kerls, die uns damals wie die Heuschrecken im Lande saßen, so klein werden sollten! - Er schüttelte seine dürre Faust mit triumphirender Gebärde, indem die vor mehr als sechzig Jahren erlittene Unbill wieder lebhaft vor ihm aufstieg. Eberhardt nickte und trat an den Rand des Thurmes vor, wo er über die steinerne Brüstung hinweg auf die Besitzung des Grafen hinabsah. Unwillkür¬ lich wandte sich sein Blick hinab auf das Haus, in welchem er Dorothea an¬ wesend wußte, und es schien ihm, als sei dies einfache Gebäude mit einem wunderbaren und unbeschreiblichen Reiz ausgestattet, sodaß es den wichtigsten und sehenswertesten Punkt des ganzen Landes, ja ein Stück Zauberpalast, von dem aus Himmel und Erde ihr Licht erhielten. Der alte Haushofmeister war indessen dnrch die Erinnerungen der alten Zeit warm geworden, und Eberhardts freundliche Art und Weise ermutigte ihn zu fernerem Gespräch.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/541
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/541>, abgerufen am 23.07.2024.