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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Notizen wohl keinen Anspruch. Goethe ist so massenhaft komponirt worden,
daß es sich bei einer Berücksichtigung auch dieser Seite der Goethelitcratnr doch
immer nur um eine Auswahl des Bemerkenswertesten handeln kann. Als be¬
merkenswert aber erscheinen vor allem die frühesten Kompositionen, die entweder
gleichzeitig mit dem Texte oder doch sehr bald nach Veröffentlichung desselben
ins Publikum gedrungen sind und dadurch zur Verbreitung Goethes beigetragen
habe", und außerdem die schönsten von den neueren, die seit der Entstehung
des modernen musikalischen Liedes, also seit Franz Schubert, geschaffen worden
sind. Die Loeperscheu Verzeichnisse mache" etwas den Eindruck des zufällig
aufgerafften. Wir wissen nicht, ob Loeper Musikus ist und über musikalische
Kompositionen ein eignes Urteil hat. Es scheint so, da er gelegentlich einmal
ein Urteil ausspricht, wie über die Komposition des "Gvldschmiedsgescllen" von
L. Schlottmann, die er als "sehr gelungen" bezeichnet. Es scheint aber auch
wieder nicht so, denn er nennt eine Menge unbedeutendes Zeug, während
einzelnes Schöne und Charakteristische fehlt.

Was die ältern Kompositionen betrifft, so wäre es gut gewesen, wenn
unter den Liedern aus dem "Leipziger Liederbuche" jedesmal bemerkt worden
wäre: komponirt von Breitkopf (1769). Es steht zwar stets in der Rubrik
"Erste Drucke" bemerkt, daß diese Lieder zuerst im "Leipziger Liederbuche" ver¬
öffentlicht worden seien, aber der Leser, der wegen des einzelnen Liedes nach¬
schlägt, denkt doch dabei nicht immer an die Komposition. Und doch sind
unter den Breitkopfschen Liedern einzelne, die Mozarts würdig wären, so frisch
und natürlich fließt ihre Melodie. Ähnlich verhält es sich mit den Nummern aus
den Licderheften Seckendorffs, wiewohl "ach diesen heute aus musikalischen In¬
teresse niemand mehr zu fragen braucht; es sind langweilige, gespreizte Sachen,
"monoton mit großer Inbrunst" gesungen, ganz so wie Goethe in dem Gedichte
"Ilmenau" den Gesang Seckendorffs schildert. Vom "Veilchen" sind uns fünf
Kompositionen aus den Jahren 1775--1781 bekannt, die also vor der Mozartschen
(1785) entstanden sind; Loeper nennt nur eine, die von Seckendorff. Beim
"Neue" Amadis" vermissen wir die Kompositionen von Johann Philipp Schön¬
feld (1778) und von Corona Schröter (1786). Schönfeld gab 1778 ein Heft
"Lieder aus der Iris" heraus. Darin findet sich auch eine Komposition des
Liedes "An Belinden," also die zweite dieses Liedes; die erste, die von Kayser
herrührt, ist bei Loeper verzeichnet; sie erschien aber nicht erst 1777, sondern
steht bereits 1775 im Märzhefte der "Iris." Offenbar ist die Kaysersche
Komposition diejenige, in der Lili das Lied sang, als Goethe vor seinem Weg¬
gange "ach Weimar zum letztenmale des Abends vor Lilis Fenster vorbeiging.
Beiläufig: Die schöne, rührende Melodie Kaysers zu dem Liedchen aus "Erwin
und Elmire": "Ihr verblühet, süße Rosen," die sich an eine Opernarie Gretrys
anlehnt, stammt in der That, wie Loeper in seinen Anmerkungen zu "Dichtung
und Wahrheit" vermutet, aus "Zcmire und Azor," aber nicht ans einer der


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Notizen wohl keinen Anspruch. Goethe ist so massenhaft komponirt worden,
daß es sich bei einer Berücksichtigung auch dieser Seite der Goethelitcratnr doch
immer nur um eine Auswahl des Bemerkenswertesten handeln kann. Als be¬
merkenswert aber erscheinen vor allem die frühesten Kompositionen, die entweder
gleichzeitig mit dem Texte oder doch sehr bald nach Veröffentlichung desselben
ins Publikum gedrungen sind und dadurch zur Verbreitung Goethes beigetragen
habe», und außerdem die schönsten von den neueren, die seit der Entstehung
des modernen musikalischen Liedes, also seit Franz Schubert, geschaffen worden
sind. Die Loeperscheu Verzeichnisse mache» etwas den Eindruck des zufällig
aufgerafften. Wir wissen nicht, ob Loeper Musikus ist und über musikalische
Kompositionen ein eignes Urteil hat. Es scheint so, da er gelegentlich einmal
ein Urteil ausspricht, wie über die Komposition des „Gvldschmiedsgescllen" von
L. Schlottmann, die er als „sehr gelungen" bezeichnet. Es scheint aber auch
wieder nicht so, denn er nennt eine Menge unbedeutendes Zeug, während
einzelnes Schöne und Charakteristische fehlt.

Was die ältern Kompositionen betrifft, so wäre es gut gewesen, wenn
unter den Liedern aus dem „Leipziger Liederbuche" jedesmal bemerkt worden
wäre: komponirt von Breitkopf (1769). Es steht zwar stets in der Rubrik
„Erste Drucke" bemerkt, daß diese Lieder zuerst im „Leipziger Liederbuche" ver¬
öffentlicht worden seien, aber der Leser, der wegen des einzelnen Liedes nach¬
schlägt, denkt doch dabei nicht immer an die Komposition. Und doch sind
unter den Breitkopfschen Liedern einzelne, die Mozarts würdig wären, so frisch
und natürlich fließt ihre Melodie. Ähnlich verhält es sich mit den Nummern aus
den Licderheften Seckendorffs, wiewohl »ach diesen heute aus musikalischen In¬
teresse niemand mehr zu fragen braucht; es sind langweilige, gespreizte Sachen,
„monoton mit großer Inbrunst" gesungen, ganz so wie Goethe in dem Gedichte
„Ilmenau" den Gesang Seckendorffs schildert. Vom „Veilchen" sind uns fünf
Kompositionen aus den Jahren 1775—1781 bekannt, die also vor der Mozartschen
(1785) entstanden sind; Loeper nennt nur eine, die von Seckendorff. Beim
„Neue» Amadis" vermissen wir die Kompositionen von Johann Philipp Schön¬
feld (1778) und von Corona Schröter (1786). Schönfeld gab 1778 ein Heft
„Lieder aus der Iris" heraus. Darin findet sich auch eine Komposition des
Liedes „An Belinden," also die zweite dieses Liedes; die erste, die von Kayser
herrührt, ist bei Loeper verzeichnet; sie erschien aber nicht erst 1777, sondern
steht bereits 1775 im Märzhefte der „Iris." Offenbar ist die Kaysersche
Komposition diejenige, in der Lili das Lied sang, als Goethe vor seinem Weg¬
gange »ach Weimar zum letztenmale des Abends vor Lilis Fenster vorbeiging.
Beiläufig: Die schöne, rührende Melodie Kaysers zu dem Liedchen aus „Erwin
und Elmire": „Ihr verblühet, süße Rosen," die sich an eine Opernarie Gretrys
anlehnt, stammt in der That, wie Loeper in seinen Anmerkungen zu „Dichtung
und Wahrheit" vermutet, aus „Zcmire und Azor," aber nicht ans einer der


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[0523] Lin neuer Lonmwnwr zu Goethes Gedichten. Notizen wohl keinen Anspruch. Goethe ist so massenhaft komponirt worden, daß es sich bei einer Berücksichtigung auch dieser Seite der Goethelitcratnr doch immer nur um eine Auswahl des Bemerkenswertesten handeln kann. Als be¬ merkenswert aber erscheinen vor allem die frühesten Kompositionen, die entweder gleichzeitig mit dem Texte oder doch sehr bald nach Veröffentlichung desselben ins Publikum gedrungen sind und dadurch zur Verbreitung Goethes beigetragen habe», und außerdem die schönsten von den neueren, die seit der Entstehung des modernen musikalischen Liedes, also seit Franz Schubert, geschaffen worden sind. Die Loeperscheu Verzeichnisse mache» etwas den Eindruck des zufällig aufgerafften. Wir wissen nicht, ob Loeper Musikus ist und über musikalische Kompositionen ein eignes Urteil hat. Es scheint so, da er gelegentlich einmal ein Urteil ausspricht, wie über die Komposition des „Gvldschmiedsgescllen" von L. Schlottmann, die er als „sehr gelungen" bezeichnet. Es scheint aber auch wieder nicht so, denn er nennt eine Menge unbedeutendes Zeug, während einzelnes Schöne und Charakteristische fehlt. Was die ältern Kompositionen betrifft, so wäre es gut gewesen, wenn unter den Liedern aus dem „Leipziger Liederbuche" jedesmal bemerkt worden wäre: komponirt von Breitkopf (1769). Es steht zwar stets in der Rubrik „Erste Drucke" bemerkt, daß diese Lieder zuerst im „Leipziger Liederbuche" ver¬ öffentlicht worden seien, aber der Leser, der wegen des einzelnen Liedes nach¬ schlägt, denkt doch dabei nicht immer an die Komposition. Und doch sind unter den Breitkopfschen Liedern einzelne, die Mozarts würdig wären, so frisch und natürlich fließt ihre Melodie. Ähnlich verhält es sich mit den Nummern aus den Licderheften Seckendorffs, wiewohl »ach diesen heute aus musikalischen In¬ teresse niemand mehr zu fragen braucht; es sind langweilige, gespreizte Sachen, „monoton mit großer Inbrunst" gesungen, ganz so wie Goethe in dem Gedichte „Ilmenau" den Gesang Seckendorffs schildert. Vom „Veilchen" sind uns fünf Kompositionen aus den Jahren 1775—1781 bekannt, die also vor der Mozartschen (1785) entstanden sind; Loeper nennt nur eine, die von Seckendorff. Beim „Neue» Amadis" vermissen wir die Kompositionen von Johann Philipp Schön¬ feld (1778) und von Corona Schröter (1786). Schönfeld gab 1778 ein Heft „Lieder aus der Iris" heraus. Darin findet sich auch eine Komposition des Liedes „An Belinden," also die zweite dieses Liedes; die erste, die von Kayser herrührt, ist bei Loeper verzeichnet; sie erschien aber nicht erst 1777, sondern steht bereits 1775 im Märzhefte der „Iris." Offenbar ist die Kaysersche Komposition diejenige, in der Lili das Lied sang, als Goethe vor seinem Weg¬ gange »ach Weimar zum letztenmale des Abends vor Lilis Fenster vorbeiging. Beiläufig: Die schöne, rührende Melodie Kaysers zu dem Liedchen aus „Erwin und Elmire": „Ihr verblühet, süße Rosen," die sich an eine Opernarie Gretrys anlehnt, stammt in der That, wie Loeper in seinen Anmerkungen zu „Dichtung und Wahrheit" vermutet, aus „Zcmire und Azor," aber nicht ans einer der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/523>, abgerufen am 23.07.2024.