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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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keinen. Wie er sich zu den beiden Königen und der weltlichen Macht überhaupt
stellte, sehen wir am besten aus der Antwort, die er den Gesandten Philipps
gab. "Im ersten Buche Mose lesen wir, daß Melchisedek König war und Priester;
König jedoch nur einer Stadt, Priester dagegen der Gottheit. Die Priester
nahmen den Zehnten und gaben ihn nicht; sie weihten, wurden aber nicht ge¬
weiht; sie halbem, wurden aber nicht gesalbt: darum stehen sie höher als die,
welche den Zehnten geben, welche gesalbt und geweiht werde". Noch deutlicher
erklärt sich das Evangelium: auf Petrus, diesen Felsen, hat Christus seine
Kirche gegründet, ihm das Recht gegeben, auf Erde" zu lösen und zu binden.
Mithin haben die Fürsten nur Gewalt auf Erden, die Priester auch im Himmel,
jene mir über den Leib, diese auch über die Seele, jene über einzelne Land¬
schaften und Reiche, der Papst, als Stellvertreter Christi, über den Erdkreis."
Was speziell die Doppelwahl angeht, so sagt er: "Zur Abstellung so großer
Übel hätte man sich schon längst an den apostolischen Stuhl wenden sollen,
vor den diese Angelegenheit bekanntlich zuerst und zuletzt gehört: zuerst, weil
der Papst das Kaisertum vom Morgenland auf das Abendland übertrug; zu¬
letzt, weil er durch Bewilligung der Kaiserkrone allem erst Schluß und Haltung
giebt." Diese Antwort wurde im Jahre 1199 gegeben.

In Deutschland gewann in den folgenden Jahren die hohenstaufische Partei
die Oberhand. Trotz der offenbaren Unterstützung des Papstes der nicht bloß aus
allgemeiner Vorliebe für die Welsen handelte, sondern auch durch größere Fügsam¬
keit Ottos gewonnen wurde, verlor dieser immer mehr an Ansehen und würde sicher¬
lich der stetig wachsenden Macht des Gegners unterlegen sein, wenn nicht Philipp
im Juni des Jahres 1208 von Otto von Wittelsbach ermordet worden wäre.
Durch diesen für die hohenstaufische Partei unersetzlichen Verlust bekam mit
einemmale Otto die Oberhand in Deutschland. Der Papst war über die
"Fügung Gottes," die seinen Günstling so augenscheinlich hob, in hohem Maße
erfreut und stellte sich mit seinem ganzen Gewicht auf dessen Seite, versprach
ihm auch die Kaiserkrone, indem er sich freilich auch Versprechungen dagegen
machen ließ, die sich sehr wenig mit der kaiserlichen Würde vertrugen. Im
Jahre 1209 wurde denn auch Otto zum Kaiser gekrönt, da das gute Einver¬
nehmen bis dahin unausgesetzt bestanden hatte. Merkwürdig aber war es,
welche Veränderung mit Otto vorging, als er das Ziel seiner Wünsche erreicht
hatte. Er, der einzig und allein im Interesse der Kirche seine kaiserliche Macht
gebrauchen zu wollen schien, schlug vollständig ins Gegenteil um. Dem Kaiser¬
tum" zurückzugewinnen, was ihm verloren gegangen, das wurde das Ziel seines
Strebens, und da die Kirche das meiste an sich gezogen hatte, so trat er gegen
diese feindselig auf. Der Papst sah sich gröblich getäuscht und erklärte den
Kaiser einfach für wortbrüchig, was er ja auch war; aber der Papst hatte sich
beschwören lassen, was ein Kaiser nicht halten konnte. Es zeigte sich einmal
wieder, daß der Zwang der Verhältnisse mehr wirkt als eidliche Versprechungen,


keinen. Wie er sich zu den beiden Königen und der weltlichen Macht überhaupt
stellte, sehen wir am besten aus der Antwort, die er den Gesandten Philipps
gab. „Im ersten Buche Mose lesen wir, daß Melchisedek König war und Priester;
König jedoch nur einer Stadt, Priester dagegen der Gottheit. Die Priester
nahmen den Zehnten und gaben ihn nicht; sie weihten, wurden aber nicht ge¬
weiht; sie halbem, wurden aber nicht gesalbt: darum stehen sie höher als die,
welche den Zehnten geben, welche gesalbt und geweiht werde». Noch deutlicher
erklärt sich das Evangelium: auf Petrus, diesen Felsen, hat Christus seine
Kirche gegründet, ihm das Recht gegeben, auf Erde» zu lösen und zu binden.
Mithin haben die Fürsten nur Gewalt auf Erden, die Priester auch im Himmel,
jene mir über den Leib, diese auch über die Seele, jene über einzelne Land¬
schaften und Reiche, der Papst, als Stellvertreter Christi, über den Erdkreis."
Was speziell die Doppelwahl angeht, so sagt er: „Zur Abstellung so großer
Übel hätte man sich schon längst an den apostolischen Stuhl wenden sollen,
vor den diese Angelegenheit bekanntlich zuerst und zuletzt gehört: zuerst, weil
der Papst das Kaisertum vom Morgenland auf das Abendland übertrug; zu¬
letzt, weil er durch Bewilligung der Kaiserkrone allem erst Schluß und Haltung
giebt." Diese Antwort wurde im Jahre 1199 gegeben.

In Deutschland gewann in den folgenden Jahren die hohenstaufische Partei
die Oberhand. Trotz der offenbaren Unterstützung des Papstes der nicht bloß aus
allgemeiner Vorliebe für die Welsen handelte, sondern auch durch größere Fügsam¬
keit Ottos gewonnen wurde, verlor dieser immer mehr an Ansehen und würde sicher¬
lich der stetig wachsenden Macht des Gegners unterlegen sein, wenn nicht Philipp
im Juni des Jahres 1208 von Otto von Wittelsbach ermordet worden wäre.
Durch diesen für die hohenstaufische Partei unersetzlichen Verlust bekam mit
einemmale Otto die Oberhand in Deutschland. Der Papst war über die
„Fügung Gottes," die seinen Günstling so augenscheinlich hob, in hohem Maße
erfreut und stellte sich mit seinem ganzen Gewicht auf dessen Seite, versprach
ihm auch die Kaiserkrone, indem er sich freilich auch Versprechungen dagegen
machen ließ, die sich sehr wenig mit der kaiserlichen Würde vertrugen. Im
Jahre 1209 wurde denn auch Otto zum Kaiser gekrönt, da das gute Einver¬
nehmen bis dahin unausgesetzt bestanden hatte. Merkwürdig aber war es,
welche Veränderung mit Otto vorging, als er das Ziel seiner Wünsche erreicht
hatte. Er, der einzig und allein im Interesse der Kirche seine kaiserliche Macht
gebrauchen zu wollen schien, schlug vollständig ins Gegenteil um. Dem Kaiser¬
tum« zurückzugewinnen, was ihm verloren gegangen, das wurde das Ziel seines
Strebens, und da die Kirche das meiste an sich gezogen hatte, so trat er gegen
diese feindselig auf. Der Papst sah sich gröblich getäuscht und erklärte den
Kaiser einfach für wortbrüchig, was er ja auch war; aber der Papst hatte sich
beschwören lassen, was ein Kaiser nicht halten konnte. Es zeigte sich einmal
wieder, daß der Zwang der Verhältnisse mehr wirkt als eidliche Versprechungen,


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[0506] keinen. Wie er sich zu den beiden Königen und der weltlichen Macht überhaupt stellte, sehen wir am besten aus der Antwort, die er den Gesandten Philipps gab. „Im ersten Buche Mose lesen wir, daß Melchisedek König war und Priester; König jedoch nur einer Stadt, Priester dagegen der Gottheit. Die Priester nahmen den Zehnten und gaben ihn nicht; sie weihten, wurden aber nicht ge¬ weiht; sie halbem, wurden aber nicht gesalbt: darum stehen sie höher als die, welche den Zehnten geben, welche gesalbt und geweiht werde». Noch deutlicher erklärt sich das Evangelium: auf Petrus, diesen Felsen, hat Christus seine Kirche gegründet, ihm das Recht gegeben, auf Erde» zu lösen und zu binden. Mithin haben die Fürsten nur Gewalt auf Erden, die Priester auch im Himmel, jene mir über den Leib, diese auch über die Seele, jene über einzelne Land¬ schaften und Reiche, der Papst, als Stellvertreter Christi, über den Erdkreis." Was speziell die Doppelwahl angeht, so sagt er: „Zur Abstellung so großer Übel hätte man sich schon längst an den apostolischen Stuhl wenden sollen, vor den diese Angelegenheit bekanntlich zuerst und zuletzt gehört: zuerst, weil der Papst das Kaisertum vom Morgenland auf das Abendland übertrug; zu¬ letzt, weil er durch Bewilligung der Kaiserkrone allem erst Schluß und Haltung giebt." Diese Antwort wurde im Jahre 1199 gegeben. In Deutschland gewann in den folgenden Jahren die hohenstaufische Partei die Oberhand. Trotz der offenbaren Unterstützung des Papstes der nicht bloß aus allgemeiner Vorliebe für die Welsen handelte, sondern auch durch größere Fügsam¬ keit Ottos gewonnen wurde, verlor dieser immer mehr an Ansehen und würde sicher¬ lich der stetig wachsenden Macht des Gegners unterlegen sein, wenn nicht Philipp im Juni des Jahres 1208 von Otto von Wittelsbach ermordet worden wäre. Durch diesen für die hohenstaufische Partei unersetzlichen Verlust bekam mit einemmale Otto die Oberhand in Deutschland. Der Papst war über die „Fügung Gottes," die seinen Günstling so augenscheinlich hob, in hohem Maße erfreut und stellte sich mit seinem ganzen Gewicht auf dessen Seite, versprach ihm auch die Kaiserkrone, indem er sich freilich auch Versprechungen dagegen machen ließ, die sich sehr wenig mit der kaiserlichen Würde vertrugen. Im Jahre 1209 wurde denn auch Otto zum Kaiser gekrönt, da das gute Einver¬ nehmen bis dahin unausgesetzt bestanden hatte. Merkwürdig aber war es, welche Veränderung mit Otto vorging, als er das Ziel seiner Wünsche erreicht hatte. Er, der einzig und allein im Interesse der Kirche seine kaiserliche Macht gebrauchen zu wollen schien, schlug vollständig ins Gegenteil um. Dem Kaiser¬ tum« zurückzugewinnen, was ihm verloren gegangen, das wurde das Ziel seines Strebens, und da die Kirche das meiste an sich gezogen hatte, so trat er gegen diese feindselig auf. Der Papst sah sich gröblich getäuscht und erklärte den Kaiser einfach für wortbrüchig, was er ja auch war; aber der Papst hatte sich beschwören lassen, was ein Kaiser nicht halten konnte. Es zeigte sich einmal wieder, daß der Zwang der Verhältnisse mehr wirkt als eidliche Versprechungen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/506>, abgerufen am 23.07.2024.