Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Znnocenz III. und das deutsche Reich,

"Da der Jammer so groß ist -- folgert Innocenz weiter --, so muß alles
seine Zuflucht zum Papste nehmen. Er ist der Statthalter Gottes auf Erden
und vermag Trost und Erleichterung zu verschaffen. Dieser eine Beruf ist hoch
und erhaben. Die weltlichen Könige können sich mit ihm garnicht vergleichen.
Sie sind die Planeten, welche von der Sonne des Papsttums Licht und Wärme
erhalten."

Mit dieser hohen Meinung von seiner Stellung bestieg Innocenz den Papst¬
lichen Stuhl. Er war in sich zu voller Klarheit gekommen und hatte den
Willen und die Kraft, nach seinen nach reiflicher Überlegung gefaßten Grund¬
sätzen zu handeln. Hätte er noch Heinrich VI. in der Fülle seiner Macht auf
dem Kaiserthrone vorgefunden, vielleicht hätte er sich nicht so rücksichtslos über
die päpstliche Allgewalt ausgesprochen, vielleicht hätte er sich auch nicht so hoch
gestellt. Aber die Umstände, welche dem päpstlichen Stuhle so oft günstig ge¬
wesen sind -- man denke an Gregor VII., dessen rücksichtslose Kühnheit durch
die unseligen Verhältnisse unterstützt wurde, in welche der Wankelmut Hein¬
richs IV. und das unpatriotische Gebahren der Fürsten das Reich gebracht
hatten --, kamen Innocenz auf wunderbare Weise zu Hilfe. Als der sterbenden
Hand Heinrichs VI. die bis dahin straff angezogenen Zügel der Regierung ent¬
glitten waren, war dessen Söhnlein Friedrich, der ans Betrieb seines Vaters
gewählte König, drei Jahre alt. Die Fürsten und Herren hatten ihn gewählt,
weil sie Heinrich nicht zu widerstreben wagten, obwohl sie sich vor der Erb¬
monarchie wie vor einem Gespenst fürchteten. Jetzt, nach Heinrichs Tode, at¬
meten sie auf und wollten nun von ihrem gewählten Könige, einem Kinde, und
einer vormundschaftlichen Regierung nichts wissen. Des Kindes Oheim Philipp,
der jüngste Sohn Barbarossas, nahm die Krone für sich in Anspruch, da er
sie dem Neffen nicht erhalten konnte. Er brachte es aber nicht zu einer all¬
gemeinen Wahl. Ihm entgegen wurde der Welfe Otto, der jüngste Sohn Hein¬
richs des Löwen, zum Könige gewählt, sodaß es nun gleichzeitig drei gewählte
deutsche Könige gab. Da jedoch von Friedrich, der unterdessen nach dem Tode seiner
Mutter Constanze unter des Papstes Vormundschaft gekommen war, zunächst
nicht mehr die Rede war, so standen sich Philipp und Otto gegenüber und
riefen nun die Entscheidung des Papstes an.

Man vergegenwärtige sich den Verlauf der Ereignisse zu der Zeit, als Inno¬
cenz zum Papste gewählt wurde. Am 8. Januar 1198 gab es eigentlich keinen
König. Philipp wurde am 5. März, am 1. Mai Otto gewählt. Innocenz
hatte gewissermaßen die herrenlose Krone an sich genommen und trat fast un¬
bestritten als die höchste geistliche und weltliche Autorität auf. Diese erkannten
die beiden Könige auch an, indem jeder von ihnen des Papstes Entscheidung
in seine Wagschale zu legen versuchte. Wie mußte er sich in seiner päpstlichen
Allgewalt fühlen! Aus Abneigung und Besorgnis vor der Macht und Ge¬
sinnung der Hohenstaufen neigte er mehr zu Otto, entschied sich aber zunächst für


Gmizbotcn I, 1833, 63
Znnocenz III. und das deutsche Reich,

„Da der Jammer so groß ist — folgert Innocenz weiter —, so muß alles
seine Zuflucht zum Papste nehmen. Er ist der Statthalter Gottes auf Erden
und vermag Trost und Erleichterung zu verschaffen. Dieser eine Beruf ist hoch
und erhaben. Die weltlichen Könige können sich mit ihm garnicht vergleichen.
Sie sind die Planeten, welche von der Sonne des Papsttums Licht und Wärme
erhalten."

Mit dieser hohen Meinung von seiner Stellung bestieg Innocenz den Papst¬
lichen Stuhl. Er war in sich zu voller Klarheit gekommen und hatte den
Willen und die Kraft, nach seinen nach reiflicher Überlegung gefaßten Grund¬
sätzen zu handeln. Hätte er noch Heinrich VI. in der Fülle seiner Macht auf
dem Kaiserthrone vorgefunden, vielleicht hätte er sich nicht so rücksichtslos über
die päpstliche Allgewalt ausgesprochen, vielleicht hätte er sich auch nicht so hoch
gestellt. Aber die Umstände, welche dem päpstlichen Stuhle so oft günstig ge¬
wesen sind — man denke an Gregor VII., dessen rücksichtslose Kühnheit durch
die unseligen Verhältnisse unterstützt wurde, in welche der Wankelmut Hein¬
richs IV. und das unpatriotische Gebahren der Fürsten das Reich gebracht
hatten —, kamen Innocenz auf wunderbare Weise zu Hilfe. Als der sterbenden
Hand Heinrichs VI. die bis dahin straff angezogenen Zügel der Regierung ent¬
glitten waren, war dessen Söhnlein Friedrich, der ans Betrieb seines Vaters
gewählte König, drei Jahre alt. Die Fürsten und Herren hatten ihn gewählt,
weil sie Heinrich nicht zu widerstreben wagten, obwohl sie sich vor der Erb¬
monarchie wie vor einem Gespenst fürchteten. Jetzt, nach Heinrichs Tode, at¬
meten sie auf und wollten nun von ihrem gewählten Könige, einem Kinde, und
einer vormundschaftlichen Regierung nichts wissen. Des Kindes Oheim Philipp,
der jüngste Sohn Barbarossas, nahm die Krone für sich in Anspruch, da er
sie dem Neffen nicht erhalten konnte. Er brachte es aber nicht zu einer all¬
gemeinen Wahl. Ihm entgegen wurde der Welfe Otto, der jüngste Sohn Hein¬
richs des Löwen, zum Könige gewählt, sodaß es nun gleichzeitig drei gewählte
deutsche Könige gab. Da jedoch von Friedrich, der unterdessen nach dem Tode seiner
Mutter Constanze unter des Papstes Vormundschaft gekommen war, zunächst
nicht mehr die Rede war, so standen sich Philipp und Otto gegenüber und
riefen nun die Entscheidung des Papstes an.

Man vergegenwärtige sich den Verlauf der Ereignisse zu der Zeit, als Inno¬
cenz zum Papste gewählt wurde. Am 8. Januar 1198 gab es eigentlich keinen
König. Philipp wurde am 5. März, am 1. Mai Otto gewählt. Innocenz
hatte gewissermaßen die herrenlose Krone an sich genommen und trat fast un¬
bestritten als die höchste geistliche und weltliche Autorität auf. Diese erkannten
die beiden Könige auch an, indem jeder von ihnen des Papstes Entscheidung
in seine Wagschale zu legen versuchte. Wie mußte er sich in seiner päpstlichen
Allgewalt fühlen! Aus Abneigung und Besorgnis vor der Macht und Ge¬
sinnung der Hohenstaufen neigte er mehr zu Otto, entschied sich aber zunächst für


Gmizbotcn I, 1833, 63
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0505" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152320"/>
          <fw type="header" place="top"> Znnocenz III. und das deutsche Reich,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1912" prev="#ID_1911"> &#x201E;Da der Jammer so groß ist &#x2014; folgert Innocenz weiter &#x2014;, so muß alles<lb/>
seine Zuflucht zum Papste nehmen. Er ist der Statthalter Gottes auf Erden<lb/>
und vermag Trost und Erleichterung zu verschaffen. Dieser eine Beruf ist hoch<lb/>
und erhaben. Die weltlichen Könige können sich mit ihm garnicht vergleichen.<lb/>
Sie sind die Planeten, welche von der Sonne des Papsttums Licht und Wärme<lb/>
erhalten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1913"> Mit dieser hohen Meinung von seiner Stellung bestieg Innocenz den Papst¬<lb/>
lichen Stuhl. Er war in sich zu voller Klarheit gekommen und hatte den<lb/>
Willen und die Kraft, nach seinen nach reiflicher Überlegung gefaßten Grund¬<lb/>
sätzen zu handeln. Hätte er noch Heinrich VI. in der Fülle seiner Macht auf<lb/>
dem Kaiserthrone vorgefunden, vielleicht hätte er sich nicht so rücksichtslos über<lb/>
die päpstliche Allgewalt ausgesprochen, vielleicht hätte er sich auch nicht so hoch<lb/>
gestellt. Aber die Umstände, welche dem päpstlichen Stuhle so oft günstig ge¬<lb/>
wesen sind &#x2014; man denke an Gregor VII., dessen rücksichtslose Kühnheit durch<lb/>
die unseligen Verhältnisse unterstützt wurde, in welche der Wankelmut Hein¬<lb/>
richs IV. und das unpatriotische Gebahren der Fürsten das Reich gebracht<lb/>
hatten &#x2014;, kamen Innocenz auf wunderbare Weise zu Hilfe. Als der sterbenden<lb/>
Hand Heinrichs VI. die bis dahin straff angezogenen Zügel der Regierung ent¬<lb/>
glitten waren, war dessen Söhnlein Friedrich, der ans Betrieb seines Vaters<lb/>
gewählte König, drei Jahre alt. Die Fürsten und Herren hatten ihn gewählt,<lb/>
weil sie Heinrich nicht zu widerstreben wagten, obwohl sie sich vor der Erb¬<lb/>
monarchie wie vor einem Gespenst fürchteten. Jetzt, nach Heinrichs Tode, at¬<lb/>
meten sie auf und wollten nun von ihrem gewählten Könige, einem Kinde, und<lb/>
einer vormundschaftlichen Regierung nichts wissen. Des Kindes Oheim Philipp,<lb/>
der jüngste Sohn Barbarossas, nahm die Krone für sich in Anspruch, da er<lb/>
sie dem Neffen nicht erhalten konnte. Er brachte es aber nicht zu einer all¬<lb/>
gemeinen Wahl. Ihm entgegen wurde der Welfe Otto, der jüngste Sohn Hein¬<lb/>
richs des Löwen, zum Könige gewählt, sodaß es nun gleichzeitig drei gewählte<lb/>
deutsche Könige gab. Da jedoch von Friedrich, der unterdessen nach dem Tode seiner<lb/>
Mutter Constanze unter des Papstes Vormundschaft gekommen war, zunächst<lb/>
nicht mehr die Rede war, so standen sich Philipp und Otto gegenüber und<lb/>
riefen nun die Entscheidung des Papstes an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1914" next="#ID_1915"> Man vergegenwärtige sich den Verlauf der Ereignisse zu der Zeit, als Inno¬<lb/>
cenz zum Papste gewählt wurde. Am 8. Januar 1198 gab es eigentlich keinen<lb/>
König. Philipp wurde am 5. März, am 1. Mai Otto gewählt. Innocenz<lb/>
hatte gewissermaßen die herrenlose Krone an sich genommen und trat fast un¬<lb/>
bestritten als die höchste geistliche und weltliche Autorität auf. Diese erkannten<lb/>
die beiden Könige auch an, indem jeder von ihnen des Papstes Entscheidung<lb/>
in seine Wagschale zu legen versuchte. Wie mußte er sich in seiner päpstlichen<lb/>
Allgewalt fühlen! Aus Abneigung und Besorgnis vor der Macht und Ge¬<lb/>
sinnung der Hohenstaufen neigte er mehr zu Otto, entschied sich aber zunächst für</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gmizbotcn I, 1833, 63</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0505] Znnocenz III. und das deutsche Reich, „Da der Jammer so groß ist — folgert Innocenz weiter —, so muß alles seine Zuflucht zum Papste nehmen. Er ist der Statthalter Gottes auf Erden und vermag Trost und Erleichterung zu verschaffen. Dieser eine Beruf ist hoch und erhaben. Die weltlichen Könige können sich mit ihm garnicht vergleichen. Sie sind die Planeten, welche von der Sonne des Papsttums Licht und Wärme erhalten." Mit dieser hohen Meinung von seiner Stellung bestieg Innocenz den Papst¬ lichen Stuhl. Er war in sich zu voller Klarheit gekommen und hatte den Willen und die Kraft, nach seinen nach reiflicher Überlegung gefaßten Grund¬ sätzen zu handeln. Hätte er noch Heinrich VI. in der Fülle seiner Macht auf dem Kaiserthrone vorgefunden, vielleicht hätte er sich nicht so rücksichtslos über die päpstliche Allgewalt ausgesprochen, vielleicht hätte er sich auch nicht so hoch gestellt. Aber die Umstände, welche dem päpstlichen Stuhle so oft günstig ge¬ wesen sind — man denke an Gregor VII., dessen rücksichtslose Kühnheit durch die unseligen Verhältnisse unterstützt wurde, in welche der Wankelmut Hein¬ richs IV. und das unpatriotische Gebahren der Fürsten das Reich gebracht hatten —, kamen Innocenz auf wunderbare Weise zu Hilfe. Als der sterbenden Hand Heinrichs VI. die bis dahin straff angezogenen Zügel der Regierung ent¬ glitten waren, war dessen Söhnlein Friedrich, der ans Betrieb seines Vaters gewählte König, drei Jahre alt. Die Fürsten und Herren hatten ihn gewählt, weil sie Heinrich nicht zu widerstreben wagten, obwohl sie sich vor der Erb¬ monarchie wie vor einem Gespenst fürchteten. Jetzt, nach Heinrichs Tode, at¬ meten sie auf und wollten nun von ihrem gewählten Könige, einem Kinde, und einer vormundschaftlichen Regierung nichts wissen. Des Kindes Oheim Philipp, der jüngste Sohn Barbarossas, nahm die Krone für sich in Anspruch, da er sie dem Neffen nicht erhalten konnte. Er brachte es aber nicht zu einer all¬ gemeinen Wahl. Ihm entgegen wurde der Welfe Otto, der jüngste Sohn Hein¬ richs des Löwen, zum Könige gewählt, sodaß es nun gleichzeitig drei gewählte deutsche Könige gab. Da jedoch von Friedrich, der unterdessen nach dem Tode seiner Mutter Constanze unter des Papstes Vormundschaft gekommen war, zunächst nicht mehr die Rede war, so standen sich Philipp und Otto gegenüber und riefen nun die Entscheidung des Papstes an. Man vergegenwärtige sich den Verlauf der Ereignisse zu der Zeit, als Inno¬ cenz zum Papste gewählt wurde. Am 8. Januar 1198 gab es eigentlich keinen König. Philipp wurde am 5. März, am 1. Mai Otto gewählt. Innocenz hatte gewissermaßen die herrenlose Krone an sich genommen und trat fast un¬ bestritten als die höchste geistliche und weltliche Autorität auf. Diese erkannten die beiden Könige auch an, indem jeder von ihnen des Papstes Entscheidung in seine Wagschale zu legen versuchte. Wie mußte er sich in seiner päpstlichen Allgewalt fühlen! Aus Abneigung und Besorgnis vor der Macht und Ge¬ sinnung der Hohenstaufen neigte er mehr zu Otto, entschied sich aber zunächst für Gmizbotcn I, 1833, 63

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/505
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/505>, abgerufen am 23.07.2024.