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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

des Weges ragten wie hellgraue Säulen empor, und im Hintergrunde des
Waldes schwebte ein zarter Nebel über dem Dunkel des Dickichts. Die Hufe
der Pferde berührten mit mattem Ton den elastischen Boden am Waldessaum
und strichen von den vereinzelt stehenden Grasbüscheln den Thau ab.

stillschweigend ritt das Paar dahin, und Nachdenken lagerte auf Doro-
theens Gesicht, bis der Weg zu dem stillen Wasser mit den hohen Lindenbäumen
und zerstreut liegenden Steinblöcken geführt hatte. Hier zog Dorothea die Zügel
an, und Eberhardt ließ sein Pferd neben ihr halten. Er sah in dem schwarzen
Spiegel die Figur des Schimmels und seiner Reiterin wie seine eigne Silhouette
ihr zur Seite mit überraschender Deutlichkeit gezeichnet. Die weiße Gestalt mit
dem nickenden Haarbusch sah von unten hervor, und damit vereint gaben die
Konturen der jungen Dame mit dem wallenden Reitkleid und dem schwarzen Kastor-
hut ein graziöses, ihm höchst anziehend entgegenblickendes Bild. Oft nachher
dachte er mit einem sehnsüchtigen Schmerze an dieses Bild zurück, an die aus
tiefem Grunde hervorscheinende Mädchengestalt auf dem weißen Pferde, leicht
niedergebeugt und mit träumerisch gesenktem Haupte ihm im schwarzen Wasser
ins Auge sehend. Von diesem Spiegelbild blickte er über den dunkeln Teich
hin nach dem Schlosse hinüber, das stolzer als je emporzuragen und schwerer
als je die Erde zu belasten schien. Um die Kuppclthürmchen und Zinnen des
hohen, viereckigen Thurmes flatterten die schwarzen Vögel, und hinter den
Schießscharten der schweren, alten Mauern malte sich des Beschauers Phantasie
kriegerische Gestalten aus.

Man sagt, daß dieses kleine Gewässer unergründlich tief sei, bemerkte
Dorothea. Viele Märchen werden von den weisen Frauen unsrer Gegend über
die Erlebnisse dieses Teiches erzählt. Ich weiß nicht, ob man sie alle glauben
kann, ohne sich in Streit mit der gesunden Vernunft zu verwickeln, aber das
weiß ich, daß dieser Teich eine wunderliche Anziehungskraft auf mich ausübt.
Selten komme ich an dieser Stelle vorbei, ohne einen Augenblick anzuhalten
und da hineinzublicken.

Vielleicht haben Ihre Vorfahren hier gekämpft und geblutet, und deren
Seelen umschweben das dunkle Wasser, entgegnete Eberhardt.

Ja, oder mein eignes Schicksal ist von unerforschlichen Mächten in irgend
eine Beziehung zu diesem Teiche gebracht, sagte Dorothea, ihr Pferd wieder in
Bewegung setzend.

Es lag ein halb scherzender, halb ahnungsvoller Zug um ihre Lippen, und
Eberhardt beobachtete mit Entzücken ihr Antlitz, als sie jetzt in schnellerer Gang¬
art weiter ritten. Die klaren, reinen Züge, die großen, dunkeln Augen mit der
zarten Umrahmung der langen Wimpern und den kühn gezeichneten Brauen sprachen
von einer edeln und mutigen Seele, und wie die schlanke Figur vornübergeneigt
den Bewegungen des Pferdes folgte und die kühle Morgenluft zerteilte, daß
das krause Löckchen an der Schläfe vom Winde emporgetrieben ward, schien sie


Die Grafen von Altenschwerdt.

des Weges ragten wie hellgraue Säulen empor, und im Hintergrunde des
Waldes schwebte ein zarter Nebel über dem Dunkel des Dickichts. Die Hufe
der Pferde berührten mit mattem Ton den elastischen Boden am Waldessaum
und strichen von den vereinzelt stehenden Grasbüscheln den Thau ab.

stillschweigend ritt das Paar dahin, und Nachdenken lagerte auf Doro-
theens Gesicht, bis der Weg zu dem stillen Wasser mit den hohen Lindenbäumen
und zerstreut liegenden Steinblöcken geführt hatte. Hier zog Dorothea die Zügel
an, und Eberhardt ließ sein Pferd neben ihr halten. Er sah in dem schwarzen
Spiegel die Figur des Schimmels und seiner Reiterin wie seine eigne Silhouette
ihr zur Seite mit überraschender Deutlichkeit gezeichnet. Die weiße Gestalt mit
dem nickenden Haarbusch sah von unten hervor, und damit vereint gaben die
Konturen der jungen Dame mit dem wallenden Reitkleid und dem schwarzen Kastor-
hut ein graziöses, ihm höchst anziehend entgegenblickendes Bild. Oft nachher
dachte er mit einem sehnsüchtigen Schmerze an dieses Bild zurück, an die aus
tiefem Grunde hervorscheinende Mädchengestalt auf dem weißen Pferde, leicht
niedergebeugt und mit träumerisch gesenktem Haupte ihm im schwarzen Wasser
ins Auge sehend. Von diesem Spiegelbild blickte er über den dunkeln Teich
hin nach dem Schlosse hinüber, das stolzer als je emporzuragen und schwerer
als je die Erde zu belasten schien. Um die Kuppclthürmchen und Zinnen des
hohen, viereckigen Thurmes flatterten die schwarzen Vögel, und hinter den
Schießscharten der schweren, alten Mauern malte sich des Beschauers Phantasie
kriegerische Gestalten aus.

Man sagt, daß dieses kleine Gewässer unergründlich tief sei, bemerkte
Dorothea. Viele Märchen werden von den weisen Frauen unsrer Gegend über
die Erlebnisse dieses Teiches erzählt. Ich weiß nicht, ob man sie alle glauben
kann, ohne sich in Streit mit der gesunden Vernunft zu verwickeln, aber das
weiß ich, daß dieser Teich eine wunderliche Anziehungskraft auf mich ausübt.
Selten komme ich an dieser Stelle vorbei, ohne einen Augenblick anzuhalten
und da hineinzublicken.

Vielleicht haben Ihre Vorfahren hier gekämpft und geblutet, und deren
Seelen umschweben das dunkle Wasser, entgegnete Eberhardt.

Ja, oder mein eignes Schicksal ist von unerforschlichen Mächten in irgend
eine Beziehung zu diesem Teiche gebracht, sagte Dorothea, ihr Pferd wieder in
Bewegung setzend.

Es lag ein halb scherzender, halb ahnungsvoller Zug um ihre Lippen, und
Eberhardt beobachtete mit Entzücken ihr Antlitz, als sie jetzt in schnellerer Gang¬
art weiter ritten. Die klaren, reinen Züge, die großen, dunkeln Augen mit der
zarten Umrahmung der langen Wimpern und den kühn gezeichneten Brauen sprachen
von einer edeln und mutigen Seele, und wie die schlanke Figur vornübergeneigt
den Bewegungen des Pferdes folgte und die kühle Morgenluft zerteilte, daß
das krause Löckchen an der Schläfe vom Winde emporgetrieben ward, schien sie


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[0488] Die Grafen von Altenschwerdt. des Weges ragten wie hellgraue Säulen empor, und im Hintergrunde des Waldes schwebte ein zarter Nebel über dem Dunkel des Dickichts. Die Hufe der Pferde berührten mit mattem Ton den elastischen Boden am Waldessaum und strichen von den vereinzelt stehenden Grasbüscheln den Thau ab. stillschweigend ritt das Paar dahin, und Nachdenken lagerte auf Doro- theens Gesicht, bis der Weg zu dem stillen Wasser mit den hohen Lindenbäumen und zerstreut liegenden Steinblöcken geführt hatte. Hier zog Dorothea die Zügel an, und Eberhardt ließ sein Pferd neben ihr halten. Er sah in dem schwarzen Spiegel die Figur des Schimmels und seiner Reiterin wie seine eigne Silhouette ihr zur Seite mit überraschender Deutlichkeit gezeichnet. Die weiße Gestalt mit dem nickenden Haarbusch sah von unten hervor, und damit vereint gaben die Konturen der jungen Dame mit dem wallenden Reitkleid und dem schwarzen Kastor- hut ein graziöses, ihm höchst anziehend entgegenblickendes Bild. Oft nachher dachte er mit einem sehnsüchtigen Schmerze an dieses Bild zurück, an die aus tiefem Grunde hervorscheinende Mädchengestalt auf dem weißen Pferde, leicht niedergebeugt und mit träumerisch gesenktem Haupte ihm im schwarzen Wasser ins Auge sehend. Von diesem Spiegelbild blickte er über den dunkeln Teich hin nach dem Schlosse hinüber, das stolzer als je emporzuragen und schwerer als je die Erde zu belasten schien. Um die Kuppclthürmchen und Zinnen des hohen, viereckigen Thurmes flatterten die schwarzen Vögel, und hinter den Schießscharten der schweren, alten Mauern malte sich des Beschauers Phantasie kriegerische Gestalten aus. Man sagt, daß dieses kleine Gewässer unergründlich tief sei, bemerkte Dorothea. Viele Märchen werden von den weisen Frauen unsrer Gegend über die Erlebnisse dieses Teiches erzählt. Ich weiß nicht, ob man sie alle glauben kann, ohne sich in Streit mit der gesunden Vernunft zu verwickeln, aber das weiß ich, daß dieser Teich eine wunderliche Anziehungskraft auf mich ausübt. Selten komme ich an dieser Stelle vorbei, ohne einen Augenblick anzuhalten und da hineinzublicken. Vielleicht haben Ihre Vorfahren hier gekämpft und geblutet, und deren Seelen umschweben das dunkle Wasser, entgegnete Eberhardt. Ja, oder mein eignes Schicksal ist von unerforschlichen Mächten in irgend eine Beziehung zu diesem Teiche gebracht, sagte Dorothea, ihr Pferd wieder in Bewegung setzend. Es lag ein halb scherzender, halb ahnungsvoller Zug um ihre Lippen, und Eberhardt beobachtete mit Entzücken ihr Antlitz, als sie jetzt in schnellerer Gang¬ art weiter ritten. Die klaren, reinen Züge, die großen, dunkeln Augen mit der zarten Umrahmung der langen Wimpern und den kühn gezeichneten Brauen sprachen von einer edeln und mutigen Seele, und wie die schlanke Figur vornübergeneigt den Bewegungen des Pferdes folgte und die kühle Morgenluft zerteilte, daß das krause Löckchen an der Schläfe vom Winde emporgetrieben ward, schien sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/488>, abgerufen am 23.07.2024.