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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Lügen Richter und die Armee.

Frieden und zur Führung derselben im Kriege eine Reihe von moralischen und
Charaktereigenschaften besitzen, deren Maß sich in geradem Verhältnisse zu der
Höhe und Verantwortlichkeit ihrer Stellung steigert. Eine sorgsame Auswahl
ist deshalb nicht nur aus militärischen Gründen geboten, sondern wird sich im
Lause der Zeit auch "billiger" erweisen, als wenn unfähige Generale im Frieden
mit durchgeschleppt werden, um in der Stunde der Gefahr durch körperliche
Schwäche, durch Unentschlossenheit wie durch Mangel an Initiative und Ver¬
ständnis die Armee und das Vaterland an den Rand des Unglücks zu bringen.
Wer nur einigermaßen mit den Verhältnissen innerhalb der Armee vertraut
ist, weiß aber, mit welcher Sorgfalt eine derartige Auswahl getroffen wird,
und wie neben den selbstverständlich in erster Reihe maßgebenden dienstlichen
Anforderungen das persönliche Wohlwollen für jeden einzelnen Offizier bei der
Entscheidung über sein weiteres Aufrücken die Hauptrolle spielt. Wer dagegen
behauptet, daß Nepotismus und Parteilichkeit dabei im Spiele sein, oder daß
gar der bürgerliche oder adliche Name ausschlaggebend mitwirke, der begeht
einen -- Irrtum. Beinahe wäre uns in der Entrüstung einer jener wenig
parlamentarischen Ausdrücke entschlüpft, welche leider jetzt mehr und mehr den
Kampf der Meinungen auf das persönliche Gebiet hinüberspielen. Wir haben
ihn aber noch rechtzeitig unterdrückt, denn wir schreiben ja nicht -- über einen
Minister. Gegen derartige höchste und hohe Beamte scheint es in letzter Zeit
nicht nur gestattet, mit Schmähungen aller Art um sich zu werfen, sondern der
betreffende Abgeordnete kann sich in Ausnutzung seiner Redefreiheit noch oben¬
drein mit dem Mantel hehrer Uneigennützigkeit drapiren, und seine Anhänger
besingen dann seinen "freien Mannesmut," während es als erimW 1^683.6
geahndet werden möchte, wenn nur der leiseste Zweifel an der unfehlbaren
Tugend und Allwissenheit eines Abgeordneten der Opposition auftaucht.

Die weitere Forderung der Fortschrittspartei zur Entlastung des Peusions-
fonds gesteht zwar indirekt die Notwendigkeit einer Auswahl für die höhern
Stellungen in der Armee zu, verlangt aber, daß der langjährigen Tradition
entgegen die im Avancement übergangenen Offiziere weiter dienen sollen. Ganz
abgesehen davon, daß dem Dienste als solchen daraus gewiß kein Vorteil er¬
wachsen würde und daß sich diese Ersparnis auch gelegentlich als sehr "teuer"
erweisen dürfte, müßte ein großer Teil des Offizierkorps, wie das ein Regierungs-
kommisfar in den Verhandlungen schon treffend hervorgehoben hat, damit zu
einer Klasse von Troupiers herabsinken. Andre Staaten sind gerade bestrebt, das
Offizierkorps ihrer Armee, den festen Kern, um die das lose Gefüge eines großen,
in kurzer Dienstzeit geschulten Heeres erst feste Gestalt gewinnt, einheitlicher zu
gestalten und auf eine höhere sachliche und gesellige Stufe zu erheben, dasselbe
dem deutschen ebenbürtig zu machen. Über diesen Punkt ist ja kein Wort zu
verlieren; wir sind gewiß, daß weder der Kaiser noch auch das Offizierkorps
der Armee selbst je darein willigen wird, den feststehenden Grundsatz aufzugeben,


Lügen Richter und die Armee.

Frieden und zur Führung derselben im Kriege eine Reihe von moralischen und
Charaktereigenschaften besitzen, deren Maß sich in geradem Verhältnisse zu der
Höhe und Verantwortlichkeit ihrer Stellung steigert. Eine sorgsame Auswahl
ist deshalb nicht nur aus militärischen Gründen geboten, sondern wird sich im
Lause der Zeit auch „billiger" erweisen, als wenn unfähige Generale im Frieden
mit durchgeschleppt werden, um in der Stunde der Gefahr durch körperliche
Schwäche, durch Unentschlossenheit wie durch Mangel an Initiative und Ver¬
ständnis die Armee und das Vaterland an den Rand des Unglücks zu bringen.
Wer nur einigermaßen mit den Verhältnissen innerhalb der Armee vertraut
ist, weiß aber, mit welcher Sorgfalt eine derartige Auswahl getroffen wird,
und wie neben den selbstverständlich in erster Reihe maßgebenden dienstlichen
Anforderungen das persönliche Wohlwollen für jeden einzelnen Offizier bei der
Entscheidung über sein weiteres Aufrücken die Hauptrolle spielt. Wer dagegen
behauptet, daß Nepotismus und Parteilichkeit dabei im Spiele sein, oder daß
gar der bürgerliche oder adliche Name ausschlaggebend mitwirke, der begeht
einen — Irrtum. Beinahe wäre uns in der Entrüstung einer jener wenig
parlamentarischen Ausdrücke entschlüpft, welche leider jetzt mehr und mehr den
Kampf der Meinungen auf das persönliche Gebiet hinüberspielen. Wir haben
ihn aber noch rechtzeitig unterdrückt, denn wir schreiben ja nicht — über einen
Minister. Gegen derartige höchste und hohe Beamte scheint es in letzter Zeit
nicht nur gestattet, mit Schmähungen aller Art um sich zu werfen, sondern der
betreffende Abgeordnete kann sich in Ausnutzung seiner Redefreiheit noch oben¬
drein mit dem Mantel hehrer Uneigennützigkeit drapiren, und seine Anhänger
besingen dann seinen „freien Mannesmut," während es als erimW 1^683.6
geahndet werden möchte, wenn nur der leiseste Zweifel an der unfehlbaren
Tugend und Allwissenheit eines Abgeordneten der Opposition auftaucht.

Die weitere Forderung der Fortschrittspartei zur Entlastung des Peusions-
fonds gesteht zwar indirekt die Notwendigkeit einer Auswahl für die höhern
Stellungen in der Armee zu, verlangt aber, daß der langjährigen Tradition
entgegen die im Avancement übergangenen Offiziere weiter dienen sollen. Ganz
abgesehen davon, daß dem Dienste als solchen daraus gewiß kein Vorteil er¬
wachsen würde und daß sich diese Ersparnis auch gelegentlich als sehr „teuer"
erweisen dürfte, müßte ein großer Teil des Offizierkorps, wie das ein Regierungs-
kommisfar in den Verhandlungen schon treffend hervorgehoben hat, damit zu
einer Klasse von Troupiers herabsinken. Andre Staaten sind gerade bestrebt, das
Offizierkorps ihrer Armee, den festen Kern, um die das lose Gefüge eines großen,
in kurzer Dienstzeit geschulten Heeres erst feste Gestalt gewinnt, einheitlicher zu
gestalten und auf eine höhere sachliche und gesellige Stufe zu erheben, dasselbe
dem deutschen ebenbürtig zu machen. Über diesen Punkt ist ja kein Wort zu
verlieren; wir sind gewiß, daß weder der Kaiser noch auch das Offizierkorps
der Armee selbst je darein willigen wird, den feststehenden Grundsatz aufzugeben,


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[0479] Lügen Richter und die Armee. Frieden und zur Führung derselben im Kriege eine Reihe von moralischen und Charaktereigenschaften besitzen, deren Maß sich in geradem Verhältnisse zu der Höhe und Verantwortlichkeit ihrer Stellung steigert. Eine sorgsame Auswahl ist deshalb nicht nur aus militärischen Gründen geboten, sondern wird sich im Lause der Zeit auch „billiger" erweisen, als wenn unfähige Generale im Frieden mit durchgeschleppt werden, um in der Stunde der Gefahr durch körperliche Schwäche, durch Unentschlossenheit wie durch Mangel an Initiative und Ver¬ ständnis die Armee und das Vaterland an den Rand des Unglücks zu bringen. Wer nur einigermaßen mit den Verhältnissen innerhalb der Armee vertraut ist, weiß aber, mit welcher Sorgfalt eine derartige Auswahl getroffen wird, und wie neben den selbstverständlich in erster Reihe maßgebenden dienstlichen Anforderungen das persönliche Wohlwollen für jeden einzelnen Offizier bei der Entscheidung über sein weiteres Aufrücken die Hauptrolle spielt. Wer dagegen behauptet, daß Nepotismus und Parteilichkeit dabei im Spiele sein, oder daß gar der bürgerliche oder adliche Name ausschlaggebend mitwirke, der begeht einen — Irrtum. Beinahe wäre uns in der Entrüstung einer jener wenig parlamentarischen Ausdrücke entschlüpft, welche leider jetzt mehr und mehr den Kampf der Meinungen auf das persönliche Gebiet hinüberspielen. Wir haben ihn aber noch rechtzeitig unterdrückt, denn wir schreiben ja nicht — über einen Minister. Gegen derartige höchste und hohe Beamte scheint es in letzter Zeit nicht nur gestattet, mit Schmähungen aller Art um sich zu werfen, sondern der betreffende Abgeordnete kann sich in Ausnutzung seiner Redefreiheit noch oben¬ drein mit dem Mantel hehrer Uneigennützigkeit drapiren, und seine Anhänger besingen dann seinen „freien Mannesmut," während es als erimW 1^683.6 geahndet werden möchte, wenn nur der leiseste Zweifel an der unfehlbaren Tugend und Allwissenheit eines Abgeordneten der Opposition auftaucht. Die weitere Forderung der Fortschrittspartei zur Entlastung des Peusions- fonds gesteht zwar indirekt die Notwendigkeit einer Auswahl für die höhern Stellungen in der Armee zu, verlangt aber, daß der langjährigen Tradition entgegen die im Avancement übergangenen Offiziere weiter dienen sollen. Ganz abgesehen davon, daß dem Dienste als solchen daraus gewiß kein Vorteil er¬ wachsen würde und daß sich diese Ersparnis auch gelegentlich als sehr „teuer" erweisen dürfte, müßte ein großer Teil des Offizierkorps, wie das ein Regierungs- kommisfar in den Verhandlungen schon treffend hervorgehoben hat, damit zu einer Klasse von Troupiers herabsinken. Andre Staaten sind gerade bestrebt, das Offizierkorps ihrer Armee, den festen Kern, um die das lose Gefüge eines großen, in kurzer Dienstzeit geschulten Heeres erst feste Gestalt gewinnt, einheitlicher zu gestalten und auf eine höhere sachliche und gesellige Stufe zu erheben, dasselbe dem deutschen ebenbürtig zu machen. Über diesen Punkt ist ja kein Wort zu verlieren; wir sind gewiß, daß weder der Kaiser noch auch das Offizierkorps der Armee selbst je darein willigen wird, den feststehenden Grundsatz aufzugeben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/479>, abgerufen am 04.07.2024.