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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Herr Thaddäus.

Rykow, der tapfer kämpft, wird mit seinen Jägern gefangen. Aber die Sieger
in diesem Kampfe stehen nicht wenig betroffen, als sie zur Besinnung kommen,
sie müssen versuchen, sich mit den Besiegten zu einigen. Denn noch sind die
Franzosen und die polnischen Krieger des Herzogtums Warschau weit entfernt,
der vorzeitige Aufruhr kann alle seine Teilnehmer verderben. Es ist eine der
Prachtszenen des farbenreichen Gedichts, wie der Richter, der Bernhardiner,
Herr Thaddüus und alle polnischen Führer mit dem braven Rykow verhandeln,
wie es zu Tage kommt, daß der alte Gervasius den Major Plut inzwischen
mit seinem "Federmesser" stumm gemacht hat und der Mönch ihn absolvirt, weil
die That pro xuolioa saints geschehen sei. Die sämtlichen Helden des vorzeitigen
Kampfes und Sieges müssen über den Riemen entfliehen und einstweilen im
Herzogtum Warschau Zuflucht suchen, man hofft, ja man weiß, daß sie im
kommenden Lenz unter den polnischen Fahnen wiederkehren werden. In dieser
Zuversicht verspricht sich Thaddäus, dessen Liebe sich inzwischen von der reifern
Schönheit Telimenes zur Jugendblüte der kleinen Soschja gewendet hat, mit
diesem lieblichen Mädchen. Der elfte und zwölfte Gesang erzählen dann, wie
oben erwähnt, den Einmarsch der polnischen Armee unter Dombrowski, das Fest,
das der Rückkehr aller Tapfern gefeiert wird, und die glänzende Verlobungs¬
feier, bei der die letzte altpolnische Mahlzeit aufgetragen wird und Herr Thad¬
däus die Güter übernimmt.

Farbenreich und charakteristisch ist die Dichtung des polnischen Poeten gewiß.
Ja man mochte sagen, daß ein gewisses Schwelgen im Kolorit, eine übermäßige
Freude an den kleinen charakteristischen Zügen, an der Einbeziehung aller er¬
denklichen Einzelheiten polnischen und altlitthauischen Lebens sich darin geltend
mache. Einen Deutschen muß es wundersam berühren, daß die Unarten der
Handlungslosen beschreibenden Dichtung, welche in unsrer eignen Literatur seit
Lessings "Laokoon" wenigstens in den Hintergrund gedrängt worden sind, sich
bei einem fremden Dichter hohen Ranges, wie es Mickiewicz unzweifelhaft ist,
so unbefangen geltend machen. Gewisse Stellen in dem Gedichte gemahnen
geradezu an jene Hallerschen Blumenmalereien und Stillleben, an denen Lessing
seinerzeit die Unmöglichkeit für den Dichter nachgewiesen hat, mit dem bildenden
Künstler zu wetteifern:


In Reihen aufgestellt
Beschatten die Fruchtbäume die Beete im weißen Feld.
Sieh, wie der Kohl da sitzt, den würdgcn Kahlkopf senkt
Und des Gemüses irdisch Schicksal überdenkt;
Die schlanke Bohne dort betrachtet der Rübe Köpfchen
Mit tausend Augen und flicht die Schoten ihr ins Zöpfchen;
Hier hebt der türkische Weizen den goldnen Busch empor,
Stellenweis streckt den Bauch ein dicker Kürbis vor,
Der sich von seinem Stengel gekollert hat ins Weite,
Ein Gast der roten Rüben ganz auf der andern Seite.

Herr Thaddäus.

Rykow, der tapfer kämpft, wird mit seinen Jägern gefangen. Aber die Sieger
in diesem Kampfe stehen nicht wenig betroffen, als sie zur Besinnung kommen,
sie müssen versuchen, sich mit den Besiegten zu einigen. Denn noch sind die
Franzosen und die polnischen Krieger des Herzogtums Warschau weit entfernt,
der vorzeitige Aufruhr kann alle seine Teilnehmer verderben. Es ist eine der
Prachtszenen des farbenreichen Gedichts, wie der Richter, der Bernhardiner,
Herr Thaddüus und alle polnischen Führer mit dem braven Rykow verhandeln,
wie es zu Tage kommt, daß der alte Gervasius den Major Plut inzwischen
mit seinem „Federmesser" stumm gemacht hat und der Mönch ihn absolvirt, weil
die That pro xuolioa saints geschehen sei. Die sämtlichen Helden des vorzeitigen
Kampfes und Sieges müssen über den Riemen entfliehen und einstweilen im
Herzogtum Warschau Zuflucht suchen, man hofft, ja man weiß, daß sie im
kommenden Lenz unter den polnischen Fahnen wiederkehren werden. In dieser
Zuversicht verspricht sich Thaddäus, dessen Liebe sich inzwischen von der reifern
Schönheit Telimenes zur Jugendblüte der kleinen Soschja gewendet hat, mit
diesem lieblichen Mädchen. Der elfte und zwölfte Gesang erzählen dann, wie
oben erwähnt, den Einmarsch der polnischen Armee unter Dombrowski, das Fest,
das der Rückkehr aller Tapfern gefeiert wird, und die glänzende Verlobungs¬
feier, bei der die letzte altpolnische Mahlzeit aufgetragen wird und Herr Thad¬
däus die Güter übernimmt.

Farbenreich und charakteristisch ist die Dichtung des polnischen Poeten gewiß.
Ja man mochte sagen, daß ein gewisses Schwelgen im Kolorit, eine übermäßige
Freude an den kleinen charakteristischen Zügen, an der Einbeziehung aller er¬
denklichen Einzelheiten polnischen und altlitthauischen Lebens sich darin geltend
mache. Einen Deutschen muß es wundersam berühren, daß die Unarten der
Handlungslosen beschreibenden Dichtung, welche in unsrer eignen Literatur seit
Lessings „Laokoon" wenigstens in den Hintergrund gedrängt worden sind, sich
bei einem fremden Dichter hohen Ranges, wie es Mickiewicz unzweifelhaft ist,
so unbefangen geltend machen. Gewisse Stellen in dem Gedichte gemahnen
geradezu an jene Hallerschen Blumenmalereien und Stillleben, an denen Lessing
seinerzeit die Unmöglichkeit für den Dichter nachgewiesen hat, mit dem bildenden
Künstler zu wetteifern:


In Reihen aufgestellt
Beschatten die Fruchtbäume die Beete im weißen Feld.
Sieh, wie der Kohl da sitzt, den würdgcn Kahlkopf senkt
Und des Gemüses irdisch Schicksal überdenkt;
Die schlanke Bohne dort betrachtet der Rübe Köpfchen
Mit tausend Augen und flicht die Schoten ihr ins Zöpfchen;
Hier hebt der türkische Weizen den goldnen Busch empor,
Stellenweis streckt den Bauch ein dicker Kürbis vor,
Der sich von seinem Stengel gekollert hat ins Weite,
Ein Gast der roten Rüben ganz auf der andern Seite.

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[0475] Herr Thaddäus. Rykow, der tapfer kämpft, wird mit seinen Jägern gefangen. Aber die Sieger in diesem Kampfe stehen nicht wenig betroffen, als sie zur Besinnung kommen, sie müssen versuchen, sich mit den Besiegten zu einigen. Denn noch sind die Franzosen und die polnischen Krieger des Herzogtums Warschau weit entfernt, der vorzeitige Aufruhr kann alle seine Teilnehmer verderben. Es ist eine der Prachtszenen des farbenreichen Gedichts, wie der Richter, der Bernhardiner, Herr Thaddüus und alle polnischen Führer mit dem braven Rykow verhandeln, wie es zu Tage kommt, daß der alte Gervasius den Major Plut inzwischen mit seinem „Federmesser" stumm gemacht hat und der Mönch ihn absolvirt, weil die That pro xuolioa saints geschehen sei. Die sämtlichen Helden des vorzeitigen Kampfes und Sieges müssen über den Riemen entfliehen und einstweilen im Herzogtum Warschau Zuflucht suchen, man hofft, ja man weiß, daß sie im kommenden Lenz unter den polnischen Fahnen wiederkehren werden. In dieser Zuversicht verspricht sich Thaddäus, dessen Liebe sich inzwischen von der reifern Schönheit Telimenes zur Jugendblüte der kleinen Soschja gewendet hat, mit diesem lieblichen Mädchen. Der elfte und zwölfte Gesang erzählen dann, wie oben erwähnt, den Einmarsch der polnischen Armee unter Dombrowski, das Fest, das der Rückkehr aller Tapfern gefeiert wird, und die glänzende Verlobungs¬ feier, bei der die letzte altpolnische Mahlzeit aufgetragen wird und Herr Thad¬ däus die Güter übernimmt. Farbenreich und charakteristisch ist die Dichtung des polnischen Poeten gewiß. Ja man mochte sagen, daß ein gewisses Schwelgen im Kolorit, eine übermäßige Freude an den kleinen charakteristischen Zügen, an der Einbeziehung aller er¬ denklichen Einzelheiten polnischen und altlitthauischen Lebens sich darin geltend mache. Einen Deutschen muß es wundersam berühren, daß die Unarten der Handlungslosen beschreibenden Dichtung, welche in unsrer eignen Literatur seit Lessings „Laokoon" wenigstens in den Hintergrund gedrängt worden sind, sich bei einem fremden Dichter hohen Ranges, wie es Mickiewicz unzweifelhaft ist, so unbefangen geltend machen. Gewisse Stellen in dem Gedichte gemahnen geradezu an jene Hallerschen Blumenmalereien und Stillleben, an denen Lessing seinerzeit die Unmöglichkeit für den Dichter nachgewiesen hat, mit dem bildenden Künstler zu wetteifern: In Reihen aufgestellt Beschatten die Fruchtbäume die Beete im weißen Feld. Sieh, wie der Kohl da sitzt, den würdgcn Kahlkopf senkt Und des Gemüses irdisch Schicksal überdenkt; Die schlanke Bohne dort betrachtet der Rübe Köpfchen Mit tausend Augen und flicht die Schoten ihr ins Zöpfchen; Hier hebt der türkische Weizen den goldnen Busch empor, Stellenweis streckt den Bauch ein dicker Kürbis vor, Der sich von seinem Stengel gekollert hat ins Weite, Ein Gast der roten Rüben ganz auf der andern Seite.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/475>, abgerufen am 03.07.2024.