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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Graf": vo" Altenschwerdt.

Ah, sagte sie endlich, tief aufatmend und indem sie ihre Hände losmachte,
Sie sind der Dichter! Das ist etwas ganz andres!

Es war ein eigentümlicher Klang in ihrer Stimme, und dann wurden sie
beide still und vermochten Minuten lang kein Wort mit einander zu reden.
Sie sah in den Schoß nieder, und Graf Dietrich betrachtete sinnend die roten
schwellenden Lippen und das Grübchen im Kinn und fühlte sich sonderbar be¬
wegt. Endlich brach er das Schweigen.

Wollen Sie mir etwas Vorspielen? fragte er. Das Musikzimmer ist jetzt
nicht besetzt.

Gern, entgegnete sie sanft, erhob sich, legte den Band wieder in ihr Körbchen
und ging mit ihm in das Haus.

Es befand sich im Musikzimmer eine große Auswahl von Noten in den
Fächern des Notenpultes aufgehäuft, die Herr Schmidt, dem verschiedenartigen
Geschmack seiner Patienten entgegenkommend, angeschafft hatte. Aber Fräulein
Glock bedürfte keiner Unterstützung durch Note" bei ihren musikalischen Vor¬
trägen. Sie schien eine unerschöpfliche Quelle von Melodien in ihrem Innern
zu bergen, sie glich einer menschgcwordnen Nachtigall. Ihre geschmeidigen
Finger entlockten dem Instrumente in größter Mannichfaltigkeit eine Flut von
Tönen, die bald als dem Genius Mozarts, bald als der unergründliche" Tiefe des
alten Bach, bald als dem perlenden Reichtum Rossinis entstiegen sich kenn¬
zeichneten. Dazwischen glitten Lieder, von ihrer weichen, zum Herzen gehenden
Stimme vorgetragen. Es war kein Zaudern, kein Besinnen, es waren keine
Pausen in ihrem Spiel. Ein Tonstück schloß sich an das andre an, wie die
eine Welle des Ozeans der andern folgt, und immer quoll es aus dem vollen.
Sie schien die Absicht der Meister in jeder einzelnen Melodie mit ihnen geteilt
zu haben, so willig und leicht, mit so freudiger Kraft strömten die Töne dahin.

Sie kannte die Leidenschaft des jungen Grafen, sich willenlos einem Strome
von Musik hinzugeben, ohne durch Fragen nach seinen Wünschen aus der Be¬
rauschung gerissen zu werden, und sie fühlte sich glücklich in dem Bewußtsein,
daß sie seine Seele in ihrer Gewalt hatte, während er hinter ihr im Winkel
des Sophas lehnte und dichterisch träumte.

So war es in früheren Jahren oft gewesen. Als ein armes Kind von
fünfzehn Jahren war sie nach dem Tode ihrer Eltern in der Gräfin Haus ge¬
kommen, um als Gesellschafterin deren Launen dienstbar zu sein, den Shawl und
die Fußbank zu tragen, lange Stunden hindurch tropfenweise den Kaffee-Extrakt
zu filtriren, Abends vorzulesen, während die Gräfin an etwas andres dachte,
und in den Gesellschaften leise schwebend den Gästen an die Hand zu gehen. .In
jenen früheren Jahren schon hatte sich ihr Talent bewährt, den unruhigen,
schwärmenden Geist des jungen Grafen zu bannen, indem sie, als Sirene einer
sanften Gattung, ohne die verräterischen Krallen und die berückende Meerestiefe,
durch ihr.Spiel und ihren Gesang fesselnden Einfluß ans ihn ausübte und ihn


Die Graf«: vo» Altenschwerdt.

Ah, sagte sie endlich, tief aufatmend und indem sie ihre Hände losmachte,
Sie sind der Dichter! Das ist etwas ganz andres!

Es war ein eigentümlicher Klang in ihrer Stimme, und dann wurden sie
beide still und vermochten Minuten lang kein Wort mit einander zu reden.
Sie sah in den Schoß nieder, und Graf Dietrich betrachtete sinnend die roten
schwellenden Lippen und das Grübchen im Kinn und fühlte sich sonderbar be¬
wegt. Endlich brach er das Schweigen.

Wollen Sie mir etwas Vorspielen? fragte er. Das Musikzimmer ist jetzt
nicht besetzt.

Gern, entgegnete sie sanft, erhob sich, legte den Band wieder in ihr Körbchen
und ging mit ihm in das Haus.

Es befand sich im Musikzimmer eine große Auswahl von Noten in den
Fächern des Notenpultes aufgehäuft, die Herr Schmidt, dem verschiedenartigen
Geschmack seiner Patienten entgegenkommend, angeschafft hatte. Aber Fräulein
Glock bedürfte keiner Unterstützung durch Note» bei ihren musikalischen Vor¬
trägen. Sie schien eine unerschöpfliche Quelle von Melodien in ihrem Innern
zu bergen, sie glich einer menschgcwordnen Nachtigall. Ihre geschmeidigen
Finger entlockten dem Instrumente in größter Mannichfaltigkeit eine Flut von
Tönen, die bald als dem Genius Mozarts, bald als der unergründliche» Tiefe des
alten Bach, bald als dem perlenden Reichtum Rossinis entstiegen sich kenn¬
zeichneten. Dazwischen glitten Lieder, von ihrer weichen, zum Herzen gehenden
Stimme vorgetragen. Es war kein Zaudern, kein Besinnen, es waren keine
Pausen in ihrem Spiel. Ein Tonstück schloß sich an das andre an, wie die
eine Welle des Ozeans der andern folgt, und immer quoll es aus dem vollen.
Sie schien die Absicht der Meister in jeder einzelnen Melodie mit ihnen geteilt
zu haben, so willig und leicht, mit so freudiger Kraft strömten die Töne dahin.

Sie kannte die Leidenschaft des jungen Grafen, sich willenlos einem Strome
von Musik hinzugeben, ohne durch Fragen nach seinen Wünschen aus der Be¬
rauschung gerissen zu werden, und sie fühlte sich glücklich in dem Bewußtsein,
daß sie seine Seele in ihrer Gewalt hatte, während er hinter ihr im Winkel
des Sophas lehnte und dichterisch träumte.

So war es in früheren Jahren oft gewesen. Als ein armes Kind von
fünfzehn Jahren war sie nach dem Tode ihrer Eltern in der Gräfin Haus ge¬
kommen, um als Gesellschafterin deren Launen dienstbar zu sein, den Shawl und
die Fußbank zu tragen, lange Stunden hindurch tropfenweise den Kaffee-Extrakt
zu filtriren, Abends vorzulesen, während die Gräfin an etwas andres dachte,
und in den Gesellschaften leise schwebend den Gästen an die Hand zu gehen. .In
jenen früheren Jahren schon hatte sich ihr Talent bewährt, den unruhigen,
schwärmenden Geist des jungen Grafen zu bannen, indem sie, als Sirene einer
sanften Gattung, ohne die verräterischen Krallen und die berückende Meerestiefe,
durch ihr.Spiel und ihren Gesang fesselnden Einfluß ans ihn ausübte und ihn


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[0436] Die Graf«: vo» Altenschwerdt. Ah, sagte sie endlich, tief aufatmend und indem sie ihre Hände losmachte, Sie sind der Dichter! Das ist etwas ganz andres! Es war ein eigentümlicher Klang in ihrer Stimme, und dann wurden sie beide still und vermochten Minuten lang kein Wort mit einander zu reden. Sie sah in den Schoß nieder, und Graf Dietrich betrachtete sinnend die roten schwellenden Lippen und das Grübchen im Kinn und fühlte sich sonderbar be¬ wegt. Endlich brach er das Schweigen. Wollen Sie mir etwas Vorspielen? fragte er. Das Musikzimmer ist jetzt nicht besetzt. Gern, entgegnete sie sanft, erhob sich, legte den Band wieder in ihr Körbchen und ging mit ihm in das Haus. Es befand sich im Musikzimmer eine große Auswahl von Noten in den Fächern des Notenpultes aufgehäuft, die Herr Schmidt, dem verschiedenartigen Geschmack seiner Patienten entgegenkommend, angeschafft hatte. Aber Fräulein Glock bedürfte keiner Unterstützung durch Note» bei ihren musikalischen Vor¬ trägen. Sie schien eine unerschöpfliche Quelle von Melodien in ihrem Innern zu bergen, sie glich einer menschgcwordnen Nachtigall. Ihre geschmeidigen Finger entlockten dem Instrumente in größter Mannichfaltigkeit eine Flut von Tönen, die bald als dem Genius Mozarts, bald als der unergründliche» Tiefe des alten Bach, bald als dem perlenden Reichtum Rossinis entstiegen sich kenn¬ zeichneten. Dazwischen glitten Lieder, von ihrer weichen, zum Herzen gehenden Stimme vorgetragen. Es war kein Zaudern, kein Besinnen, es waren keine Pausen in ihrem Spiel. Ein Tonstück schloß sich an das andre an, wie die eine Welle des Ozeans der andern folgt, und immer quoll es aus dem vollen. Sie schien die Absicht der Meister in jeder einzelnen Melodie mit ihnen geteilt zu haben, so willig und leicht, mit so freudiger Kraft strömten die Töne dahin. Sie kannte die Leidenschaft des jungen Grafen, sich willenlos einem Strome von Musik hinzugeben, ohne durch Fragen nach seinen Wünschen aus der Be¬ rauschung gerissen zu werden, und sie fühlte sich glücklich in dem Bewußtsein, daß sie seine Seele in ihrer Gewalt hatte, während er hinter ihr im Winkel des Sophas lehnte und dichterisch träumte. So war es in früheren Jahren oft gewesen. Als ein armes Kind von fünfzehn Jahren war sie nach dem Tode ihrer Eltern in der Gräfin Haus ge¬ kommen, um als Gesellschafterin deren Launen dienstbar zu sein, den Shawl und die Fußbank zu tragen, lange Stunden hindurch tropfenweise den Kaffee-Extrakt zu filtriren, Abends vorzulesen, während die Gräfin an etwas andres dachte, und in den Gesellschaften leise schwebend den Gästen an die Hand zu gehen. .In jenen früheren Jahren schon hatte sich ihr Talent bewährt, den unruhigen, schwärmenden Geist des jungen Grafen zu bannen, indem sie, als Sirene einer sanften Gattung, ohne die verräterischen Krallen und die berückende Meerestiefe, durch ihr.Spiel und ihren Gesang fesselnden Einfluß ans ihn ausübte und ihn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/436>, abgerufen am 23.07.2024.