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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Anonyme Gedichte! fuhr er fort. Gewiß solch eine leichte Waare, deren sich
der Autor schämt,

O nein, Herr Graf, sagte das Mädchen eifrig. Es sind sehr schöne, ganz
reizende Gedichte.

Ja, weil Sie sie in ihrem Körbchen mit sich schleppen, darum loben Sie
sie natürlich. Aber ich will Ihnen etwas sagen, Fräulein Anna, das ist keine
Lektüre für junge Mädchen, und ich, als Ihr älterer Freund, warne Sie. Diese
Gedichte erhitzen das Vink und trüben die Phantasie. Ich kenne diese Poesien.
Sie taugen nichts vom moralischen Standpunkte aus. Der Autor ist einer jener
Poetaster, welche die Trivialität ihres Empfindens unter einer schimmernden
Außenseite zu verstecken suchen und den Eros herabziehen in die Bahn der All¬
täglichkeit, indem sie seine Pfeile zu Zwecken der Sinnlichkeit mißbrauchen.

Herr Graf, das geht zu weit! sagte das junge Mädchen, indem ihr Busen
vor Erregung wogte und ihre Auge" vor Entrüstung blitzten. Sie beleidigen
mich. Dieser Autor ist mein Liebling. Er ist voll Hoheit des Empfindens und
Grazie des Ausdrucks. Kein unreiner Gedanke findet sich in seinen reizenden
Liedern, und ich kann es nicht ruhig mit anhören, daß er verunglimpft wird,
selbst nicht von Ihnen.

In seinem ganzen Leben hatte der junge Graf kein so angenehmes Gefühl
empfunden als in diesem Augenblick. Sein Herz wollte vor Freude zerspringen.
Er sah das zornige junge Mädchen mit der Überzeugung an, daß es das klügste,
edelste, reizendste Geschöpf auf der ganzen weiten Erde sei, und war so von
Seligkeit erfüllt, daß er keine Worte finden konnte.

Sie war verwundert über den Ausdruck in seinem Gesicht, konnte sich ihn
aber nicht erklären und war so in Eifer gekommen über den Gegenstand des
Gesprächs, daß sie so bald nicht wieder von ihrem Thema ablassen konnte.

So manche einsame Stunde haben mir diese lieben Gedichte verschönt!
sagte sie, ihr Taschentuch an die Augen drückend. Und nie hat mir jemand
etwas so hartes gesagt. Glauben Sie denn, Herr Graf, daß ich ein schlechtes
Buch lesen würde? Aber ich sehe deutlich, daß Sie die Gedichte garnicht kennen,
sonst würden Sie nicht so sprechen. Lesen Sie sie nur, ich will Ihnen das
Buch leihen, und dann werden Sie selbst sagen, daß es herrliche, himmlische
Gedichte sind.

Fräulein Anna, sagte Graf Dietrich, merken Sie denn nur gar nichts?
Haben Sie denn nur gar nichts bekanntes in den Gedichten gefunden?

Sie sah ihn an und erstaunte über sein lächelndes, glückliches Gesicht.
, Ich bin ja der Dichter, sagte er, ihre beiden Hände ergreifend, ich habe ja
diese Gedichte selbst geschrieben. Aber es soll ein Geheimnis bleiben.

Das junge Mädchen konnte vor Verwunderung kein Wort hervorbringen,
blickte ihn ganz verwirrt an und wechselte in ihrer Farbe von tiefem Rot zu
fahler Blässe.


Die Grafen von Altenschwerdt.

Anonyme Gedichte! fuhr er fort. Gewiß solch eine leichte Waare, deren sich
der Autor schämt,

O nein, Herr Graf, sagte das Mädchen eifrig. Es sind sehr schöne, ganz
reizende Gedichte.

Ja, weil Sie sie in ihrem Körbchen mit sich schleppen, darum loben Sie
sie natürlich. Aber ich will Ihnen etwas sagen, Fräulein Anna, das ist keine
Lektüre für junge Mädchen, und ich, als Ihr älterer Freund, warne Sie. Diese
Gedichte erhitzen das Vink und trüben die Phantasie. Ich kenne diese Poesien.
Sie taugen nichts vom moralischen Standpunkte aus. Der Autor ist einer jener
Poetaster, welche die Trivialität ihres Empfindens unter einer schimmernden
Außenseite zu verstecken suchen und den Eros herabziehen in die Bahn der All¬
täglichkeit, indem sie seine Pfeile zu Zwecken der Sinnlichkeit mißbrauchen.

Herr Graf, das geht zu weit! sagte das junge Mädchen, indem ihr Busen
vor Erregung wogte und ihre Auge» vor Entrüstung blitzten. Sie beleidigen
mich. Dieser Autor ist mein Liebling. Er ist voll Hoheit des Empfindens und
Grazie des Ausdrucks. Kein unreiner Gedanke findet sich in seinen reizenden
Liedern, und ich kann es nicht ruhig mit anhören, daß er verunglimpft wird,
selbst nicht von Ihnen.

In seinem ganzen Leben hatte der junge Graf kein so angenehmes Gefühl
empfunden als in diesem Augenblick. Sein Herz wollte vor Freude zerspringen.
Er sah das zornige junge Mädchen mit der Überzeugung an, daß es das klügste,
edelste, reizendste Geschöpf auf der ganzen weiten Erde sei, und war so von
Seligkeit erfüllt, daß er keine Worte finden konnte.

Sie war verwundert über den Ausdruck in seinem Gesicht, konnte sich ihn
aber nicht erklären und war so in Eifer gekommen über den Gegenstand des
Gesprächs, daß sie so bald nicht wieder von ihrem Thema ablassen konnte.

So manche einsame Stunde haben mir diese lieben Gedichte verschönt!
sagte sie, ihr Taschentuch an die Augen drückend. Und nie hat mir jemand
etwas so hartes gesagt. Glauben Sie denn, Herr Graf, daß ich ein schlechtes
Buch lesen würde? Aber ich sehe deutlich, daß Sie die Gedichte garnicht kennen,
sonst würden Sie nicht so sprechen. Lesen Sie sie nur, ich will Ihnen das
Buch leihen, und dann werden Sie selbst sagen, daß es herrliche, himmlische
Gedichte sind.

Fräulein Anna, sagte Graf Dietrich, merken Sie denn nur gar nichts?
Haben Sie denn nur gar nichts bekanntes in den Gedichten gefunden?

Sie sah ihn an und erstaunte über sein lächelndes, glückliches Gesicht.
, Ich bin ja der Dichter, sagte er, ihre beiden Hände ergreifend, ich habe ja
diese Gedichte selbst geschrieben. Aber es soll ein Geheimnis bleiben.

Das junge Mädchen konnte vor Verwunderung kein Wort hervorbringen,
blickte ihn ganz verwirrt an und wechselte in ihrer Farbe von tiefem Rot zu
fahler Blässe.


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[0435] Die Grafen von Altenschwerdt. Anonyme Gedichte! fuhr er fort. Gewiß solch eine leichte Waare, deren sich der Autor schämt, O nein, Herr Graf, sagte das Mädchen eifrig. Es sind sehr schöne, ganz reizende Gedichte. Ja, weil Sie sie in ihrem Körbchen mit sich schleppen, darum loben Sie sie natürlich. Aber ich will Ihnen etwas sagen, Fräulein Anna, das ist keine Lektüre für junge Mädchen, und ich, als Ihr älterer Freund, warne Sie. Diese Gedichte erhitzen das Vink und trüben die Phantasie. Ich kenne diese Poesien. Sie taugen nichts vom moralischen Standpunkte aus. Der Autor ist einer jener Poetaster, welche die Trivialität ihres Empfindens unter einer schimmernden Außenseite zu verstecken suchen und den Eros herabziehen in die Bahn der All¬ täglichkeit, indem sie seine Pfeile zu Zwecken der Sinnlichkeit mißbrauchen. Herr Graf, das geht zu weit! sagte das junge Mädchen, indem ihr Busen vor Erregung wogte und ihre Auge» vor Entrüstung blitzten. Sie beleidigen mich. Dieser Autor ist mein Liebling. Er ist voll Hoheit des Empfindens und Grazie des Ausdrucks. Kein unreiner Gedanke findet sich in seinen reizenden Liedern, und ich kann es nicht ruhig mit anhören, daß er verunglimpft wird, selbst nicht von Ihnen. In seinem ganzen Leben hatte der junge Graf kein so angenehmes Gefühl empfunden als in diesem Augenblick. Sein Herz wollte vor Freude zerspringen. Er sah das zornige junge Mädchen mit der Überzeugung an, daß es das klügste, edelste, reizendste Geschöpf auf der ganzen weiten Erde sei, und war so von Seligkeit erfüllt, daß er keine Worte finden konnte. Sie war verwundert über den Ausdruck in seinem Gesicht, konnte sich ihn aber nicht erklären und war so in Eifer gekommen über den Gegenstand des Gesprächs, daß sie so bald nicht wieder von ihrem Thema ablassen konnte. So manche einsame Stunde haben mir diese lieben Gedichte verschönt! sagte sie, ihr Taschentuch an die Augen drückend. Und nie hat mir jemand etwas so hartes gesagt. Glauben Sie denn, Herr Graf, daß ich ein schlechtes Buch lesen würde? Aber ich sehe deutlich, daß Sie die Gedichte garnicht kennen, sonst würden Sie nicht so sprechen. Lesen Sie sie nur, ich will Ihnen das Buch leihen, und dann werden Sie selbst sagen, daß es herrliche, himmlische Gedichte sind. Fräulein Anna, sagte Graf Dietrich, merken Sie denn nur gar nichts? Haben Sie denn nur gar nichts bekanntes in den Gedichten gefunden? Sie sah ihn an und erstaunte über sein lächelndes, glückliches Gesicht. , Ich bin ja der Dichter, sagte er, ihre beiden Hände ergreifend, ich habe ja diese Gedichte selbst geschrieben. Aber es soll ein Geheimnis bleiben. Das junge Mädchen konnte vor Verwunderung kein Wort hervorbringen, blickte ihn ganz verwirrt an und wechselte in ihrer Farbe von tiefem Rot zu fahler Blässe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/435>, abgerufen am 23.07.2024.