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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Rrach.

Herrschaft in Frankreich noch verhüllt, seit dem Ministerium Gambetta ist der¬
selbe zu voller Klarheit herausgetreten. Seitdem kann auch das blödeste Auge
nicht mehr verkennen, wie von der Börse aus die französischen Minister gelenkt
werden wie die Marionetten. Das Spiel Perlicke-Perlucke auf den Kasperle-
Theatern ist hochpolitisch geworden, es bestimmt nicht nur allein die wirtschaft¬
lichen Aktionen, man braucht es auch politisch, ganz von s-mors.

Es hieße Vontoux eine Bedeutung weit über Verdienst und Wert zumesse",
wollte man von ihm sagen, daß die Frivolität der großen Faiseurs ihn ver-
anlaßt habe, denselben entgegenzutreten. Boutoux trat lediglich aus gegen
Rothschild, wie mehrere ehemalige Rothschildsche Beamte konknrrirend gegen
ihn aufgetreten sind: in Paris Pereire, in Frankfurt Erlanger. Aber es ist
charakteristisch, daß er unter seiner Firma, der "Christianisirung des Kapitals,"
die trotz allen Widerspruchs von interessirter Seite vorhanden war, so großen
Anklang fand. Im Publikum zeigte sich unbewußt ein Zug, der offenbar
ausging von der Empfindung, daß eine gewissermaßen fremde Macht seine
wirtschaftlichen Verhältnisse okkupirt habe und beherrsche. Und der verhältnis¬
mäßig sehr starke Zudrang, den Bontonx von Seiten der kleinern Kapitalisten
hatte, läßt erkennen, daß diese Empfindung sehr in die Breite ging und weite Kreise
erfaßt hatte. Ist doch selbst die offne Unterstützung, welche Vontoux in Wien
bei der Regierung fand, wesentlich auf jene Empfindung zurückzuführen. Ohne
sich darüber recht klar zu sein, fühlte man in Frankreich den finanziellen Druck, den
eine verhältnismäßig kleine Koterie auf den mobilen Besitz und seinen Bestand
ausübt, unerträglich werden; während die österreichische Regierung andrerseits
sich über ihre ausschließliche Abhängigkeit von dieser Finanzkoterie ebenfalls
keine Illusionen machen konnte. Nur waren beide Teile irre darin, daß sie
meinten, der empfundene Druck lasse sich durch ein ebenfalls rein finanzielles
Gegengewichts beseitigen; beide mußten daher schwer enttäuscht werden und nach
Fehlschlagen des Experiments umso tiefer in die ärgste Abhängigkeit von den
alleinherrschendenNinanzmächten zurückfallen.

Übrigens waren sich die letztern bald genug über die Tendenz, welche
Bontonx verfolgte, klar.^- Sie sahen in letzterem lediglich den kecken Revolutionär,
der nicht sowohl neues schaffen, als einfach die alten Herrscher, wenn nicht be¬
seitigen, so doch Herabdrücken und sich an ihre Stelle setzen wollte. Wenigstens
wollte er mit ihnen teilen. Anfänglich behandelte Herr von Rothschild den
kleinen neuen Konkurrenten sehr von oben herab. Die Union. Mu^rail in
Paris, die überdies Bontonx nicht einmal gegründet, in die er sich nur hinein¬
gesetzt hatte, konnte nicht sonderlich gefährlich werden. Dergleichen Konkurrenten
gab es in Paris genug, und sie dienten sämtlich mit oder ohne Willen dem
Rothschildschen Interesse. Auf dem Boden der Rente, welcher in Paris und
an den übrigen französischen Börsen immer der beherrschende bleiben wird,
kann überhaupt noch lange nicht daran gedacht werden, dem Rothschildschen


Der zweite Pariser Rrach.

Herrschaft in Frankreich noch verhüllt, seit dem Ministerium Gambetta ist der¬
selbe zu voller Klarheit herausgetreten. Seitdem kann auch das blödeste Auge
nicht mehr verkennen, wie von der Börse aus die französischen Minister gelenkt
werden wie die Marionetten. Das Spiel Perlicke-Perlucke auf den Kasperle-
Theatern ist hochpolitisch geworden, es bestimmt nicht nur allein die wirtschaft¬
lichen Aktionen, man braucht es auch politisch, ganz von s-mors.

Es hieße Vontoux eine Bedeutung weit über Verdienst und Wert zumesse»,
wollte man von ihm sagen, daß die Frivolität der großen Faiseurs ihn ver-
anlaßt habe, denselben entgegenzutreten. Boutoux trat lediglich aus gegen
Rothschild, wie mehrere ehemalige Rothschildsche Beamte konknrrirend gegen
ihn aufgetreten sind: in Paris Pereire, in Frankfurt Erlanger. Aber es ist
charakteristisch, daß er unter seiner Firma, der „Christianisirung des Kapitals,"
die trotz allen Widerspruchs von interessirter Seite vorhanden war, so großen
Anklang fand. Im Publikum zeigte sich unbewußt ein Zug, der offenbar
ausging von der Empfindung, daß eine gewissermaßen fremde Macht seine
wirtschaftlichen Verhältnisse okkupirt habe und beherrsche. Und der verhältnis¬
mäßig sehr starke Zudrang, den Bontonx von Seiten der kleinern Kapitalisten
hatte, läßt erkennen, daß diese Empfindung sehr in die Breite ging und weite Kreise
erfaßt hatte. Ist doch selbst die offne Unterstützung, welche Vontoux in Wien
bei der Regierung fand, wesentlich auf jene Empfindung zurückzuführen. Ohne
sich darüber recht klar zu sein, fühlte man in Frankreich den finanziellen Druck, den
eine verhältnismäßig kleine Koterie auf den mobilen Besitz und seinen Bestand
ausübt, unerträglich werden; während die österreichische Regierung andrerseits
sich über ihre ausschließliche Abhängigkeit von dieser Finanzkoterie ebenfalls
keine Illusionen machen konnte. Nur waren beide Teile irre darin, daß sie
meinten, der empfundene Druck lasse sich durch ein ebenfalls rein finanzielles
Gegengewichts beseitigen; beide mußten daher schwer enttäuscht werden und nach
Fehlschlagen des Experiments umso tiefer in die ärgste Abhängigkeit von den
alleinherrschendenNinanzmächten zurückfallen.

Übrigens waren sich die letztern bald genug über die Tendenz, welche
Bontonx verfolgte, klar.^- Sie sahen in letzterem lediglich den kecken Revolutionär,
der nicht sowohl neues schaffen, als einfach die alten Herrscher, wenn nicht be¬
seitigen, so doch Herabdrücken und sich an ihre Stelle setzen wollte. Wenigstens
wollte er mit ihnen teilen. Anfänglich behandelte Herr von Rothschild den
kleinen neuen Konkurrenten sehr von oben herab. Die Union. Mu^rail in
Paris, die überdies Bontonx nicht einmal gegründet, in die er sich nur hinein¬
gesetzt hatte, konnte nicht sonderlich gefährlich werden. Dergleichen Konkurrenten
gab es in Paris genug, und sie dienten sämtlich mit oder ohne Willen dem
Rothschildschen Interesse. Auf dem Boden der Rente, welcher in Paris und
an den übrigen französischen Börsen immer der beherrschende bleiben wird,
kann überhaupt noch lange nicht daran gedacht werden, dem Rothschildschen


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[0404] Der zweite Pariser Rrach. Herrschaft in Frankreich noch verhüllt, seit dem Ministerium Gambetta ist der¬ selbe zu voller Klarheit herausgetreten. Seitdem kann auch das blödeste Auge nicht mehr verkennen, wie von der Börse aus die französischen Minister gelenkt werden wie die Marionetten. Das Spiel Perlicke-Perlucke auf den Kasperle- Theatern ist hochpolitisch geworden, es bestimmt nicht nur allein die wirtschaft¬ lichen Aktionen, man braucht es auch politisch, ganz von s-mors. Es hieße Vontoux eine Bedeutung weit über Verdienst und Wert zumesse», wollte man von ihm sagen, daß die Frivolität der großen Faiseurs ihn ver- anlaßt habe, denselben entgegenzutreten. Boutoux trat lediglich aus gegen Rothschild, wie mehrere ehemalige Rothschildsche Beamte konknrrirend gegen ihn aufgetreten sind: in Paris Pereire, in Frankfurt Erlanger. Aber es ist charakteristisch, daß er unter seiner Firma, der „Christianisirung des Kapitals," die trotz allen Widerspruchs von interessirter Seite vorhanden war, so großen Anklang fand. Im Publikum zeigte sich unbewußt ein Zug, der offenbar ausging von der Empfindung, daß eine gewissermaßen fremde Macht seine wirtschaftlichen Verhältnisse okkupirt habe und beherrsche. Und der verhältnis¬ mäßig sehr starke Zudrang, den Bontonx von Seiten der kleinern Kapitalisten hatte, läßt erkennen, daß diese Empfindung sehr in die Breite ging und weite Kreise erfaßt hatte. Ist doch selbst die offne Unterstützung, welche Vontoux in Wien bei der Regierung fand, wesentlich auf jene Empfindung zurückzuführen. Ohne sich darüber recht klar zu sein, fühlte man in Frankreich den finanziellen Druck, den eine verhältnismäßig kleine Koterie auf den mobilen Besitz und seinen Bestand ausübt, unerträglich werden; während die österreichische Regierung andrerseits sich über ihre ausschließliche Abhängigkeit von dieser Finanzkoterie ebenfalls keine Illusionen machen konnte. Nur waren beide Teile irre darin, daß sie meinten, der empfundene Druck lasse sich durch ein ebenfalls rein finanzielles Gegengewichts beseitigen; beide mußten daher schwer enttäuscht werden und nach Fehlschlagen des Experiments umso tiefer in die ärgste Abhängigkeit von den alleinherrschendenNinanzmächten zurückfallen. Übrigens waren sich die letztern bald genug über die Tendenz, welche Bontonx verfolgte, klar.^- Sie sahen in letzterem lediglich den kecken Revolutionär, der nicht sowohl neues schaffen, als einfach die alten Herrscher, wenn nicht be¬ seitigen, so doch Herabdrücken und sich an ihre Stelle setzen wollte. Wenigstens wollte er mit ihnen teilen. Anfänglich behandelte Herr von Rothschild den kleinen neuen Konkurrenten sehr von oben herab. Die Union. Mu^rail in Paris, die überdies Bontonx nicht einmal gegründet, in die er sich nur hinein¬ gesetzt hatte, konnte nicht sonderlich gefährlich werden. Dergleichen Konkurrenten gab es in Paris genug, und sie dienten sämtlich mit oder ohne Willen dem Rothschildschen Interesse. Auf dem Boden der Rente, welcher in Paris und an den übrigen französischen Börsen immer der beherrschende bleiben wird, kann überhaupt noch lange nicht daran gedacht werden, dem Rothschildschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/404>, abgerufen am 26.06.2024.